Neuer Sprecher von Schäuble:Kommunikator. Nicht Knecht

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Vor den Augen einer erstaunten Fernsehöffentlichkeit düpierte Finanzminister Schäuble im Herbst 2010 seinen Pressesprecher Michael Offer. Der trat zurück - jetzt hat Schäuble einen neuen Mann: Martin Kotthaus.

Hans-Jürgen Jakobs

Zu den Wesenszügen der schönen neuen Welt der Medien gehört, dass alles Skurrile auf ewig gut auffindbar ist. Es wird auf YouTube als Filmchen eingestellt und erheitert über Ländergrenzen hinweg das Publikum. Zum Beispiel jenes Video, das zeigt, wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor den versammelten Journalisten seinen Sprecher abbürstete. Der unglückliche Michael Offer musste Anfang November 2010 während einer Pressekonferenz noch rasch wichtige Unterlagen holen, die nicht auslagen ("Reden Sie nicht, Herr Offer!"), war damit düpiert und trat bald darauf zurück.

Martin Kotthaus: Sozialkompetent und eine ruhig-fröhliche Art. (Foto: OBS)

Die Szene kennt Martin Kotthaus, 48. Nicht, dass dieses YouTube-Stück sein Lieblingsvideo wäre, aber er hat es gesehen. Er weiß also genau, was er tut, wenn er im April den heißen Stuhl an der Berliner Wilhelmstraße einnimmt. Und doch hat Kotthaus die Offerte für den seit vier Monaten vakanten Posten angenommen. Um dem Polit-Routinier Schäuble zu Diensten zu sein, sollte man über diplomatisches Geschick verfügen, und das hat der Neue.

Schließlich wirkte er von 1993 bis 1999 als stellvertretender Botschafter in Angola sowie in den USA, wo er stellvertretender Pressesprecher der Botschaft in Washington war. Von August 2003 an zog er in der Berliner Zentrale des Auswärtigen Amts ein Referat für das Deutschlandbild im Ausland hoch, ein Fall von public diplomacy. Mitte 2005 ging Kotthaus dann nach Brüssel, als Pressechef der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik. Zwischen den Beamten-Jobs wiederum lag eine Tätigkeit für das Verlagshaus Gruner+Jahr ( Stern, Geo), von 1999 bis 2003.

Den seinerzeitigen Vorstandschef Gerd Schulte-Hillen hatte er in Washington kennengelernt. Flugs war er zunächst als Assistent engagiert. Seine Sozialkompetenz und ruhig-fröhliche Art halfen ihm, einen Wechsel an der Verlagsspitze gut zu überstehen. Er wurde Pressesprecher von Schulte-Hillens Nachfolger und knüpfte weiter an seinem Netzwerk. Nach Ablauf der vierjährigen Freistellung ging Kotthaus zurück in den öffentlichen Dienst. Die Politik ließ ihn nicht los. In Brüssel kamen ihm seine Intimkenntnisse der Abläufe in Redaktionen und Verlagen zugute. Das ließ ihn zum geschätzten, aber nicht geschwätzigen Gesprächspartner der Korrespondenten werden.

Den oft in der belgischen Hauptstadt weilenden Finanzminister Schäuble hat er nicht als spöttischen, leicht rüden Zeitgenossen erlebt, sondern als breit aufgestellten, gut reflektierten Europa-Kenner. Das war schon mal eine gute Basis für die vor nicht allzu langer Zeit aufgeflammten Einstellungsgespräche.

Obwohl Kotthaus ein early adopter ist, der neue elektronische Apparate gerne früh ausprobiert, hält er nichts von Neuerungen wie Facebook und Twitter. Bei dem einen missfällt ihm, dass die Privatsphäre nicht geschützt werde, bei dem anderen fragt er sich: Wer nutzt das?

Das YouTube-Video mit seinem Vorgänger hat es inzwischen auf mehr als 900.000 Abrufe gebracht. Beliebt ist Schäubles Satz, sein Sprecher solle "den Scherbenhaufen schon selber genießen". So lustig wird es mit Kotthaus vermutlich nicht werden.

© SZ vom 11.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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