DIW-Chef Wagner im Gespräch:"Die Steuersenkung wird verpuffen"

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Minimale Effekte für die einzelnen Bürger, kaum positive Impulse für die Konjunktur: Gert Wagner, Chef des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht die Steuersenkungspläne der Koalition kritisch und fordert das Gegenteil: höhere Steuern. Im SZ-Gespräch erklärt er, warum Schwarz-Gelb falsch liegt - und wer künftig mehr zahlen sollte.

Thomas Öchsner

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt zur kleinen Steuersenkung der Koalition: "Das sind Beschlüsse mit Augenmaß." Gert Wagner, 58, seit Anfang des Jahres Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, ist ganz anderer Meinung. Der Ökonom fürchtet, dass die sechs Milliarden schwere Entlastung bei den Bürgern verpufft. Der Professor schlägt höhere Steuern für Vermögende und Millionäre vor.

Kanzlerin Angela Merkel, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler wollen die Steuern senken. (Foto: dpa)

SZ: Die Koalition hat Steuerentlastungen in Höhe von sechs Milliarden Euro angekündigt. Hat der Staat überhaupt genug Geld, um eine solche Summe unter den Bürgern zu verteilen?

Wagner: Wenn die Politik das so entschieden hat, kann das Geld sicherlich auch bereitgestellt werden. Die Frage ist nur, ob es klug ist, sechs Milliarden jetzt mit der Gießkanne auszuschütten. Ich persönlich habe da große Zweifel.

SZ: Warum?

Wagner: Ich sehe das langfristig. Die Effekte beim Einzelnen sind minimal. Gravierend ist hingegen das aus meiner Sicht falsche Signal, das gegeben wird. Die Abgabenlast wird in den nächsten Jahren nicht sinken können. Durch die Alterung der Bevölkerung wird die Abgaben- und Steuerbelastung für die Arbeitnehmer in den nächsten Jahrzehnten steigen. Sie müssen mit höheren Beiträgen für die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung rechnen. Ich halte es deshalb für besser, jetzt schon die Steuern zu erhöhen, um in die Infrastruktur investieren zu können, für Schulen, Kindertagesstätten oder neue Straßen und Brücken Geld auszugeben, um für den demographischen Wandel besser gerüstet zu sein. Das ist jetzt leichter als in Zukunft zu schultern, wenn die finanzielle Last für die Bürger ohnehin höher wird.

SZ: Widerspricht eine Steuersenkung nicht auch der Schuldenbremse?

Wagner: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Es könnte ja sein, dass die Bundesregierung im Gegenzug auch noch Ausgabensenkungen beschließt, um die niedrigeren Steuern gegenzufinanzieren. Außerdem hängt es davon ab, wie sich die Konjunktur und damit auch die Steuereinnahmen weiterentwickeln.

SZ: Ist eine Steuersenkung überhaupt gerecht, wenn Viel- und Spitzenverdiener in Euro und Cent gerechnet stärker profitieren als Geringverdiener?

Wagner: Das liegt in der grundsätzlichen Logik eines progressiven Steuersystems, das ja viele - ich auch - für sinnvoll halten. Je höher das Jahresgehalt ist, desto höher die absolute Entlastung. Prozentual werden die Steuerzahler im unteren Einkommensbereich jedoch am stärksten entlastet.

SZ: Viel wird aber auch bei Ihnen nicht ankommen. Wenn wie geplant der Grundfreibetrag verteilt auf zwei Jahre um insgesamt 350 Euro erhöht wird, entspricht dies einer Entlastung von gut 20 Euro pro Jahr. Das sind knapp zwei Euro pro Monat für jeden Steuerzahler. Bringt das überhaupt etwas?

Wagner: Ob die Wähler das wohlwollend registrieren, werden Union und FDP an den Wahlurnen merken. Ich erwarte mir davon jedenfalls keine konjunkturellen Effekte durch eine Stärkung des privaten Konsums. Diese minimale Steuersenkung wird makroökonomisch verpuffen.

SZ: Die Koalition will außerdem die kalte Progression abmildern und so dafür sorgen, dass der Fiskus Lohnerhöhungen bei starker Inflation nicht mehr ganz oder teilweise auffrisst. Ist das nicht ein Fortschritt, abgesehen davon, dass die Senkung auch hier allenfalls wenige Euro im Monat ausmachen dürfte?

Wagner: Das kann in der Tat ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Es darf aber kein singulärer Eingriff ins Steuersystem bleiben. Nötig wäre eine Regelung, mit der die Stufen für den nächsthöheren Steuersatz nur beschritten werden, wenn die Lohnsteigerungen über der Inflation liegen. Nur: Den Mut zu so einer Entscheidung hat noch keine Regierung besessen.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Wagner: Statt die jetzt beschlossenen Vorschläge umzusetzen, wäre ich persönlich dafür, die Vermögensteuer auf eine verfassungskonforme Art wieder einzuführen. Außerdem plädiere ich für höhere Erbschaftsteuern und eine höhere Grundsteuer. Ich will aber betonen: Was ich vorschlage und was der Gesetzgeber macht, folgt nicht mechanisch aus ökonomischen Analysen, sondern beruht auf Werturteilen. Zu Recht bestimmt hierüber die Mehrheit im Parlament.

SZ: Sie wollen also fleißige Häuslebauer und diejenige bestrafen, die die FDP die Leistungsstarken nennt?

Wagner: Quatsch, nicht bestrafen und nicht die kleinen Häuslebauer. Aber wenn mit den Leistungsstarken die wirklichen Reichen gemeint sind, dann würde ich sie stärker belasten, ja. So ein Programm müsste so hohe Freibeträge beinhalten, dass nur die wirklich Vermögenden zur Kasse gebeten werden. Das würde zehn bis 15 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen im Jahr bringen.

SZ: Und das ist gerecht?

Wagner: Wie gesagt: Wie Steuern verteilt werden, ist eine Frage von politischen Wertvorstellungen. Meine Meinung ist: Wir sollten die stärker belasten, die auch vom Wirtschaftsaufschwung im letzten Jahrzehnt am meisten profitiert haben. Damit würden übrigens auch diejenigen für die Griechenland-Rettung am meisten zahlen, die zuvor stärker von dem niedrigen Lohnniveau in Deutschland und dadurch möglichen Exporterfolgen in hohem Maße profitiert haben. Und das waren nicht die Arbeitnehmer, die in den letzten Jahren sogar teilweise an Kaufkraft verloren haben.

© SZ vom 08.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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