Drama in zehn Akten:Der Niedergang der Hypo Real Estate

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Vor einem Jahr begann der Absturz der Hypo Real Estate. Nun soll sie, gestützt mit 80 Milliarden Euro, verstaatlicht werden. Ein Wirtschaftskrimi.

Klaus Ott

15. Januar 2008

Vor einem Jahr begann der dramatische Absturz der Hypo Real Estate. (Foto: Foto: dpa)

HRE-Vorstandschef Georg Funke gibt Abschreibungen in Höhe von 390 Millionen Euro als Folge der Finanzkrise bekannt. Der Aktienkurs bricht um 35 Prozent auf 21,64 Euro ein. Die Anleger fühlen sich getäuscht, weil Funke noch im November 2007 erklärt hatte, die Immobilienbank werde gestärkt aus der Krise hervorgehen. Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft Funke und dem damaligen HRE-Vorstand inzwischen vor, die wahre Lage der Bank zwei Monate lang verschleiert zu haben. Bereits im November 2007 sei der im Januar 2008 veröffentlichte Abschreibungsbedarf intern bekannt gewesen (die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Ende 2008 gegen Funke und den gesamten früheren HRE-Vorstand sowie Ex-Aufsichtsratschef Kurt Viermetz).

Mai 2008

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit August 2007 nach und nach 40 Milliarden Euro und 60 Milliarden Dollar in den aufgewühlten Geldmarkt gepumpt, um diesen zu beruhigen. Nach Ansicht der Münchner Staatsanwaltschaft hätte die HRE-Spitze spätestens im Mai ihre riskante Geldpolitik bei der irischen Tochterbank Depfa ändern müssen. Die Depfa hat langfristig viel Geld an viele Staaten in der Welt verliehen, die Kredite laufen oft zwei oder gar drei Jahrzehnte.

Die Mittel für diese Kredite leiht sich die Depfa ihrerseits aber meist kurzfristig auf dem Finanzmarkt, weil das billiger ist als langfristige Darlehen aufzunehmen. Als die Finanzbranche wegen der weltweiten Krise immer ängstlicher wurde und sich die Institute untereinander immer zögerlicher Geld gaben, hätten Funke & Co. das Geschäftsmodell bei der Depfa ändern und sich dauerhaft die bei der irischen Tochterbank nötigen Mittel sichern müssen, behauptet die Staatsanwaltschaft. Sie wirft dem damaligen Vorstand vor, mit seiner Geldpolitik die Aufgabe missachtet zu haben, das Vermögen der Bank zu schützen.

Auf der nächsten Seite: Ein fragwürdiger Geschäftsbericht - und eine verzweifelte Suche nach Geld.

12. August 2008

Funke und seine sieben Vorstandskollegen unterschreiben den Geschäftsbericht für das erste Halbjahr 2008. Darin steht, selbst in einem Szenario mit dem denkbar schlimmsten Fall sei "sichergestellt, dass die HRE-Gruppe sowie ihre Tochterbanken jederzeit uneingeschränkt zahlungsfähig sind". Es sei genügend Geld vorhanden, um zu garantieren, dass mittelfristig "auch im Fall einer Marktstörung ausreichend Liquidität vorhanden ist". Die Staatsanwaltschaft behauptet inzwischen, der damalige HRE-Vorstand habe mit diesem Geschäftsbericht die Verhältnisse der Finanzgruppe bewusst falsch dargestellt. Bei Unterzeichnung des Berichts sei absehbar gewesen, dass die Geldbeschaffungsstrategie bei der Depfa nicht mehr umsetzbar sein werde.

23. bis 29. September 2008

Die US-Großbank Lehman Brothers ist Mitte September pleitegegangen, der "Fall einer Marktstörung" ist eingetreten. Die Banken leihen sich untereinander kaum noch Geld. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft sprechen Funke und HRE-Finanzvorstand Markus Fell am 23. September bei der Deutschen Bank vor, weil sie Geld brauchen. Da sich für die Depfa nicht mehr genügend Mittel auftreiben ließen, sei die gesamte HRE-Gruppe unmittelbar von der Zahlungsunfähigkeit bedroht.

Trotzdem bezeichnet Fell laut Ermittlungsunterlagen in Absprache mit seinen Vorstandskollegen am 25. September bei einer Bankenkonferenz in München die Geldbeschaffung bei der Depfa als stabil. Diese Darstellung war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft falsch. In den Folgetagen verhandeln Bundesregierung, Bankenaufsicht, die Deutsche Bank und weitere Kreditinstitute mit der HRE ein Rettungspaket aus, das in der Nacht von Sonntag auf Montag beschlossen wird, zum letztmöglichen Zeitpunkt - kurz bevor die Börse in Tokio öffnet und die HRE ihre Pleite hätte eingestehen müssen. Am Ende sind Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel zugeschaltet.

Das Rettungskonzept ist datiert auf den 29. September 2008, ein Uhr. Die HRE erhält 35 Milliarden Euro Kredite, für die weitgehend der Bund haftet. Das Risiko der Banken ist auf 8,5 Milliarden Euro begrenzt. Die Bankenaufsicht schreibt am 29. September an Steinbrück, es gehe darum, "unabsehbare Folgen für das gesamte deutsche Finanzsystem abzuwenden". Bei einem Kollaps der HRE wäre es zu einer Kettenreaktion und "schwersten Störungen der Geldmärkte" gekommen. Andere Banken, vor allem Landesbanken, wären aufgrund ihrer Geschäfte mit der HRE in Mitleidenschaft gezogen worden und hätten das wohl nur schwer verkraften können. Nach Bekanntgabe der dramatischen Lage bei der HRE am 29. September und des Rettungskonzeptes bricht der Aktienkurs von rund 16 Euro auf 3,52 Euro ein.

Auf der nächsten Seite: Ein zweites Rettungspaket, der stille Abgang eines Bankers - und eine Razzia in der HRE-Zentrale.

2. bis 6. Oktober 2008

Die HRE braucht für ihre Tochterbank Depfa noch mehr Geld, ein zweites Rettungspaket mit weiteren Krediten in Höhe von 15 Milliarden Euro wird geschnürt (später kommen noch Garantien des staatlichen Rettungsfonds SoFFin in Höhe von 30 Milliarden Euro hinzu). Die Staatsanwaltschaft erhebt später zwei schwere Vorwürfe gegen Funke und den Vorstand. Die drohende Zahlungsunfähigkeit Ende September sei vom 25. bis 29. September den Aktionären vier Tage lang bewusst und widerrechtlich verschwiegen worden.

Außerdem sei dem Vorstand bereits am 29. September bewusst gewesen, dass die bis dahin gewährten Kreditlinien nicht ausreichten, sondern wegen der Probleme bei der Depfa mehr Geld für die Rettung nötig sei - anders als vom Vorstand gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit behauptet. Die Konzernspitze habe am 29. September fälschlicherweise den Eindruck erweckt, die wirtschaftliche Lage der HRE-Gruppe sei mit dem an diesem Tag beschlossenen Rettungspaket vollständig gesichert.

7. bis 14. Oktober 2008

Der von Finanzminister Steinbrück heftig attackierte Vorstandschef Funke tritt am 7. Oktober zurück, drei Tage später legt auch Aufsichtsratschef Viermetz sein Amt nieder. Am 13. Oktober kommt Axel Wieandt von der Deutschen Bank als neuer Vorstandschef. Einen Tag später beauftragt der Aufsichtsrat eine Anwaltskanzlei, "etwaige Pflichtverletzungen" von Funke und einem weiteren ausgeschiedenen Vorstand zu untersuchen.

16. Dezember 2008

Großrazzia der Münchner Staatsanwaltschaft und der Polizei. 80 Beamte durchsuchen die HRE-Zentrale im Münchner Stadtviertel Lehel und die privaten Domizile von Funke, Viermetz und anderen Managern. Die Kriminaler beschlagnahmen Prüfberichte, Protokolle, Statistiken, Briefwechsel, Risikoanalysen, darunter viele Unterlagen zur Liquiditätslage bei der HRE und zur Depfa, um dem Verdacht diverser Gesetzesverstöße nachzugehen.

Laut Durchsuchungsbeschluss lastet die Staatsanwaltschaft Funke und anderen damaligen Vorständen an, insgesamt sieben Vorschriften des Aktiengesetzes, des Strafgesetzbuches und des Wertpapierhandelsgesetzes missachtet zu haben. Sie sollen unter anderem Paragraph 93 Aktiengesetz verletzt haben, der Vorstände zur "Sorgfalt eines ordentlichen und wissenhaften Geschäftsleiters" verpflichtet. Und sie sollen die Notlage der Bank verschleiert, Aktionäre und Öffentlichkeit getäuscht und so den Aktienkurs manipuliert haben. Das sind heftige Vorwürfe. Den Managern drohen im für sie schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre Gefängnis - und hohe Schadenersatzforderungen der HRE.

Auf der nächsten Seite: Stühlerücken im HRE-Vorstand - und wieder reicht das Geld nicht.

19. Dezember 2008

Der HRE-Aufsichtsrat feuert Finanzvorstand Fell und einen weiteren Manager. Auf Dauer sollen alle Alt-Vorstände gehen, das Spitzenmanagement soll komplett umbesetzt werden. Vorstand und Aufsichtsrat verständigen sich am 19. Dezember auf eine radikale Sanierung. 1000 der 1800 Stellen werden gestrichen. Für das Geschäftsjahr 2008 rechnet die HRE mit hohen Verlusten.

14. Januar 2009

Die HRE braucht weitere Hilfen, die bisherigen 80 Milliarden Euro reichen nicht aus. Die Bundesregierung erwägt eine Verstaatlichung. Zehn Milliarden Euro Kapitalzufuhr durch den Bund sind im Gespräch, der Staat wäre dann Mehrheitsaktionär der Bank und würde diese faktisch kontrollieren. Die HRE wäre das erste Geldinstitut, das im Zuge der Krise verstaatlicht wird. Zuvor war der Bund bereits bei der Commerzbank eingestiegen, aber nur mit 25 Prozent. Nach Angaben aus Bundestagskreisen ist es wahrscheinlich, dass die HRE über Jahre hinweg abgewickelt wird. Die einzelnen Konzernteile sollen, so sah es bereits das Rettungskonzept von Ende September 2008 vor, nach und nach verkauft werden, damit der Bund und die anderen Geldgeber der HRE ihre Milliardenkredite zurückbekommen.

Auf der nächsten Seite: Aktionäre verklagen die Hypo Real Estate - und Ex-Konzernchef Funke schweigt.

15. Januar 2009

Mehr als 50 Aktionäre verklagen die HRE beim Münchner Landgericht auf insgesamt gut vier Millionen Euro Schadenersatz. In der von der Anwaltskanzlei Rotter eingereichten Klageschrift wird dem Ex-Vorstand vorgeworfen, es habe es "pflichtwidrig unterlassen", den Kapitalmarkt "über bevorstehende, sich aus der Finanzmarktkrise ergebende kursrelevante Risiken zu informieren". Die Mitteilung vom 15. Januar 2008 über die Millionen-Abschreibung sei zu spät gekommen. Wäre das früher bekannt gewesen, dann hätten die betroffenen Anleger keine Aktien mehr gekauft und folglich keinen Schaden durch den Kurssturz erlitten. Die Kläger beantragen, dass Funke, Viermetz, Fell und andere Manager als Zeugen vor Gericht erscheinen. Die ehemaligen HRE-Verantwortlichen können aber die Aussage verweigern, da gegen sie ermittelt wird.

Nachtrag

Die HRE äußert sich nicht zu den Ermittlungen, zur Schadenersatzklage und zur sich abzeichnenden Verstaatlichung. Funke, Fell, Viermetz und andere betroffene Manager haben sich bislang ebenfalls nicht öffentlich geäußert. In Funkes Umfeld werden die Umstände, die beinahe zur Pleite der HRE geführt hätten, ganz anders dargestellt als von der Staatsanwaltschaft. Nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers seien die Finanzmärkte in Panik geraten. Die HRE und die Depfa hätten von anderen Banken kaum noch Geld erhalten. Man habe die Lage der Bank immer nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt und weder die Aktionäre noch die Öffentlichkeit getäuscht. Bis ein Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft vorliegt, kann es angesichts der komplizierten Materie viele Monate, wenn nicht gar Jahre dauern.

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