Nick Leeson:"Es fällt mir nicht schwer, Lacher zu erzeugen"

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Nick Leeson, der einst Barings in den Ruin trieb, ist der bekannteste Fehl-Spekulant der Welt. Ein Gespräch über das Leben danach.

Markus Zydra

Nick Leeson, 42, sieht müde aus nach seinem Vortrag bei einem Frankfurter Kongress. Der Brite gibt als letzter Redner den Rausschmeißer für das Treffen der Finanzprofis. Und schafft es, den Saal voll zu halten. 1995 verlor er mit Termingeschäften 1,4 Milliarden Dollar in Asien, trieb damit die Jahrhunderte alte Barings Bank in die Pleite, wurde über Nacht zum bekanntesten (Fehl-)Spekulanten der Welt - und musste für fünf Jahre in den Knast. Als er nach seiner Rede langsam und etwas unsicher von der Bühne steigt, sieht der 42-Jährige ein wenig traurig aus - oder ist er nur erschöpft? Beim Gespräch trinkt Leeson erstmal einen Kaffee.

Nick Leeson: "Ich bin ein verurteilter Krimineller" (Foto: Foto: AFP)

SZ: Herr Leeson, vor ziemlich genau 14 Jahren waren Sie das letzte Mal in Frankfurt - nach ihrer Flucht aus Asien.

Nick Leeson: Stimmt, die deutsche Grenzpolizei kam mit einem Bus auf das Rollfeld des Flughafens gefahren und führte mich ab. Witzigerweise wurden wir dieses Mal wieder auf dem Rollfeld abgeholt, aber ich durfte zusammen mit den anderen Passagieren ohne Handschellen einreisen.

SZ: Wie verdienen Sie heute Ihr Geld?

Leeson: Hauptberuflich bin ich Präsident des irischen Premier-Fußballclubs Galway United ...

SZ: ... der perfekte Mix von Pflicht und Neigung.

Leeson: Ja, ich habe immer gern Fußball gespielt. Präsident sein, ist aber anstrengend. Das Geld fehlt, wir haben im Schnitt 3000 bis 5000 Zuschauer.

SZ: Sie wirken entspannt. Genießen Sie den Ruhm, auf Vortragsreisen das eigene Leben zu vermarkten?

Leeson: Ich bin überhaupt nicht stolz darauf, die Barings Bank ruiniert zu haben. Es war die peinlichste Phase meines Lebens, und ich bin ein verurteilter Krimineller. Aber jeder Mensch hat seine Karten. Und mit diesem Blatt muss er das Beste herausholen.

SZ: Der deutsche Fußballer Helmut Rahn musste nach dem WM-Titel Deutschlands 1954 immer wieder die Geschichte von seinem entscheidenden dritten Tor erzählen, bald mochte er nicht mehr. Sind Sie auch überdrüssig?

Leeson: Nein, meine Geschichte hat sich verändert. Ich habe viel gelernt. Früher sagten die Leute, ich sei bei Vorträgen zu arrogant aufgetreten. Das mache ich jetzt anders, mit viel Selbstironie.

SZ: Selbstironie bei Ihnen, trotz des hohen Preises für die Tat, wie Sie immer wieder sagen?

Leeson: Es fällt mir nicht schwer. Lacher im Publikum zu erzeugen, ist eine gute Strategie, um diese Katastrophe darzustellen. Ich passe mich den Zuhörern an. Wenn ich vor einer Krebsgesellschaft rede - bei mir wurde mit 31 Jahren Hodenkrebs festgestellt -, klingt die Story anders als bei dem Gala-Abend "Britischer Einzelhändler des Jahres", wo ich auch schon aufgetreten bin.

SZ: Und hier in Frankfurt vor den Finanzprofis?

Leeson: Denen will ich nun wirklich keine Aktientipps geben. Es ging einzig darum zu zeigen, wie einfach sich Risikosysteme von Banken mitunter aushebeln lassen, bis zum heutigen Tag.

SZ: Seit Ihrer Haft halten sich Gerüchte, Sie hätten ein geheimes Konto und seien sehr reich.

Leeson: Unsinn, ich habe in Irland ein Haus und ein bisschen Land, uns geht es finanziell ganz gut, aber ich bin nicht reich. Von einem großen Vermögen hätte ich sowieso nichts.

SZ: Warum?

Leeson: Wenn ich jemals in die Verlegenheit komme, umgerechnet rund 112 Millionen Euro zu besitzen, muss ich das Geld abgeben - als Entschädigung für die Barings-Pleite. Es gibt immer noch eine solche gerichtliche Verfügung gegen mich. Früher wurde mir sogar ein Teil meines Einkommens gepfändet, jetzt aber nicht mehr.

SZ: Aber der Kinofilm über Ihr Leben muss doch etwas eingebracht haben?

Leeson: Daran haben vor allem andere verdient. Mein gesamtes Vermögen ging damals für Anwaltskosten drauf.

SZ: Wieso hat Barings damals nichts gemerkt?

Leeson: Die Börse in Singapur hatte damals den Überblick über meine Positionen und schrieb deshalb meine Chefs in Singapur an. Doch die gaben den Brief an mich zur Beantwortung weiter. Sie meinten wohl, ich hätte den besten Überblick. An manchen Tagen habe ich 150.000 Pfund verloren, und ich durfte mich selbst kontrollieren. Meinen Vorgesetzten fehlte das Verständnis für meine Geschäfte.

SZ: Sie kamen für knapp fünf Jahre ins Gefängnis von Singapur, Ihre Frau verließ Sie, Ihr Ruf war dahin. Denken Sie manchmal, was wäre, wenn Sie anders gehandelt hätten?

Leeson: Nein, das habe ich mir abgewöhnt. Wunschdenken ist das Schlimmste, was ein Mensch machen kann. Im Gefängnis lernt man, dass es Dinge gibt, die nicht beeinflussbar sind. 23 Stunden zu dritt in einer kleinen Zelle, bei einer Stunde Hofgang, Temperaturen immer über 30 Grad. Da hörst du auf mit solchen Was-wäre-wenn-Fragen, oder du rennst mit dem Kopf gegen die Wand.

SZ: Sie sind jetzt 42 Jahre alt und wirken geläutert. Was waren Sie früher für ein Typ?

Leeson: Meine Mutter wollte immer, dass ich Erfolg habe, ich war daher sehr motiviert. Mit 24 Jahren strebte ich ganz nach oben, indem ich schneller, besser und genauer arbeitete als die Kollegen. Das gelang mir auch, solange ich noch kein Börsenhändler war. Deshalb hatte Barings mich damals eingestellt.

SZ: Sie waren erfolgreich und haben dann alles vermasselt. Warum?

Leeson: Ich hatte einen gewissen Status, eine Reputation erreicht, und das gab mir Selbstwertgefühl gegenüber meinen Freunden, meinen Kollegen, meiner Frau. Wenn ein junger und unreifer Händler einen gewissen Status erreicht hat, dann wird er alles, wirklich alles tun, um diesen Status zu behalten. Genauso habe ich gehandelt.

SZ: Gehören Zocker ins Gefängnis?

Leeson: Wenn derjenige ein Gesetz gebrochen hat, natürlich. In Irland hat eine Großbank an zehn Leute einen Kredit von 450 Millionen Euro gegeben, damit die Kreditnehmer mit dem Geld Aktien der Bank kaufen. So sollte der Kurs der Aktie gestützt werden, um andere Käufer nachzuziehen. Das ist illegal.

Auf der nächsten Seite: Ob Börsenhändler das Gefühl für hohe Summen verlieren.

SZ: Und sonst?

Leeson: Wenn ein Händler Millionen oder Milliarden verspielt, dann fehlte die Kontrolle. Ein Chef, der seine Angestellten nicht im Griff hat, sollte verantwortlich gemacht werden.

SZ: Sie haben eine Milliarde Euro verloren, der Franzose Jérôme Kerviel bei Société Générale rund fünf Milliarden Euro. Börsenhändlern fehlt offenbar das Gefühl für hohe Summen.

Leeson: Das wird oft behauptet, ist aber Unsinn. Händler haben immer ein Gefühl für die Summen. Deshalb werden sie ja panisch in Stresssituationen, deshalb drehen sie das Risiko immer weiter. Man will unter allen Umständen die Verluste ausgleichen, gerade weil die Summen so hoch sind. Noch im Dezember 1994 dachte ich, ich könnte alles drehen. Zwei Monate später war Schluss.

SZ: Wie ging es Ihnen damals?

Leeson: Ich lebte in zwei Welten. Ich sah die Verluste und verbarg sie. Mein Umfeld meinte, ich sei weiterhin der erfolgreiche Händler. Ich hatte auch Jobangebote von anderen Banken, die ich nicht annehmen konnte, weil mein Nachfolger bei Barings dann alles aufgedeckt hätte. Ich saß in der Falle, trank viel, verreiste am Wochenende, um mir eine heile Welt zu geben.

SZ: Wie beurteilen Sie die aktuelle Finanzkrise?

Leeson: Die meisten Menschen haben der Finanzwirtschaft viel Ehrfurcht entgegengebracht, weil sie wenig bis nichts davon verstehen. Nun ist diese Fassade der Unberührbarkeit weggebrochen. Die Finanzwelt ist nichts Besonderes. Auch hier gibt es viele inkompetente Leute.

SZ: Sorgen Sie für das Alter vor?

Leeson: Ja, ich habe einen Pensionsfonds, den ich selbst manage. Ich traue da keinem anderen.

SZ: Gut durch die Krise gekommen?

Leeson: Nun ja, ganz okay.

SZ: Wie begegnen Ihnen fremde Menschen heute?

Leeson: Meistens werde ich freundlich empfangen. In Hongkong hat mich ein Radiomoderator als Marktanalyst vorgestellt. Das war wirklich nett. Manche rufen mir auch zu, ich sei ein Betrüger.

SZ: Und Ihre neue Familie?

Leeson: Als wir uns kennenlernten, merkte meine jetzige Frau natürlich schnell, wer ich war. Ich sagte ihr daraufhin, dass ich nicht reich bin. Mein Sohn ist vier Jahre alt, und ich genieße es mit ihm. Meine Stieftochter ist 14 Jahre alt, sie erlebt mich jeden Tag und sagt, dass der heutige Nick nichts mit dem Nick aus den Geschichtsbüchern zu tun habe.

SZ: Ihre Tochter muss sich im Schulunterricht mit der Barings-Pleite auseinandersetzen?

Leeson: Bislang wohl noch nicht, aber der Sohn meines guten Kumpels hat mir erzählt, sein Geschichtslehrer habe schlecht über mich gesprochen. Da sei er aufgestanden und habe gesagt, er kenne Nick Leeson auch ganz anders. Das hat mich gefreut.

© SZ vom 06.03.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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