Reden wir über Geld:"Manche Manager sprechen wie Faschisten"

Der Schweizer Autor Urs Widmer über die Sprache der Wirtschaftselite und weinende Banker.

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Wer zu Urs Widmer, 70, vordringen will, muss länger suchen. Sein Häuschen liegt versteckt zwischen prachtvollen Gründerzeithäusern in der Zürcher Innenstadt. Vor der Eingangstür wuchern schneebedeckte Büsche, die Besucher zum Bücken zwingen. Hier schreibt Widmer seine Bücher auf einer hässlichen elektrischen Schreibmaschine. Heute schreibt er nicht. Heute spricht er über das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück.

Reden wir über Geld: Urs Widmer: "Wir flogen auf den Flügeln des Optimismus"

Urs Widmer: "Wir flogen auf den Flügeln des Optimismus"

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Urs Widmer, reden wir über Geld.

Urs Widmer: Ja, das Geld. Habe ich welches, kümmert es mich nicht sonderlich. Habe ich aber keins, rotiere ich wild herum. Als Kind wusste ich nie, waren wir reich oder arm. Wir lebten mit Bauhaus-Möbeln, aber meine Mutter redete sich und uns ein, wir seien am Verlumpen. Der Crash von 1929 ist in unserer Familiengeschichte präsent geblieben.

SZ: Wie das?

Widmer: Der Crash hat meinen Großvater getroffen. Er war gerade ein reicher Mann geworden - Villa am Rheinufer -, und schon war er wieder arm.

SZ: Was machte Ihr Großvater?

Widmer: Er wuchs mausarm auf, in Norditalien, studierte Chemie und fing bei einer kleinen Klitsche an. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Klitsche eine große Firma geworden, und mein Großvater einer ihrer Vizedirektoren. Er hatte eines der ersten Autos in Basel, einen Fiat, den er selber in Turin abholte.

SZ: Woran ist er gestorben?

Widmer: Er hat sich umgebracht.

SZ: Wegen des Crashs?

Widmer: Weiß ich nicht. Bald danach jedenfalls.

SZ: Und Ihre Mutter lebte stets mit der Angst vor dem plötzlichen Verarmen?

Widmer: (zögert) Ja, tat sie wohl. Völlig unbegründet: Mein Vater war Gymnasiallehrer und hatte einen redlichen Beamtenlohn. Ich habe die florierende Geld-Neurose meiner Eltern - Türenschlagen und Tränen - nicht geerbt. Das erstaunt mich selbst am allermeisten. Ich habe kein Chaos in meinen Geldgeschäften. Ich mache aber auch keine.

SZ: Noch nie?

Widmer: Ich habe zweimal in meinem Leben Aktien besessen. Zuerst die Aktien meiner Mutter, die ich punktgenau an jenem Tag im Oktober 1987 verkaufte, da die Kurse so tief abstürzten wie erst heute wieder. Das zweite Mal war's ein Erbe meines Cousins. Die verkaufte ich beim Höchststand 2006. Beide Male Zufälle. Aber ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit.

SZ: Gab es Zeiten, als Sie wenig Geld hatten?

Widmer: O ja. In den ersten Jahren nach 1969. Da hatte ich nämlich meinen Brotberuf aufgegeben und beschlossen, vom Dichten zu leben. Meine Frau verdiente auch noch kein Geld. Komischerweise erinnere ich mich nicht, dass wir irgendeine Not hatten.

SZ: Nicht einmal Geldnot?

Widmer: Wir flogen auf den Flügeln des Optimismus.

SZ: War es die beste Zeit?

Widmer: Eigentlich ja. (Überlegt.) Ja. Ich war grad 30, voll im Schwung, hatte eine entzückende Frau, war weg aus meiner Heimatstadt, war Schriftsteller geworden - ja, das war wohl so was wie die blühendste Zeit.

SZ: Wie entdeckten Sie das Thema Geld für Ihre Theaterstücke?

Widmer: Geld hat mit Macht zu tun, und Macht ist ein Kernthema des Theaters. Als wir 1996 "Top Dogs" machten, habe ich mich ins Thema verbissen.

SZ: Warum?

Widmer: Wir wollten ein Stück über Ökonomie machen, denn so was gab's noch gar nicht. Damals war die Arbeitslosigkeit der höheren Etagen ein neues Phänomen. Rein theatralisch gesehen ist es viel spannender zu sehen, wie der König stürzt, als wenn der Stallknecht zum 1. 1. gehängt wird.

SZ: Und wie haben Sie sich in die Bankenwelt eingearbeitet?

Widmer: Ich habe mich kundig gemacht. Mit entlassenen Managern gesprochen, mit vielen.

SZ: Die haben offen mit Ihnen gesprochen?

Widmer: Ja. Die haben mir die verrücktesten Geschichten erzählt. Da hatte sich einer, just vor seiner Entlassung, einen Porsche gekauft. Der stand nun in der Garage, mit 56 Kilometern auf dem Tacho. Der Mann setzte sich jeden Tag hinein, startete den Motor und trat aufs Gas. Brrrummmmm. Er ist nie aus der Garage hinausgefahren.

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"Manche Manager sprechen wie Faschisten"

SZ: Warum gibt es kaum Theaterstücke über Wirtschaft?

Widmer: Weil das Theater von Individuen handelt, von einzelnen Menschen mit ihrer Psychologie. In der Ökonomie aber sind die Protagonisten austauschbar. Einer ist wie der andere. CEOs machen alle die gleichen Scherze und haben die gleichen Hobbys. Auch die rituelle Verkleidung ist bei allen gleich, nur Kardinäle sind noch komischer angezogen. Machen Sie mal mit braunen Schuhen eine Bankkarriere (lacht).

SZ: Die Credit Suisse hat ihr eigenes Theaterstück "Bankgeheimnisse" unterstützt. Sie leben vom Geld derer, die Sie kritisieren.

Widmer: Ich habe mein ganzes Leben nie um eine einzige Subvention angesucht. Aber das Theater hat damals von der Credit Suisse Geld bekommen. War dann auch ein schlechtes Stück.

SZ: Das auch noch.

Widmer: Ja. Ganz mein Fehler.

SZ: Saßen Banker von Credit Suisse im Publikum?

Widmer: Vielleicht. Bei "Top Dogs" jedenfalls haben mehrere Unternehmen ganze Vorstellungen gekauft und ihre Mitarbeiter reingeschickt. Vielleicht wollten sie denen ihre Zukunft zeigen (lacht). Es gab Manager, die sind tränenüberströmt aus dem Stück rausgelaufen.

SZ: Sie haben Manager zum Weinen gebracht.

Widmer: Erkenntnis wäre noch schöner gewesen. Allerdings will ich nicht einer sein, der mit erhobenem Zeigefinger dasitzt und andere belehrt.

SZ: In Ihren Stücken gibt es keine Lösungsvorschläge. Sie machen es sich einfach.

Widmer: Ein Stück bietet nie eine fixfertige Lösung an.

SZ: Warum?

Widmer: Weil es Fragen stellt. Und weil es ein Spiel ist. Weil es die Ambivalenzen sichtbar macht, die in jedem Menschen leben.

SZ: Was machen Sie persönlich mit Ihrem Geld?

Widmer: Ich habe es just eben von der UBS zur Zürcher Kantonalbank transferiert. Vom Teufel zum Beelzebub, kann sein (lacht). Im Übrigen fürchte ich mich weniger vor einem Crash der Bank als davor, dass uns die Inflation unser liebes Geld wegfrisst.

SZ: Also doch Ängste wie Ihre Mutter?

Widmer: Nein. Wenn ich Ängste hatte und habe, sind die von einem andern Kaliber. Ängste mit Großbuchstaben, sozusagen. Sie haben mich zum Schriftsteller gemacht. Meine Literatur war zu einem bedeutsamen Teil Angstbewältigung. Und ich habe mir mit einer Psychoanalyse geholfen. Heute haben mich die Ängste mehr oder minder verlassen.

SZ: Sie als Moralist müssen es wissen: Gibt es Hoffnung, dass alles besser wird?

Widmer: "Alles" ist wohl ein bisschen viel verlangt. Was die Ökonomie betrifft: Wenn wir es den Wahnsinnigen, die das derzeitige Desaster herbeigeführt haben, überlassen, ihr eigenes Wahnsystem zu stabilisieren, führt das in die nächste Katastrophe. Das Geld, das an der Börse gehandelt wird, muss wieder, wie einst, direkt auf real produzierte Waren bezogen sein. Alles andere, der Zocker- und Kasinoteil, muss ersatzlos gestrichen werden. Das können nur Leute von außen tun. Natürlich ist jetzt die Politik gefordert, und sie muss mehr tun, als einfach unser Steuergeld zu den Banken hinüberzuschieben. Mir gehört ja inzwischen die halbe UBS!

SZ: Und uns die Commerzbank.

Widmer: Asylantenwohnungen sollten wir daraus machen (lacht).

Auf der nächsten Seite: Warum die Sprache der Ökonomen eine Sprache der Sieger sein will.

"Manche Manager sprechen wie Faschisten"

SZ: Als die Investmentbank Lehman Brothers pleite ging, sprachen Banker von einem Blutbad und Massaker. Was bedeuten diese drastischen Worte?

Widmer: Die Sprache der Ökonomie mag ein militärisches Vokabular. Sie ist auf Eindeutigkeit aus und verleugnet alle Widersprüchlichkeit. Sie errichtet eine Art Potemkinsches Sprach-Dorf aus lauter Euphemismen. Und sie will eine Sprache der Sieger sein. Wer sie spricht, gibt zu erkennen, dass auch er zu diesen Siegern gehören will.

SZ: Woher kommt diese Sprache?

Widmer: So richtig in Schwung kam sie in der Zeit Reagans und Frau Thatchers. Es ist eine Sprache, die die Gefühle, die sich auch im Business nicht ganz ausschalten lassen, wenigstens in den Griff kriegen will. Wer den neoliberalen Jargon spricht, will den Schwächeren ausschalten.

SZ: Wie bei Darwin?

Widmer: So was. Nur dass Menschen keine Schildkröten oder Salate sind. Manche Manager sprechen wie Faschisten. Das müssten sie spüren. Es müsste sie tief erschrecken.

SZ: Ist denn die Sprache der Banker immer brutaler geworden?

Widmer: Wer triumphal von Sieg zu Sieg eilt, lässt seiner Sprache freieren Lauf. "Lead, follow or get out of the way": Das haben wir vor noch nicht allzu langer Zeit aus dem Mund eines der großen Banker gehört.

SZ: Jetzt ist das Modell der Investmentbank gescheitert - mit ihm auch die Sprache der Banker?

Widmer: Die Sprache - diese Nebelwand, hinter der das reale Desaster verschwinden soll - wird jetzt noch mehr benötigt.

SZ: In Ihrem Theaterstück "Top Dogs" kritisierten Sie bereits 1996 die verharmlosende Sprache der Manager...

Widmer: Ich habe mich damals auch in die einschlägigen Bars rund um den Paradeplatz gesetzt und den Herren und Damen zugehört. Wenn sie den Feierabend genossen. Oder sich in Herzensangelegenheiten austauschten. Das Befremdliche war, dass sie auch dann keine andere Sprache hatten, auf die sie zurückgreifen konnten. Emotional war das alles doch sehr eng. Wenn du eine reiche Dame heiratest, die dich vergöttert, ist das eine Win-win-Situation.

SZ: Gibt es jetzt die Chance, dies zu ändern?

Widmer: Schön wär's. Nochmals: Die bisherigen Teilnehmer am Spiel werden allein schon deshalb die Spielregeln nicht radikal ändern wollen und können, weil sie andere Regeln gar nicht kennen. Die Lotterie- oder Kasino-Börse muss verschwinden. Natürlich wird sie dadurch massiv kleiner.

SZ: Dann müssen Betriebe zusperren, weil sie keinen Kredit mehr bekommen.

Widmer: Die Schraubenfabrik da vorn an der Ecke, die braucht einen Kredit, und die soll ihn kriegen. Normal investiertes Geld mit einer normalen Rendite. Heute! Die Börsensendungen im Fernsehen sind wie Berichte aus einem Tollhaus. Mit ernster Miene werden die neuesten Lottozahlen verlesen und analysiert - als hätten sie irgendetwas mit unserem normalen Leben zu tun, gar mit unseren Interessen.

SZ: Jetzt wird das Kasino zur Wirklichkeit. Die Konjunktur leidet, das Wachstum bricht ein, die Menschen verlieren ihre Arbeit.

Widmer: Ja. Die virtuelle Welt ist nicht völlig abgekoppelt von der realen. Es leiden die, die mit der Wall-Street-Welt gar nichts zu tun haben. Wetten, dass genau jetzt irgendwo einer von den Haifischen irgendwelche Schrottpapiere kauft, mit denen er in einem Jahr ein Riesengeld zu machen hofft?

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