Der Fall Zumwinkel:Tarifa ist überall

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Im Fall von Ex-Post-Chef Zumwinkel wird es ein schnelles Urteil geben, doch auf der Strecke bleiben Klarheit und Wahrheit - warum sich bei der juristischen Behandlung die Nackenhaare sträuben.

H. Prantl

Tarifa ist eine Stadt an der Südspitze Spaniens; einst mussten die Seefahrer dort für ihre Passage durch die Meerenge von Gibraltar eine Gebühr entrichten, den "Tarif". Das Wort ist längst eingedeutscht - Tarife gibt es mittlerweile sogar an den Strafgerichten. Es steht zwar davon nichts im Gesetz; die Tarife haben sich aber in der Praxis herausgebildet und sind gang und gäbe.

Schneller Prozess: Der ehemalige Post-Chef Zumwinkel muss sich wegen Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten. (Foto: Foto: ddp)

Die Preisliste basiert darauf, wie sich der Beschuldigte verhält - ob und wie er (beziehungsweise sein Verteidiger) mit dem Staatsanwalt kooperiert. Im Fall Zumwinkel ist es so, dass sich Verteidigung und die Staatsanwaltschaft ziemlich gut miteinander ins Benehmen gesetzt haben. Zumwinkel erhält deshalb den "Kurzstreckentarif". Er bezahlt die Hinterziehung von knapp einer Million Euro Steuern nicht mit Haft, wie es eigentlich geboten wäre, sondern nur mit Bewährung und Geldauflage, wenn er kooperiert und geständig ist.

Der Kurzstreckentarif ist die im konkreten Fall denkbar mildeste Strafe. Der Beschuldigte erhält diesen Tarif, wenn das Gericht nur noch die Anklage verlesen muss und der Angeklagte sodann ein Geständnis ablegt, das Strafverfahren also sehr kurz ist. Der Mittelstreckentarif wird fällig, wenn das Gericht eine Zeitlang verhandeln muss und erst dann das Geständnis kommt. Der Langstreckentarif, der Tarif mit der denkbar höchsten Strafe, gilt dann, wenn die Sache, wie es sich eigentlich nach dem Gesetz gehört, durchverhandelt werden muss - was oft sehr, sehr lange dauert. Der Langstreckentarif ist also auch Strafe dafür, dass der Beschuldigte auf seinem Recht bestanden und sich der Ökonomisierung des Strafprozesses verweigert hat.

Das Unwesen der Straftarife gehört in den Formenkreis des Deals. Dessen Lobredner sagen, so werde im Konsens der Rechtsfriede gemeinsam hergestellt. Der Strafrechtler Winfried Hassemer, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, hat dazu gesagt, was zu sagen ist: "Wenn ich das Wort Konsens im Zusammenhang mit Strafrecht höre, sträuben sich bei mir die Nackenhaare." Ein Strafprozess ist immer eine hierarchische Veranstaltung, bei der jemand Eingriffe in seine wichtigsten Grundrechte erleidet. Das geschieht nie im Konsens: Früher, vor dreißig Jahren, war es eine konfliktbereite Verteidigung, die die Gerichte mit Beweisanträgen bombardierte, um so milde Verständigungsurteile zu erzwingen. Später hat die Justiz den Spieß umgedreht: durch Drohung mit Untersuchungshaft oder hoher Strafe nötigt man den Angeklagten zum verfahrensverkürzenden Geständnis.

Oft ist nur eine Seite zufrieden, manchmal sind es beide Seiten - so wohl im Fall Zumwinkel. Der Ex-Post-Chef muss nicht ins Gefängnis; die Justiz aber bekommt schnell ein rechtskräftiges Urteil und viel Geld. Auf der Strecke bleiben Klarheit und Wahrheit. Demnächst legt die Bundesjustizministerin dem Kabinett ein neues Paragraphenwerk vor: Der Deal wird Gesetz; das Gericht ein Basar.

© SZ vom 14.01.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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