Geld anlegen mit Aktien:Auf den Crash warten lohnt sich nicht

Die Frankfurter Finanzwelt zwischen Intensivstation und Normalität

Anleger treffen kaum den richtigen Zeitpunkt, um zu investieren - deshalb lohnt es sich auch nicht, auf den großen Börsencrash zu warten.

(Foto: dpa)

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um an der Börse ein- oder auszusteigen? Anleger glauben immer noch, den richtigen Riecher dafür zu haben. Doch das ist gar nicht möglich.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Es mag keine große Panik an den Märkten gewesen sein, aber ein Anflug davon war zu spüren. Ende der vergangenen Woche, alle paar Stunden wurden neue Details zu Donald Trumps Verhalten in der Affäre um den Ex-Chef des FBI bekannt, flüchteten viele Anleger aus den Aktienmärkten in den Vereinigten Staaten.

Monatelang waren nach der Wahl des neuen US-Präsidenten die Aktienkurse gestiegen, getrieben von der Hoffnung, seine Politik der Deregulierung, Steuersenkungen und höheren Staatsausgaben werde die Unternehmensgewinne beflügeln. Nun überwogen auf einmal die Zweifel, und die wichtigsten US-Aktienindizes stürzten ab. Hätte man das vorhersehen können?

In einer idealen Welt wäre es nirgendwo so einfach, Geld zu verdienen wie an der Börse. Investoren würden einsteigen und Aktien oder Fondsanteile kaufen, wenn die Preise niedrig sind und wieder aussteigen, wenn die Kurse ihren Höhepunkt erreicht haben. In einer idealen Welt: wären also alle schon reich. Anleger hätten zum Beispiel im März 2009 Aktien des Chipherstellers Infineon für 55 Cent das Stück gekauft. Sie sind heute 35 mal so viel wert.

Solche Überlegungen funktionieren aber nur in der Rückschau. Unter den vielen guten Sprichwörtern in der Finanzwelt lautet deshalb eines: "Timing taugt nichts". Selbst erfahrene Profis scheitern zumeist mit dem Versuch, die richtigen Zeitpunkte zu finden und für sich auszunutzen. Den optimalen Ein- oder Ausstiegszeitpunkt zu erkennen, sei in der Regel reines Wunschdenken, sagt Frank Wieser, Geschäftsführer der Düsseldorfer Vermögensverwaltung PMP Vermögensmanagement: "So attraktiv Timing ist, so schwer ist die Umsetzung in der Praxis."

Wie attraktiv es wirklich sein kann, hat die empirische Finanzmarktforschung schon früh beschäftigt. Die Ergebnisse ähneln sich zumeist: Das richtige Timing kann ein gewaltiges Plus an Rendite bedeuten - aber es ist so gut wie unmöglich. Norbert Keimling, Leiter der Kapitalmarktforschung des Vermögensverwalters Star Capital in Oberursel, rechnet den Wert des pünktlichen Ein- und Ausstiegs anhand der Dax-Rendite der vergangenen 15 Jahre vor: Anleger, die 2002 Aktien aus dem deutschen Leitindex kauften, machten im Mittel 6,2 Prozent Gewinn pro Jahr.

Hätte ein geschickter - oder glücklicher - Anleger die schlechtesten zehn Tage vermieden, läge das Plus bei jährlich 11,5 Prozent. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt: Wer die besten zehn Tage verpasst hat, verdiente nur 0,7 Prozent pro Jahr. Das Muster lässt sich nahezu unverändert auf alle größeren Aktienmärkte übertragen. Die wesentlichen Gewinne und Verluste an den Börsen entstehen demnach stets nur an wenigen Tagen. Wie arg sich selbst investment-Spezialisten verschätzen, zeigen die vergangenen großen Einbrüche am Aktienmarkt. Im Jahr 2000, kurz vor dem Platzen der Internet-Blase, hielten deutsche Lebensversicherer die bislang höchsten Aktienquoten von 26 Prozent. Die niedrigsten Aktien-Bestände hielten sie im Jahr 2012 mit 2,7 Prozent. Seitdem hat sich der Dax mehr als verdoppelt. "Anleger sollten die Finger von Timing lassen", warnt Kapitalmarkt-Experte Keimling.

Trotzdem spielt die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die meisten privaten Anleger eine nicht zu unterschätzende Rolle: Die Angst, den falschen zu erwischen, hält sie davon ab, überhaupt zu investieren. Gleichwohl lassen sie sich von der Panik fallender Kurse anstecken, steigen zu früh aus und realisieren Verluste. Auch das ist in der Finanzmarktforschung gut belegt. Es erfordert ein gehöriges Maß an Disziplin, nicht emotional auf Kursschwankungen zu reagieren. Genau diese Disziplin aber ist das Wichtigste.

Anleger sollten langfristig denken und sich nicht nervös machen lassen

Vernünftig ist es deshalb, langfristig anzulegen, sein Vermögen klug auf verschiedene Anlageklassen aufzuteilen und dauerhaft investiert zu bleiben. "Die Bedeutung des Markttimings nimmt mit zunehmendem Zeithorizont immer weiter ab", sagt Jan-Patrick Weuthen, Portfoliomanager bei B&K Vermögen in Köln. Über Zeiträume von zehn Jahren und mehr lassen sich realistische Renditen am Aktienmarkt abschätzen. Bleiben sie dabei und investieren regelmäßig einen kleinen Teil ihres Vermögens per Sparplan, gehen Anleger sicher, dass sie die guten Tage nicht verpassen - und müssen nicht krampfhaft versuchen, die schlechten zu vermeiden.

Indes lohnt es sich, Marktphasen einschätzen zu lernen. Ein wenig Bargeld vorzuhalten, um nach einem Krach am Aktienmarkt eine Zeit lang mehr zu investieren, kann langfristig die Rendite steigern. Das bedeutet nicht, mit Gewinner-Aktien wie den Anteilsscheinen von Infineon zu spekulieren. Wohl aber, um im Beispiel zu bleiben, die Jahre 2009 und 2010 als günstige Zeiträume für einen Einstieg an der Börse zu identifizieren. "Der Anleger sollte sich deshalb zuerst fragen, in welcher Phase die Börse gerade ist", sagt der Düsseldorfer Vermögensverwalter Wieser. Derzeit ist die Börse in einer der längsten Aufschwungphasen der Geschichte. Aktien in den USA, aber auch in Teilen Europas sind im historischen Vergleich schon relativ teuer. Aber wer weiß, ob die Kurse nicht noch deutlich weitersteigen?

Immer den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, so bitter es auch ist, bleibt ein goldener Traum.

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