Reden wir über Geld (24): Frank Dopheide:"Werbung muss Glücksgefühle auslösen. Wie beim Koksen"

Der Werber Frank Dopheide über die Verführung von Kunden, Selbstzweifel im Job und warum Frauen 80 Prozent aller Kaufentscheidungen treffen.

Catherine Hoffmann und Alexander Mühlauer

Frank Dopheide ist frisch zurück vom Werbertreffen in Cannes, Côte d'Azur. War irre gut, sagt er, sein Kopf sei um einige Ideen reicher, sein Gesicht aber leider nicht bräuner. Jetzt sitzt der blasse 44-Jährige auf einer Bierbank im Hinterhof seiner Düsseldorfer Agentur Grey, der zweitgrößten im Land. Er ist der Deutschland-Chef, und er hat eine Stunde Zeit. Sagt seine Sekretärin. Es werden dann doch zwei. Das Meeting muss warten. Während des Gesprächs wird seine Sekretärin drei Mal aus dem Fenster nach ihm rufen: "Fraaank!" Drei Mal wird Dopheide sie vertrösten. Er hat viel zu erzählen. Über Wünsche und Verführung, Frauen und Geld. Bitteschön.

Reden wir über Geld (24): Frank Dopheide: "Werbung ist das Ergebnis einer Mangelgesellschaft": Grey-Werber Frank Dopheide.

"Werbung ist das Ergebnis einer Mangelgesellschaft": Grey-Werber Frank Dopheide.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Dopheide, reden wir über Geld. Wir haben doch schon alles. Wie überzeugen Sie uns, dass wir trotzdem konsumieren sollen?

Frank Dopheide: Werbung ist das Ergebnis einer Mangelgesellschaft: Unsere Wünsche werden knapp. Früher hat man sich einen Schwarzweißfernseher gewünscht, drei Jahre drauf gespart und ihn dann gekauft. Heute kann jeder alles bekommen, wenn er nicht schon alles hat. Unsere Aufgabe ist es, Wünsche zu kreieren für Dinge, von denen ich gestern noch nicht wusste, dass ich sie heute unbedingt haben muss.

SZ: Welche Wünsche werden knapp?

Dopheide: Alle. Wenn ich meinen 17-jährigen Sohn oder meine 70-jährige Mutter frage, was sie sich zum Geburtstag wünschen, müssen sie lange nachdenken, bevor ihnen etwas einfällt. Das wird Ihnen sicher ähnlich gehen.

SZ: Wie schaffen Sie Wünsche?

Dopheide: Nehmen wir Tchibo. Die sind groß geworden, weil sie künstlich einen Bedarf geschaffen haben.

SZ: Mit dem Slogan "Jede Woche eine neue Welt."

Dopheide: Genau. So habe ich das Gefühl, ich muss jede Woche mal schauen, was es bei Tchibo so gibt. Und etwas kaufen, was ich nicht unbedingt brauche.

SZ: Wie lange funktioniert das noch?

Dopheide: Schon jetzt nicht mehr so gut. Auch Lidl und Baumärkte verkaufen Gartengeräte und Reitausstattung.

SZ: Wo erreichen Sie den Konsumenten mit Ihrer Werbung am ehesten?

Dopheide: Das ist ein Riesenproblem. Samstagabend vor der Sportschau konnte man früher sicher sein, dass alle Männer in Deutschland deinen Werbespot sahen. Heute nicht mehr. Mein Sohn guckt überhaupt kein Fernsehen mehr. Der sitzt vorm Rechner und ist bei YouTube oder SchülerVZ unterwegs.

SZ: Wie schaffen Sie es dann, die Menschen anzusprechen?

Dopheide: Es gibt zwei Möglichkeiten: Immer lauter und verkäuferischer zu werden. Oder die Menschen durch Emotionen an eine Marke binden. Egal ob man eine Zigarette raucht oder einen Orangensaft trinkt - es müssen echte Glücksgefühle entstehen, die im Gehirn etwas auslösen. Wie beim Marathonlauf oder beim Koksen. Wir nennen das emotionalen Mehrwert.

SZ: Ein Beispiel bitte.

Dopheide: Wir machen seit 40 Jahren Werbung für Lenor. Früher gab es Spots, die das schlechte Gewissen der Frau ansprachen: Das Baby schreit - vielleicht, weil seine Windel kratzt. Vielleicht aber nimmst du nicht den richtigen Weichspüler? In den achtziger Jahren fühlten sich die Frauen befreit: Da zeigten wir einen Mann, der nackt in den See springt - dann streift er einen weichgespülten Bademantel über. Selbst gewaschen. Die Frauen fanden es gut, einen Knackarsch zu sehen. Heute geht es um das sinnliche Gefühl: Es ist schön, in frische, duftende Wäsche zu schlüpfen. Deshalb inszenieren wir Lenor wie ein Parfum.

SZ: Jeder weiß doch, dass es egal ist, welchen Weichspüler man kauft.

Dopheide: Unser Job ist es, Bilder zu erzeugen, die es in der Waschmittelwerbung noch nicht gab. Wir haben mal eine Kampagne gemacht, die hieß "Die Weißheit des Tages". Man sieht einen Bauer in weißen Klamotten. Dazu der Spruch: "Steht der Bauer auf dem größten Scheiß, Proper macht das wieder weiß."

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Werbung der Deutschen Bank so langweilig sein muss - und wie Geld kreativ macht.

"Werbung muss Glücksgefühle auslösen. Wie beim Koksen"

SZ: Viel langweiligere Werbung machen Sie für die Deutsche Bank. Man hat das Gefühl, diese richtet sich nur an aufstrebende Performer. Der Slogan...

Dopheide: ... Leistung aus Leidenschaft ...

SZ: ... ist der von Ihnen?

Dopheide: Nein (lacht).

SZ: Warum ändern Sie ihn nicht?

Dopheide: Der Satz funktioniert. Leistung traute man der Deutschen Bank schon immer zu. Leidenschaft steht für Emotionalität.

SZ: Sie klingen nicht sehr zufrieden.

Dopheide: Strategisch ist der Slogan richtig. Ist er emotional genug? Das muss sich zeigen. Wenn nicht, müssen wir daran arbeiten.

SZ: Was würden Sie gerne ändern?

Dopheide: Die Deutsche Bank kann das Leben der Menschen bereichern. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Geld.

SZ: Stellen wir uns schwierig vor, eine Bank davon zu überzeugen, dass Geld nicht so wichtig ist.

Dopheide: Ist es auch. In unserer Gesellschaft ist Geld entsinnlicht. Ich hab gar keines mehr in meiner Hosentasche. Nur mein Handy und meine Kreditkarte. Ich verliere das Gefühl für Geld. Das sind doch nur noch irgendwelche Zahlen, die ich im Internet auf meinem virtuellen Konto sehe. Das ist schade.

SZ: Was meinen Sie?

Dopheide: Die Emotionalität beim Thema Geld ist unglaublich groß. Wäre es nicht toll, Banken würden ihren Kunden das Geld nicht an diesen öden Automaten auszahlen, sondern in einer besonders schönen Situation die frisch gebügelten Scheine auf den Tisch legen?

SZ: Spannende Idee. Aber wohl kaum umsetzbar. Lässt sich Kreativität eigentlich kaufen?

Dopheide: (denkt lange nach) Ich glaube ja. Kreativität hat viel mit Mut und Exzellenz zu tun. Man hat viele gute Ideen, aber nur wenige richtig gute. Und klar, um richtig gute Ideen zu finden, ist Geld hilfreich. Wenn man guckt, wer Werbepreise gewinnt, dann sind das oft große Ideen für große Marken, die großes Geld reinstecken. Es gibt keine Garantie, dass man etwas Großes bekommt, wenn man viel Geld hineinsteckt. Aber es erhöht die Chancen.

SZ: Woher wissen Sie, wie man Menschen mit Werbung anspricht?

Dopheide: Wir beschäftigen uns schon seit Jahren mit dem, was Menschen wollen und fühlen. Und wir machen viel Hirnforschung mit Professor Elger vom Institut Life & Brain an der Uni Bonn. Wir stecken Testpersonen in die Röhre, also den Computertomografen, und zeigen ihnen Filme und Anzeigen. Da kann man sehen, was im Gehirn passiert.

SZ: Was denn?

Dopheide: Wir zeigen Frauen und Männern den Beck's-Bier-Spot mit dem Segelschiff. Beide Geschlechter nehmen den Film komplett anders wahr. Frauen sehen: Da ist eine Gruppe von Leuten auf einem Schiff, die haben eine gute Zeit, gehen schwimmen. Männer sehen: Da springt ein Typ ins Wasser, holt Bier und dann stoßen alle miteinander an. Ist aber egal - beide Geschlechter kaufen Beck's.

SZ: Männern geht es also vor allem ums Bier, Frauen ums Wohlfühlen?

Dopheide: Bei Männern wird nur die rational gesteuerte Gehirnhälfte angesprochen. Sie denken linear und suchen Ordnung. Deshalb stehen sie auf Testberichte mit ersten, zweiten, dritten Plätzen - am besten gibt es noch eine Handlungsanweisung. Frauen hingegen lieben das Chaos - bei ihnen geht es im Gehirn kreuz und quer.

Lesen Sie im dritten Teil, warum Frauen eine unterschätzte Zielgruppe sind - und wieso sich Autobauer von Juwelieren beraten lassen sollten.

"Werbung muss Glücksgefühle auslösen. Wie beim Koksen"

SZ: Wie berücksichtigen Sie die Ergebnisse der Hirnforschung?

Dopheide: Die Citibank hat in den USA ein Internet-Portal exklusiv für Frauen. Da gibt es normale Bankprodukte, der einzige Unterschied ist: Die Frauen werden anders angesprochen. Mit anderen Worten. Anderen Bildern. Mehr Geschichten. Mehr Gemeinschaft. Für die Beratung zahlen sie einen Jahresbeitrag von 125 Dollar. Ist super erfolgreich. Kundinnen haben der Bank mehr als 20 Milliarden Dollar anvertraut! (Er holt einen Prospekt heraus.) Wir haben das untersucht. Das ist die am meisten unterschätzte Zielgruppe.

SZ: Frauen?

Dopheide: Frauen!

SZ: Warum Frauen?

Dopheide: 80 Prozent aller Kaufentscheidungen fällen Frauen.

SZ: Nicht gerade neu.

Dopheide: Die Erkenntnis, dass Frauen entscheiden, welches Auto gekauft wird, ist neu. Die Frau sucht Marke und Modell aus, der Mann darf die Felgen und die Farbe bestimmen. Wenn wir mit den Vorständen der Autoindustrie sprechen, sagen die: Ein Frauenauto ist klein und pink. Und Männer fahren die großen Limousinen. Stimmt aber nicht: Frauen finden Geländewagen toll, weil sie oben sitzen und sich sicher fühlen.

SZ: Was sollte die Autobranche tun?

Dopheide: Jede Frau ist genervt, wenn ihre Handtasche beim Bremsen nach vorne fällt. Warum gibt es kein Auto mit Handtaschenhalter? Oder: Autoverkäufer sagen immer noch, das heißt nicht Stoßstange, sondern Stoßfänger. Das interessiert die Frau aber überhaupt nicht, da dreht sie durch. Die Autoleute könnten doppelt so viel an Ausstattung verkaufen, wenn sie von Friseuren oder Juwelieren trainiert würden.

SZ: Sie sprudeln voller Ideen. Warum hat man trotzdem das Gefühl, dass Werbung oft der Witz fehlt?

Dopheide: Es geht bei Werbung um Massenkommunikation. Leute sind schnell über- oder unterfordert. Werbung ist Mainstream.

SZ: Eigentlich bitter, finden Sie nicht?

Dopheide: Das schon. Aber es gibt auch tolle Momente als Werber. Immer dann, wenn man ein bisschen Angst hat, die Idee dem Kunden vorzuschlagen. Das ist dann scary good (fürchterlich gut), wie wir sagen.

SZ: Welche Werbung zum Beispiel?

Dopheide: In Belgien gab es einen Spot um Spenden für den Bau von Brunnen in Afrika. Was soll einem da noch einfallen? Zu dem Thema haben wir doch alles schon gesehen. Den Belgiern ist etwas Neues eingefallen. Sie haben einen kleinen farbigen Jungen in TV-Nachrichten eingeschleust. Der rennt mitten durch die Live-Sendung, trinkt das Glas Wasser der Moderatoren aus und verschwindet. 3,5 Millionen Euro Spenden kamen in Belgien an einem Wochenende zusammen. Hätte auch schiefgehen können - wenn man den Jungen verhaftet hätte.

SZ: Fühlen Sie sich manchmal wie der Protagonist des Werberromans 39,90 von Frédéric Beigbeder? Der sagt: "Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft."

Dopheide: Klar hat man Selbstzweifel und fragt sich: Wie sinnvoll ist das, was man tut? Meine Antwort: Wir Werber schaffen einen Mehrwert für die Gesellschaft - Kreativität. Natürlich gibt es Dinge, die sind absurd. Ich habe am Flughafen gesehen, dass es Hautcremes für 800 Euro gibt. Wer braucht das? So ein Gesicht kann man doch gar nicht haben.

SZ: Trotzdem kaufen Menschen Hautcremes für 800 Euro. Warum?

Dopheide: Man erkauft sich damit künstlichen Glanz, ein schönes Erlebnis, und fühlt sich glücklicher, schöner, begehrenswerter.

SZ: Kann man dem Kunden diese Illusion mit jedem Produkt verschaffen?

Dopheide: Ja. In Spanien gibt es jetzt schwarzes Toilettenpapier.

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