Finanzindustrie: Verdi befürchtet Jobabbau:Bedrohte Banker

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Verdi befürchtet bei den Banken Stellenabbau und Lohndumping - wegen einer Bundesratsinitiative. Angesichts der vielen Meldungen über Boni und Millionen-Gehälter klingt das merkwürdig, doch Experten teilen die Einschätzung.

Harald Freiberger

Die Gewerkschaft Verdi befürchtet, dass deutsche Banken viele Arbeitsplätze abbauen oder in schlecht bezahlte Jobs umwandeln könnten. Hintergrund ist eine Gesetzesinitiative des Bundesrats. Demnach sollen Servicegesellschaften, die Finanzdienstleister ausgelagert haben, von der Umsatzsteuer befreit werden. Dem Fiskus entgingen so zudem fast eine Milliarde Euro Steuern im Jahr, schätzt die Gewerkschaft.

Kunden in der Schalterhalle einer Londoner Bank in den siebziger Jahren: Bei Kreditinstituten hat sich seitdem viel verändert. Vor allem Dienstleistungen, die im Hintergrund ablaufen, wurden ausgelagert. (Foto: Getty Images)

Der Trend ist in der Branche schon seit Jahren zu beobachten: Banken erledigen zunehmend Arbeiten nicht mehr selbst, sondern gründen dafür ausgelagerte Servicegesellschaften. Das betrifft besonders Tätigkeiten im Hintergrund der Bank, bei denen die Mitarbeiter nicht im direkten Kontakt zum Kunden stehen. Beispiele dafür sind die Abwicklung von Zahlungsverkehr, die Versorgung mit Bargeld, die Verwaltung des Telefonverkehrs oder EDV-Dienstleistungen.

Der Vorteil für Banken ist dabei, dass die Mitarbeiter solcher ausgelagerter Gesellschaften nicht dem geltenden Tarifvertrag unterliegen. Doch es gibt auch einen Nachteil: Sobald eine Bank Geschäfte mit anderen Firmen abwickelt, werden 19 Prozent Umsatzsteuer fällig. Erledigt sie die Prozesse dagegen selbst, fällt keine Umsatzsteuer an. Dies führt dazu, dass die Auslagerung von Dienstleistungen für die Banken weniger rentabel ist.

Die Finanzbranche hat nun im Bundesrat Gehör gefunden. Dieser beantragte im Zuge des Jahressteuergesetzes 2010, die Leistungen, die Servicegesellschaften für Finanzdienstleister erbringen, von der Umsatzsteuer zu befreien. Der Bundestag muss noch zustimmen. Die Gewerkschaft Verdi ist alarmiert. Sie schickte den zuständigen Bundesministerien und den Ausschüssen des Bundestages einen Brief, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"In aller Regel sind die ausgelagerten Unternehmen nicht tarifgebunden und beschäftigten Belegschaften in strukturschwachen Gebieten zu Dumpinglöhnen", heißt es darin. Würden solche Firmen nun steuerbefreit, "würde der Steuerzahler Arbeitsplatzvernichtung, -verlagerung und Lohndumping auch noch fördern".

Auch bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken beobachtet Verdi "eine Tendenz, gemeinschaftliche Service-Zentren für die fabrikmäßige Abwicklung von Bankprozessen zu gründen". Dies führe zu einer Abwanderung und Vernichtung von Arbeitsplätzen in den Kommunen vor Ort. Nutznießer seien größere Zentren. Der Charakter von Sparkassen und Genossenschaftsbanken als regional geprägte und verwurzelte Finanzdienstleister drohe dadurch nachhaltig geschwächt zu werden.

Großer Einnahmeausfall

Würden die ausgelagerten Gesellschaften von der Umsatzsteuer befreit, gingen dem Fiskus außerdem Einnahmen in Höhe von fast einer Milliarde Euro im Jahr verloren, so rechnet die Gewerkschaft vor. Allein die drei Rechenzentren des genossenschaftlichen Verbundes und der Sparkassen hätten im vergangenen Jahr 2,54 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Würde darauf künftig keine Umsatzsteuer mehr erhoben, bedeute das für den Staat einen Verlust von 482,6 Millionen Euro. Die Mindereinnahmen in anderen Sektoren wie Zahlungsverkehr oder Geldversorgung liegen nach Schätzung von Verdi mindestens in derselben Höhe.

Der Bundesrat begründete seine Initiative im Wesentlichen damit, dass mit der Befreiung von der Umsatzsteuer geltendes Europarecht umgesetzt werden solle. Verdi zitiert dagegen ein Gutachten des Verwaltungsrechtlers Joachim Wieland, Professor in Speyer, wonach diese Auffassung nicht haltbar sei. Die vorgeschlagene Steuerbefreiung laufe dem Zweck der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zuwider, wonach "jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen" sei.

Der Bankenexperte Wolfgang Gerke, emeritierter Professor in Nürnberg, hält die Befürchtungen von Verdi für gerechtfertigt. "Banken wollen Dienstleistungen vor allem auslagern, um Kosten zu sparen", sagt er. Das sei in aller Regel mit einem Abbau von Arbeitsplätzen verbunden. Verabschiede der Bundestag das Gesetz, werde die Auslagerung von Tätigkeiten für Banken noch rentabler.

© SZ vom 18.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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