GKV-Milliardenloch:Kollision in der Gesundheitspolitik

Das drohende Milliardenloch der gesetzlichen Krankenkassen verschärft den Streit über den Gesundheitsfonds: Die FDP fordert seine Abschaffung, der VdK seinen Ausbau.

Das zu erwartende Finanzloch der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), mit dem für 2010 in Milliardenhöhe zu rechnen ist, dürften sich als schwere Hypothek für die laufenden Koalitionsverhandlungen von Union und FDP erweisen.

GKV-Milliardenloch: Dem Gesundheitsfonds droht eine Riesen-Defizit. Nun streiten Sozialpolitiker aus allen Lagern.

Dem Gesundheitsfonds droht eine Riesen-Defizit. Nun streiten Sozialpolitiker aus allen Lagern.

(Foto: Foto: dpa)

Experten des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesversicherungsamts sowie des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hatten am Dienstagabend nach zweitägigen Beratungen in Bonn mitgeteilt, dass die gesetzliche Krankenversicherung ihren Schätzungen zufolge im nächsten Jahr ein Milliardendefizit von 7,45 Milliarden Euro einfahren werde. Basis der Prognose ist, dass der einheitliche Beitragssatz bei 14,9 Prozent bleibt und der Steueranteil im Gesundheitsfonds auf 11,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr steigt.

Zusatzbeiträge drohen

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung forderte hierauf die künftige Regierung auf, die Ausgaben für die Kassen zu drosseln. Angesichts der dramatischen Einnahmeausfälle dürften die Einnahmen der Pharmaindustrie, der Krankenhäuser und der Ärzte nicht ungebremst steigen, sagte Sprecher Florian Lanz.

Selbst mit einem sehr engagierten Sparpaket lasse sich dieses Minus nicht komplett ausgleichen, ohne dass die Versorgungsqualität der mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherten leide, erklärte der Kassenverband.

Entscheide sich die neue Koalition weder für einen höheren Steuerzuschuss noch für eine Anhebung des Beitragssatzes, müssten zahlreiche Kassen im nächsten Jahr von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben.

Mehr Autonomie

Bislang sind diese Zusatzbeiträge auf ein Prozent des Einkommens begrenzt. Die Union erwägt jedoch, die Obergrenze fallen zu lassen. Die Kassen bekämen dann wieder mehr Autonomie über die Beiträge. Eine solche Lösung gilt als Teil eines Kompromisses mit der FDP in den Koalitionsverhandlungen. Die Liberalen würden gerne die völlige Beitragshoheit der Kassen wieder herstellen und den Fonds komplett abschaffen.

Um die sich abzeichnende Finanzlücke zu schließen, könnte die Bundesregierung mehr Steuergelder als geplant in den Gesundheitsfonds fließen lassen oder rasch ein neues Sparpaket für das Gesundheitswesen beschließen.

Möglich wäre auch eine Anhebung des Einheitsbeitragssatzes von derzeit 14,9 Prozent. Bei der Union, vor allem aber bei der FDP gibt es aber deutliche Vorbehalte gegen eine Erhöhung der Sozialabgaben.

Staatliches Darlehen

Insgesamt verwaltet der Gesundheitsfonds ein Volumen von rund 167 Milliarden Euro. Die Finanzbasis wird vom Staat garantiert. Infolge der Wirtschaftskrise muss er dem Finanzpool in diesem Jahr mit einem Darlehen von 2,3 Milliarden Euro aushelfen, errechneten die Schätzer.

Bislang war von fast drei Milliarden Euro ausgegangen worden. Die Situation habe sich etwas vermindert, da sich die Beitragseinnahmen aufgrund des stabilen Arbeitsmarktes positiver entwickelt hätten.

FDP-Vize Andreas Pinkwart kritisierte in den Ruhr Nachrichten: "Der Gesundheitsfonds macht vieles teurer, aber nichts besser." Er sei ein "fauler Kompromiss" der großen Koalition gewesen. Künftig müssten Wahlfreiheit, hohe Qualität und Finanzierbarkeit in eine neue Balance gebracht werden.

Der Sozialverband VdK warnte Union und FDP vor weiteren einseitigen Belastungen der Versicherten. Zur Linderung der Finanznöte müssten die staatlichen Zuschüsse erhöht werden, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher der Frankfurter Rundschau. Dies "wäre allemal sinnvoller als irgendwelche symbolischen Steuersenkungen, die ausschließlich dem Zweck dienen, CSU und FDP bei Laune zu halten".

"Alles mobilisieren, was mobilisiert werden kann"

Nach ihrer Einschätzung "mehren sich jetzt bei Union und FDP die Stimmen", die eine Aufhebung der derzeitigen Überforderungsschwelle für Versicherte in Höhe von maximal einem Prozent des Monatsbruttos befürworteten, so Mascher.

Sollte es dazu kommen und Beitragszahler zusätzlich zur Kasse gebeten werden, werde der VdK "alles mobilisieren, was mobilisiert werden kann", drohte sie den künftigen Regierungspartnern.

Zur Linderung der Finanznöte verlangte VdK-Chefin eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für das Gesundheitswesen. Dies "wäre allemal sinnvoller als irgendwelche symbolischen Steuersenkungen, die ausschließlich dem Zweck dienen, CSU und FDP bei Laune zu halten", sagte Mascher. Der Gesundheitsfonds sei bislang "unsolide finanziert". Sie "hoffe" darauf, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Versprechen halten werde, die "soziale Balance" im Lande zu wahren.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte die Festsetzung eines kostendeckenden Beitrags. "Und dieser Beitrag sollte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder zu gleichen Teilen aufgebracht werden", sagte Verbandspräsident Adolf Bauer der Neuen Presse. Eine stärkere Belastung mit Zusatzbeiträgen und Zuzahlungen könnten viele Menschen nicht verkraften. "Die Belastungsgrenze für sozial Schwache ist erreicht", sagte Bauer.

AOK: "Beitragssatz anheben"

Der Chef der AOK-Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs, forderte unterdessen eine Erhöhung des allgemeinen Beitragsatzes. "Ich gehe davon aus, dass der aktuelle Beitragsatz nicht ausreichen wird", sagte Jacobs der Rheinischen Post.

Es sei nicht damit zu rechnen, dass sich die angespannte Finanzlage wieder entspanne, sagte Jacobs. Er gehe deshalb davon aus, dass das Defizit nicht allein über Zusatzbeiträge der Krankenkassen ausgeglichen werden könne.

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