Malerische Wandgestaltung:Nach Strich und Farben

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In einem Münchner Atelier lernen Seminarteilnehmer, wie sie langweilige Räume in Kunstwerke verwandeln können.

Von Stephanie Schmidt

Ein wenig spöttisch blickt Monsieur Coysevox jeden an, der ihm gegenübertritt. Als wolle er gleich sagen: "Mal sehen, ob Du so talentiert bist wie ich." Doch die Begegnung mit dem Bildhauer im Eingangsbereich des Atelier Benad in München ist Fiktion. Der Besucher steht vor einem Gemälde. Antoine Coysevox, der im 17.Jahrhundert lebte und zum Beispiel Statuen für den Pariser Tuileriengarten und den Schlosspark von Versailles schuf, wirkt so plastisch, weil das Bild in Trompe-l'oeil-Technik gemalt wurde.

Wer mit dem Pinsel eine kahle Wand in ein Himmelsgewölbe verwandeln will, sollte den Einsatz von Farben beherrschen. Mit der richtigen Technik lassen sich auch Scheinoberflächen zeichnen: So wird aus einfachem Beton eine Oberfläche aus Marmor oder Schlangenleder. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Rund um das Porträt sitzen ungefähr zehn Menschen, die mit dem Pinsel weiße Farbe auf ihr Malpapier tupfen. Sie arbeiten an einem Säulen-Kapitell - eines der typischen Motive des Trompe-l'oeil-Stils, der im Barock und in der Renaissance en vogue war. In dem Münchner Atelier lernen die Seminarteilnehmer zum Beispiel, wie sie langweilige Fassaden und Flure zu Hinguckern machen, wie sie mit Farben Emotionen ausdrücken - oder wie sie sich das Meer in die eigenen vier Wände holen können.

Himmel und Meer

Abgesehen von leiser klassischer Musik im Hintergrund ist es mucksmäuschenstill im Raum. "Schon Goethe sagte ja 'Bilde, Künstler, rede nicht!'", bemerkt Martin Benad lächelnd. Die Konzentration auf das Kunstwerk ist nur die eine Seite. Benad findet auch, dass ein Künstler zu gegebener Zeit sehr wohl den Mund aufmachen sollte. In seinen Seminaren vermittelt er daher den Teilnehmern, wie sie sich als Künstler gut verkaufen können, und unterstützt sie dabei, Präsentationsmappen anzufertigen, die Kostproben für jeden Geschmack und verschiedene Budgets bieten.

Der Pädagoge und Kunstmaler gibt zusammen mit seiner Frau Ursula, die Textil- und Wandgestaltung studiert hat, schon seit 14 Jahren Kurse für Illusionsmalerei. Vor drei Jahren gründeten Ursula und Martin Benad ihre Akademie für Farbgestaltung und Wandmalerei.

Auf einer Tür im Atelier wogt es unter einem blauen Himmel mit ein paar Schönwetterwolken, rote Girlanden steigen im Wind auf, am Strand prangen prächtige Muscheln. "Die Farbe Blau erzeugt Weite, Rot räumliche Nähe", erklärt Ursula Benad, die das Bild gemalt hat. "Mit solchen Motiven kann man Sympathie und gute Stimmung erzeugen, sie sind zum Beispiel gut für Kinderzimmer geeignet." Himmel und Meer heißt das Einsteiger-Seminar der Akademie für großformatige Wandmalerei zu diesem Spezialthema, ein anderer Kurs bietet theoretisches und praktisches Wissen zur Farbgestaltung in Innenräumen, ein weiterer beschäftigt sich mit toskanischen Landschaften.

"Eine gewisse Begabung ist die Voraussetzung für unsere Seminare", sagt Benad, "die Teilnehmer sollten gegenständlich malen und zeichnen können." Neben künstlerisch interessierten Laien kommen unter anderem auch Restauratoren und Maler in die Akademie, die sich beruflich neu orientieren wollen. Gemalt wird meist mit Acryl-, manchmal auch mit Öl- und Silikatfarben oder mit selbst hergestellten Kaseinfarben.

Himmel und Meer heißt das Einsteiger-Seminar der Akademie für großformatige Wandmalerei zu diesem Spezialthema in einem Münchner Atelier. Neben interessierten Laien kommen auch Maler, Kunstlehrer oder Restauratoren, die sich fortbilden wollen. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Die vier Arten der Illusionsmalerei kann man in einem zweijährigen Lehrgang erlernen. Eine davon ist die Graumalerei. Was langweilig klingt, ist in der Praxis spannend, weil es hunderte von Grautönen gibt. Aber nicht allein deshalb. Mit Hilfe der Graumalerei kann man Licht- und Schatten-Effekte zaubern, die einem Pilaster oder einem Ornament erst die räumliche Wirkung verleihen. Oder einem Kapitell, wie es Sylvia Knebel und die anderen Teilnehmer des Graumalerei-Seminars gerade malen. Sie ist Kunstlehrerin und möchte sich ein zweites berufliches Standbein schaffen. "Erst wird die Vorlage mit Kreidepapier auf die Malunterlage übertragen", erklärt sie. "Dann malen wir unser Motiv mit vier Farben, zwei sind für die Licht- und zwei für die Schattenwirkung."

Lebhaftes Fabelwesen

Nur kurz hat die Lehrerin den Kopf erhoben, dann versinkt sie wieder in ihr Werk. "Das ist wirklich eine meditative Arbeit", sagt, ein paar Tische weiter, Renate Hainz, "ich komme dabei total zur Ruhe." Nachdem sie das Kapitell vollendet hat, will sie eine Balustrade malen, zum Beispiel mit Blick auf einen Park - auch ein charakteristisches Motiv der Trompe-l'oeil-Malerei.

Renate Hainz hat schon mehr als zehn Kurse an der Akademie besucht. Zusammen mit ihrem Mann führt sie einen Farben-Einzelhandel. Die Hausaufgaben, die ihr von den Benads aufgetragen werden, stellt sie zum Verkauf in ihrem Geschäft aus. Schräg über den Teilnehmern hängt ein Fabelwesen mit menschlichen Zügen. Ob es gleich von der Wand herabsteigt? Diese plastische Wirkung entsteht durch die Graumalerei. "Das Wesen nennt sich im Fachjargon Maskaron. Ich habe ihn im Zwinger in Dresden an einem Torbogen entdeckt", erklärt Benad, der praktisch laufend auf der Suche nach Motiven ist. So lernen die Künstler auch eine Menge über Architektur- und Kunstgeschichte. Ursula Benad zeigt ein Buch mit Varianten von Akanthusblättern, die der Zierde von Säulen dienen: "Das ist eine Art Distel. Hier sieht man, wie die alten Griechen die Blätter verwandelt und zu dekorativen Ornamenten gestaltet haben."

Bevor sie Licht-Schatten-Reliefs malen, befassen sich die Seminarteilnehmer mit dem "Klassiker der Illusionsmalerei", wie Martin Benad sagt. "Man sieht eine Landschaft durch einen Rahmen hindurch. Das Landschafts-Fenster kann man überall aufhängen." Sogenannte Scheinoberflächen, also etwa gemaltes Holz oder gemalter Marmor, der dem echten täuschend ähnlich sieht, oder gemaltes Schlangenleder - das ist eine weitere Technik, mit der sich die Künstler im Atelier Benad vertraut machen.

Die vierte Art der Illusionsmalerei: Ein ganzer Raum bekommt eine neue Haut. Sie besteht aus einem Panorama-Bild. "Dabei verändert sich die Identität des Raumes. Der Betrachter sieht erst bei genauem Hinsehen, wo eine Wand in die andere übergeht", erklärt Martin Benad.

Wenn sie nicht gerade unterrichten oder sich auf Reisen inspirieren lassen, dann bemalen Ursula und Martin Benad im Auftrag von Kunden Wände. So verwandelten sie zum Beispiel das Treppenhaus eines Hausbesitzers auf Mallorca in eine sepiafarbene poetische Landschaft mit Tempeln und Felsen. Und ein von dem Paar gestalteter zwei Meter hoher goldener Buddha lädt nun in einem privaten Spa in München dazu ein, sich in Sorglosigkeit zu üben.

© SZ vom 20. 11. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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