Merkel und die Märkte:Zwischen Zorn und Spott

Lesezeit: 3 min

Volkes Seele kocht, das Ausland lacht: Merkel macht es keinem recht. Dabei hatte sie doch endlich mal was entschieden.

Marc Beise

Für die Bundeskanzlerin war es ein Akt der Befreiung: Ist doch ein schönes Gefühl, endlich mal was entschieden zu haben! Angela Merkel hat in der Euro-Krise erkennbar die Geduld verloren. Handstreichartig hat sie in dieser Woche bestimmte Börsengeschäfte in Deutschland verboten, und sie macht sich für eine internationale Spekulationssteuer stark. Beides sind Entscheidungen, die an den wirklichen Fragen vorbeigehen, die ökonomisch und politisch fragwürdig und eher machtpsychologisch zu erklären sind.

Merkel hat die Geduld verloren - und ihre Entscheidung weniger an ökonomischen als an machtpolitischen Fragen ausgerichtet. (Foto: ag.ddp)

Seit langem schon, seit dem Höhepunkt der Bankenkrise 2008, auf die sich nun eine Euro-Krise gesetzt hat, befindet sich Merkel in einer unbequemen Lage. Sie steht zwischen einer deutschen Öffentlichkeit, die "Blut sehen will" von Bankern und Spekulanten, und den internationalen Erwartungen an die Wirtschaftsmacht Bundesrepublik Deutschland und ihre Regierung.

Sie will es den Märkten zeigen

Zu Hause belasten Wahlergebnisse und schlechte Umfragewerte. International will der Franzose Nicolas Sarkozy deutsches Geld ausgeben, die EU-Kommission bremst bei die Regulierung der Finanzmärkte. Einigkeit besteht nur darin, große Finanzrettungsschirme zu spannen, die Koalition hat das Euro-Hilfsprogramm an diesem Freitag zähneknirschend durch den Bundestag gewunken.

Quasi nebenbei haben die Kanzlerin und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble sogenannte ungedeckte Leerverkäufe verboten, und ja, sie machen sich nun auch gegen ihre Überzeugung für eine Finanztransaktionssteuer stark, eine Art Mehrwertsteuer auf Geschäfte am Kapitalmarkt. Die Kanzlerin fühlt sich gut dabei, sie sieht sich gefordert, das ewig angemahnte Primat der Politik zurückzuerobern, sie will es den Märkten und den EU-Kollegen zeigen. Aber erst zögern und zaudern, jetzt Aktionismus pur, das ist nicht überzeugend.

Ökonomisch sind die jüngsten Entscheidungen falsch. Leerverkäufe sind Korrekturmechanismen am Markt, unter anderem, um Übertreibung zu verhindern. Andere wissen das, oder haben es gelernt. In den USA und Großbritannien, wo Leerverkäufe 2008 ad hoc verboten wurden, hat das die geschützten Unternehmen nicht vor Kursstürzen bewahrt. Südkorea, sinnigerweise Gastgeber des nächsten G-20-Treffens, hat soeben sein Verbot der Leerverkäufe aufgehoben.

Im Clinch mit Sarkozy

Auch politisch schadet sich Merkel. Der Alleingang war ein Affront, die Verärgerung der Franzosen vorauszusehen. Die EU, die ohnehin ein disparates Bild bietet (was ein maßgeblicher, viel zu wenig beachteter Grund für die Spekulation an den Finanzmärkten war), ist auf eine intensive Zusammenarbeit angewiesen. Es hilft wenig, wenn Merkel jetzt den zweiten Sarkozy gibt. Ähnlich sieht es mit dem anderen Reizthema der Woche aus, der Finanztransaktionssteuer. Sie ist gut gemeint und dennoch schädlich, unter anderem, weil sie Liquidität beschränkt, auch sinnvolle Börsengeschäfte trifft, weil sie Ausweichreaktionen provoziert und für mehr Intransparenz sorgt. Eine Bundeskanzlerin muss das wissen und berücksichtigen. Sie darf sich nicht auf das Niveau der innenpolitischen Laienspieler begeben, zum Beispiel aus der CSU. Deren Vorsitzender ist tatsächlich empört, dass Finanzminister und wohl auch die Kanzlerin verkünden, dass eine solche Steuer international nicht durchsetzbar ist. Eine solche Steuer sei "am Dienstag im Koalitionsausschuss entschieden worden. Das kann hinterher keiner in Frage stellen", beharrt Seehofer nach dem Motto: CSU verbietet Finanzkrise. Aha.

Seehofer ist international kein Name, Merkel schon. In Paris und Brüssel ist man über sie verschnupft, an der Wall Street schütteln sie den Kopf. Die Aktion mit den Leerverkäufen wurde zunächst als Hinweis darauf eingestuft, dass die Deutschen Kenntnis hätten von besonders schlimmen neuen Vorgängen, dann als Panikreaktion abgetan. Dass vielleicht einfach Luft abgelassen werden sollte, kam den Profis nicht in den Sinn.

Merkel darf sich nicht verzetteln, nicht lächerlich machen. Denn sie braucht Kraft und Ansehen für ein großes Ringen, das jetzt anheben wird. International geht es darum, die Fehlsteuerung der Märkte wirksam zu bekämpfen, mit neuen Haftungsregeln, mehr Eigenkapital bei den Akteuren, einer Bankenabgabe. In Europa geht es, noch wichtiger, um eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Dass der Euro diese braucht, ist mittlerweile allen klar, und auch, dass hier der Geburtsfehler der Währungsunion lag.

Stabilität vor Solidarität

Wie aber diese gemeinsame Politik aussehen soll, darüber kann man trefflich streiten. Sarkozy möchte eine europäische Wirtschaftsregierung nach französischem Vorbild: von oben gesteuert, mit einer starken Industrie- und einer lockeren Geldpolitik; man kann es auch die südeuropäische Variante nennen. Dem steht, vergröbernd gesagt, der Ansatz der Nordländer entgegen: mehr Marktwirtschaft, eine strikte Geld- und eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik.

Vorrang für Solidarität oder für Stabilität: Merkel sieht sich, zu Recht, als Anführerin des Stabilitätslagers. Dumm nur, dass die meisten Mitstreiter, Großbritannien etwa und einige Skandinavier, zwar in der EU, aber nicht in der Euro-Union sind. Stabilität und Regulierung, weltweit und in der EU: Auf beiden Feldern muss die Kanzlerin Stärke zeigen, um letztlich den Euro zu retten. Alibi-Aktionen schaden da nur, mag sie Volkes Stimme noch so sehr einfordern.

© SZ vom 22.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: