Reden wir über Geld (27): Juli Zeh:"Für Besitz muss man sich nicht schämen"

Die Schriftstellerin Juli Zeh über den Mythos vom armen Poeten, Liebe als Kreativitätskiller und warum sie die Globalisierung gut findet.

A. Mühlauer und H. Wilhelm

Geld ist wichtig. Die Schriftstellerin Juli Zeh, 34, hat ihr Portemonnaie in Berlin liegenlassen und ist acht Stunden Zug gefahren, ohne sich einen Kaffee leisten zu können. Ansonsten räumt die erfolgreiche Autorin gerne mit Klischees auf: Weder ist die Globalisierung böse, noch muss man arm sein, um gut schreiben zu können.

Reden wir über Geld (27): Juli Zeh: Schriftstellerin Juli Zeh: "Vermutlich verdiene ich mehr als die, die mich fragen."

Schriftstellerin Juli Zeh: "Vermutlich verdiene ich mehr als die, die mich fragen."

(Foto: Foto: AP)

Süddeutsche Zeitung: Wir möchten mit Ihnen über Geld reden - ist Ihnen das unangenehm?

Zeh: Darüber denke ich schon ein paar Tage nach. Ich wusste ja, dass wir sprechen werden. Eigentlich gibt es keinen Grund, warum das unangenehm sein sollte. Gestern habe ich in einer Schule aus meinen Büchern gelesen - die Schüler haben gute Fragen gestellt, aber die Lehrer wollten nur wissen, was ich verdiene.

SZ: Irritiert es Sie, dass sich Menschen dafür interessieren?

Zeh: Es überrascht mich. Ich dachte immer, dass bei Kunstprodukten das Merkantile im Hintergrund steht. Aber ich kann es schon verstehen. Vermutlich liegt es daran, dass der Schriftstellerberuf so ein Mysterium ist. Die Menschen können sich gar nicht vorstellen, wie man mit so was überhaupt Geld verdienen kann. Viele fragen mit Hundeblick: Können Sie denn davon einigermaßen leben - oder wollen Sie noch einen Keks?

SZ: Sie können davon leben?

Zeh: Ja, ich kann super davon leben. Vermutlich verdiene ich mehr als die, die mich fragen.

SZ: Von Anfang an?

Zeh: Ja, vom ersten Buch an.

SZ: Erklären Sie uns das Mysterium - wie verdient ein Schriftsteller Geld?

Zeh: Der Verkauf der Bücher bringt eher wenig, davon könnte ich nicht leben. Dazu kommen die Erträge aus Lizenzverkäufen: der Verkauf von Taschenbuch-, Kino-, Theater-Lizenzen, für das Ausland, für Hörbücher. Das sind jeweils keine großen Beträge, aber insgesamt läppert es sich. Dann noch Honorare für Lehraufträge, Zeitungsartikel und für Veranstaltungen: Podiumsdiskussionen, Lesungen, auch mal Talkshows. Allerdings zahlt das Fernsehen nicht viel, da bin ich in der Kategorie: Die müsste eigentlich noch was zahlen, damit sie überhaupt kommen darf. Ein bunter Strauß von Optionen, in der Summe funktioniert es.

SZ: Werden Sie angemessen bezahlt?

Zeh: Oft eher überbezahlt. Das ist eine Art Wertschätzung. Wenn jemand bereit ist, mir für eine Lesung viel zu zahlen, zum Beispiel über 1000 Euro, dann ist das wie ein großes Schulterklopfen.

SZ: Redet man unter Schriftstellern über Geld?

Zeh: Ja, das hat eine wichtige Funktion. Wir haben keine Gewerkschaft, keine Interessenvertretung. Wenn man sich austauscht, kann man verhindern, dass man von Veranstaltern gedumpt wird.

Lesen Sie im zweiten Teil, ob echte Künstler arm sein müssen - und warum Kunst für Juli Zeh immer der Ausdruck einer Leidensbereitschaft ist.

"Für Besitz muss man sich nicht schämen"

SZ: Das heißt: Ruhm ist schön, aber angemessen bezahlt werden wollen Sie auch?

Zeh: Wer will das nicht? Geld erfüllt immer irgendeine Funktion. Lange Zeit gehörte es zu meinem Selbstbild, gerade kein Geld zu haben. Ich lebte studentisch, und es gab mir ein Gefühl von Freiheit, mit 1000 Mark im Monat auszukommen. Als das Geld von den Büchern kam, habe ich es jahrelang nicht angerührt. Es sammelte sich auf dem Girokonto, und ich tat so, als hätte sich nichts geändert. Das Geld passte nicht zu mir. Jetzt, wo ich es akzeptiert habe und mit Begeisterung verprasse, habe ich plötzlich Angst, Rückschritte im Lebensstandard zu machen. Also, die Antwort ist ja: Geld ist immer wichtig.

SZ: Warum mussten Sie sich beweisen, dass Sie das Geld nicht brauchten?

Zeh: Das war die Reaktion auf eine Verunsicherung. Ein paar Jahre vor mir gingen die Leute noch aus dem Studium raus mit dem Gefühl: Ich kriege irgendwo einen Job, das läuft schon. In meinen Jahrgängen kam dann Hysterie auf. Alle dachten, sie bekommen keinen Job, fallen aus der Gesellschaft raus. Wir haben das Festklammern am minimalen Lebensstandard zu einer Tugend erhoben, um so mit der Angst umzugehen.

SZ: Was ist aus der guten, alten Vorstellung geworden, dass Künstler arm sein müssen?

Zeh: Es gibt Menschen, die denken, dass Kunst gesellschaftliches Versagen voraussetzt. Sie glauben, dass man ein gesellschaftlicher Außenseiter sein muss, um kreativ zu sein. Die haben dann ein Problem, wenn sie Geld verdienen.

SZ: Können Sie das verstehen?

Zeh: Kunst ist Ausdruck einer Leidensbereitschaft. Wenn es mir die ganze Zeit super ginge, würde ich keine einzige Silbe schreiben. Ein gewisses Unglück an sich selbst und der Welt ist Voraussetzung für Kreativität. Aber das hat nichts damit zu tun, ob man reich oder arm ist. Dass Geld nicht glücklich macht, ist nun wirklich belegt. Auch wer sich Biomilch leisten kann, kann interessante Texte schreiben.

SZ: Hatten Sie Angst vor Kreativitätsverlust, als sich das Geld auf Ihrem Girokonto anhäufte?

Zeh: Nein. Aber als ich das erste Mal eine gute, gesunde Beziehung führte, da habe ich mir Sorgen gemacht, dass es das Ende meiner schriftstellerischen Ambitionen bedeuten könnte.

SZ: Sie haben in Leipzig studiert . . .

Zeh: . . . wegen des Literaturinstituts. Dort stieß ich auf lauter Menschen, die zum Thema Geld die gleiche Auffassung hatten wie ich und meine Freunde. Wir kamen aus dem Westen und trafen gleichaltrige Ossis, die aus völlig anderen Gründen die gleiche Einstellung hatten: Wir waren Kapitalismus-Verweigerer, weil wir des Ganzen überdrüssig waren, und die anderen, weil sie sich dem Neuen noch nicht geöffnet hatten. Wir trafen uns im Sommer 1995 in einer Übergangsphase exakt am selben Punkt.

Lesen Sie im dritten Teil alles über Juli Zehs Fetisch für schöne Inneneinrichtung - und wie ihr perfektes Arbeitszimmer aussieht.

"Für Besitz muss man sich nicht schämen"

SZ: Sind Sie spießig geworden - wenn Sie das Geld verprassen, wie Sie sagen?

Zeh: Das frage ich mich nicht mehr. Jetzt kann ich mit dem Begriff nichts mehr anfangen.

SZ: Warum?

Zeh: Wahrscheinlich, weil ich jetzt spießig geworden bin. Zum Beispiel gebe ich mir jetzt Mühe bei der Gestaltung eines Raumes. Früher sah es bei uns grundsätzlich aus wie auf der Müllkippe, dogmatisch war das.

SZ: Und heute gehen Sie in Einrichtungshäuser, oder wie müssen wir uns das vorstellen?

Zeh: Ich habe gerne schöne Sachen. Um sie zu bekommen, muss ich mit meinen Mitteln haushalten, muss mit Leuten reden, rumfahren, planen. Bevor ich für etwas Geld ausgebe, investiere ich Mühe und Gedanken. Dadurch bekommen Dinge eine Seele, eine Bedeutung. Deshalb freue ich mich an den Sachen und bin froh, nicht mehr in einer Müllkippe zu leben. Ich habe gerade Bücherregale machen lassen. Bücher sind mir wichtig, sind Fetische. Es hat über ein Jahr gedauert, die Regale so zu planen, wie mein Freund und ich sie haben wollten. Jetzt sind sie perfekt. Das macht wirklich Freude, jedes Mal, wenn ich das Arbeitszimmer betrete.

SZ: Was kostet Ihr perfektes Arbeitszimmer?

Zeh: Ein paar Tausend Euro.

SZ: Wofür geben Sie sonst Geld aus?

Zeh: Investitionen in die ostdeutsche Baubranche. Mein Freund und ich haben uns ein Haus bei Berlin gekauft, es war fast eine Ruine. Ich kann keine Glühbirne auswechseln, also lassen wir alles machen. Das sind schwarze Löcher, das Geld versickert nur so. Das ist pures Geld-aus-dem-Fenster-Werfen. Ich meine: Das Haus steht in Brandenburg - das Geld sehe ich nie wieder. Aber es macht Spaß.

SZ: Haben Sie Angst vor der Zukunft? Denken Sie manchmal, der Erfolg könnte irgendwann vorbei sein?

Zeh: Klar. Die ganze Zeit. Das muss ich aber verdrängen, sonst würde es mich beeinträchtigen. Das ist eine Grundlebensangst, keine Panik. Eher eine Habachtstellung. Hinzu kommt: Ich bin in unserer Beziehung der Ernährer, mein Freund verdient nichts. Das heißt, wir schmieren im Kollektiv ab, wenn es bei mir nicht mehr läuft. Aber die Angst quält mich nicht wirklich.

SZ: Warum auch, es läuft ja gut.

Zeh: Schon. Aber der Kulturbetrieb vermittelt mir nicht das Gefühl von Verlässlichkeit. Man sieht, wie Autoren aufgebaut und wieder abgebaut werden. Außerdem hat man Angst vor den Medien: Sie können Menschen ein- und ausschalten. Gut, ab einem gewissen Punkt muss man sich vielleicht keine Sorgen mehr machen, dann ist man etabliert. Aber woher soll ich das denn wissen? Da ruft ja keiner an und sagt: Ab heute bist du sicher.

Lesen Sie im vierten Teil, welche Rolle Marketing in der Literatur spielt und was Juli Zeh von Globalisierungsgegnern hält.

"Für Besitz muss man sich nicht schämen"

SZ: Wie viel Marketing braucht ein Schriftsteller, um bekannt zu werden?

Zeh: Marketing spielt keine so große Rolle in der Literatur. Der Verlag kann nicht gezielt einen Bestseller platzieren. In der Literatur ist der Erfolg nicht planbar. Nehmen Sie das Jakobsweg-Buch von Hape Kerkeling: Am Anfang wurden nur ein paar Tausend Exemplare gedruckt - und dann verkaufte es sich wie verrückt. Es bleibt ein Mysterium, das finde ich schön. Sonst wäre ein Buch auch nur ein Produkt, das man designen kann.

SZ: Schreiben Schriftsteller über Geld? Sie müssen die Frage entschuldigen, wir sind aus der Wirtschaftsredaktion, nicht aus dem Feuilleton.

Zeh: Dafür müssen Sie sich in Deutschland vermutlich entschuldigen, oder? Alles ist böse, was mit Geld und Wirtschaft zu tun hat. Geld ist gesellschaftlich geächtet. Deshalb kommt es in der Literatur auch selten vor. Fertig ist die Antwort. Dabei könnten wir ja auch wunderschön über die Abwesenheit von Geld schreiben. "Schuld und Sühne" von Dostojewski ist so ein Beispiel - dort führt die Abwesenheit von Geld zu furchtbarer Grausamkeit.

SZ: Verstehen Sie die gesellschaftliche Ächtung des Themas Geld?

Zeh: Nein. Man darf nicht sagen, dass man gerne Geld besitzt und dass man gerne welches ausgibt. Das ist lächerlich, denn Geld ist nie ein Selbstzweck. Es steht für etwas: Wenn ich Geld verdiene, steht es für eine gute Leistung; wenn ich es ausgebe, für meine Wertschätzung. In Deutschland tun alle so, als ob sie weniger haben als es der Fall ist. Als ob man sich grundsätzlich für Besitz schämen müsste, weil andere Menschen weniger haben. Und die Globalisierung - dieser inhaltsleere Begriff - wird als Drohkulisse aufgebaut, als übermächtiges Kapitalismus-Monster.

SZ: Es gilt doch als schick, Globalisierungsgegner zu sein. Sie sind keiner?

Zeh: Nein. Grenzen sind gefallen, wir können international reisen und handeln. Jahrhunderte lang haben sich Menschen dafür angestrengt, nun sind wir fast am Ziel - und was machen wir? Wir sitzen da und heulen ins Taschentuch. Natürlich ist nicht alles Sonnenschein. Aber der alte Satz stimmt doch: Menschen und Staaten, die miteinander Handel treiben, führen keinen Krieg gegeneinander. Man muss doch sehen, was für eine Versöhnungsleistung die Liberalisierung des Handels nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa erbracht hat. Dass uns heute in Frankreich keiner mehr aus der Kneipe schmeißt, weil wir Deutsche sind, hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass es keine Zölle mehr zwischen Deutschland und Frankreich gibt.

SZ: Und das soll jetzt auch weltweit funktionieren?

Zeh: Das ist schwierig, klar. Aber es als Bedrohung zu sehen, ist Schwachsinn. Was ist denn die Alternative? Eine Abschottung, uns ein- und alle anderen aussperren? Die Nato, die Uno, die EU, alles abschaffen? Zurück zum 19. Jahrhundert, zum Nationalstaat? Die Globalisierungsgegner tun so, als ob es eine paradiesische Alternative gäbe - sagen aber nie, wie sie aussehen soll.

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