Nahrungsmittel: Preissteigerungen:Kampf den Spekulanten

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Die Preissteigerungen für Getreide wecken Erinnerungen an die weltweiten Hungersnöte im Jahr 2008. Berlin und Paris wollen die Märkte zähmen - doch die Unterscheidung zwischen "guter" und "schlechter" Spekulation fällt schwer.

Simone Boehringer und Daniela Kuhr

Die Bundesregierung sagt missbräuchlichen Spekulationen an den Rohstoff- und Agrarmärkten den Kampf an. Gemeinsam mit Frankreich werde man eine Initiative innerhalb der G20 zur Begrenzung der Energie- und Rohstoffpreis-Schwankungen einbringen, heißt es in einem Strategiepapier aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die Rohstoffpreise steigen wieder. Vor allem die Notierungen für Agrargüter, allen voran Weizen, haben stark angezogen. Für die Indexveränderungena auf das Foto klicken. (Foto: N/A)

"Nahrungsmittel dürfen nicht Gegenstand reiner Finanzspekulation sein", schreiben die Fachleute von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) weiter. "Es handelt sich um eine international zu lösende Aufgabe, diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken."

Zuvor hatte sich Frankreich in einem Brief an die Europäische Kommission für eine europäische Regulierungsinitiative an den Rohstoffbörsen eingesetzt. Der Grund für die plötzlichen Vorstöße aus der Politik: Es wird befürchtet, dass die jüngsten Preissprünge an den Rohstoffbörsen die Versorgung ärmerer Länder gefährden könnte.

Schlechte Erfahrungen im Jahr 2008

Noch liegen die Preise für Weizen, Mais, Reis und Soja deutlich unter den Rekordständen vom Frühjahr 2008. Aber auf eine Wiederholung wollen es die Industrieländer dieses Mal nicht ankommen lassen. Dabei ist höchst umstritten, ob und inwieweit das boomende Geldanlage-Geschäft mit den Rohstoffen überhaupt für die Preisschübe verantwortlich ist.

Fest steht: Das Volumen in sogenannten Indexfonds, einer dominierenden Anlageklasse auf dem Gebiet, ist binnen acht Jahren um mehr als das Zwanzigfache auf gut 300 Milliarden Dollar gestiegen. Und an den Terminmärkten geht oft das Zigfache einer Erntesaison an Wertpapieren um.

Der Brief aus Paris war an die EU-Kommissare Michel Barnier (Finanzen), Dacian Ciolos (Agrar) und Günther Oettinger (Energie) gerichtet und zielt auf einen einheitlichen europäischen Regulator oder die Stärkung einer künftigen europäischen Finanzmarktbehörde ab. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte bereits angekündigt, dass die Stabilisierung der Rohstoffpreise eine der Prioritäten der französischen G-20-Präsidentschaft wird. Frankreich hat EU-weit die stärkste Landwirtschaft.

"Spekulation in Maßen stiftet Nutzen"

Als Vorbild für Europa gilt dabei die im Juli verabschiedete Finanzreform in den USA. Die Terminbörsenaufsicht CFTC soll künftig feste Obergrenzen setzten. Finanzinvestoren dürfen demnach bei Rohstoffgeschäften nur eine bestimmte Zahl von Kontrakten halten. Die Terminbörse CBOT hat solche Limits schon nach der Rohstoffhausse 2008 für den Handel mit Getreide eingeführt.

Wie viel diese Regulierung bringt oder ob sie vielleicht sogar schädlich sein kann, ist nach Meinung von Experten nicht absehbar. "Die Diskussion über Spekulation mit Agrarrohstoffen ist überfällig. Sie muss aber sachlich bleiben", warnt Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn "Spekulation in Maßen stiftet Nutzen", betont von Braun. Spekulatives Lagern, wie es die Bauern teils in eigenen Silos betreiben, diene auch der Vorsorge. Und: "Normale Warentermingeschäfte zeigen Knappheiten frühzeitig an. Das dient dem Markt und lenkt Investitionen".

Doch welche Spekulation ist gut und welche schlecht? Hier eine Grenze zu ziehen ist selbst für Profis praktisch unmöglich. "Jeder Bauer, der seine Ernte absichern möchte, braucht jemanden, der die Gegenposition zu seinen Erwartungen einnimmt. Hier kommen Banken ins Spiel, die mit diesen Erwartungen handeln.

Da findet in der Tat Spekulation statt, aber ohne sie gäbe es keinen Markt und der Bauer könnte sich nicht absichern", erklärt etwa Rohstoffanalyst Jochen Hitzfeld von Unicredit. "Sobald ein Markt entsteht und jemand profitieren will, ist er Spekulant. Ohne solche Akteure funktionieren Börsen aber nicht", sagt Markus Bachmann, Fondsmanager für Rohstoffe bei Craton Capital.

"Das treibt den Preis"

Im Bundeslandwirtschaftsministerium lehnt man deshalb Spekulation auch nicht rundweg ab. Zukunftsbezogene Kontrakte hätten "grundsätzlich eine preisstabilisierende Funktion, da sie eine mittelfristige Preiserwartung widerspiegeln - unabhängig von kurzfristigen Preisspitzen", heißt es in dem Strategiepapier. Zudem könnten Spekulanten den Markt nicht grundsätzlich gegen die Fundamentaldaten beeinflussen, "langfristig geben diese die Richtung vor".

Das sehen die meisten Börsenprofis ähnlich. Für den jüngsten Preisanstieg bei Weizen etwa wird in erster Linie die Dürre in Russland verantwortlich gemacht, eine der großen Exportnationen für den Rohstoff. "Dieses Jahr muss das Land sogar einige Millionen Tonnen Weizen importieren, um den eigenen Bedarf zu decken. Das treibt den Preis", sagt Kemal Bagci, Rohstoffexperte der Royal Bank of Scotland. "Zwei Drittel des Preisanstiegs sind fundamental gerechtfertigt, ein Drittel etwa ist Investoren geschuldet, die später auf die steigenden Preise aufsprangen", meint Carsten Fritsch, Analyst bei der Commerzbank.

Solche Volatilitäten sind der Ansatzpunkt für Aigners Vorstoß. Sie könnten das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen und "insbesondere für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern die Versorgung mit Nahrungsmitteln erschweren", heißt es in dem Strategiepapier. Der Markt müsse daher beobachtet werden. Gleichzeitig warnt das Ministerium jedoch vor Schnellschüssen. "Wir sollten nicht in die alten Fehler der staatlichen Marktregulierung zurückfallen".

© SZ vom 02.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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