Bodo Kirchhoff:"Unser Schicksal heißt Banalität"

Schriftsteller Bodo Kirchhoff erzählt, wie die Finanzbranche Beziehungen verändert und eine Leiche ihn zum Autor machte.

A. Hagelüken u. H. Wilhelm

Hauptbahnhof, Bistro "Multi". Die Spielautomaten piepsen, frühe Trinker berauschen sich an Weißbier und Wein. Bodo Kirchhoff, 61, erforscht als Schriftsteller (www.bodokirchhoff.de) häufig Grenzbereiche. Mit "Infanta" über die Beziehung eines Deutschen zu einer Philippinerin gelang ihm ein Bestseller. Im "Schundroman" porträtiert er einen Auftragskiller und in "Erinnerungen an meinen Porsche" die Welt der Investmentbanker.

Kirchhoff, Foto: ddp

Bodo Kirchhoff sagt: "Ich fahre auch gerne ein schönes Auto."

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SZ: Bodo Kirchhoff, reden wir über Geld. Ihr aktueller Roman handelt vom Crash eines Investmentbankers und der Mentalität einer Branche, die die Finanzkrise auslöste. Was fanden Sie heraus?

Bodo Kirchhoff: Das fängt schon bei der Sprache an. Es ist wie bei der Alchemie. Alchemisten haben eine eigene Sprache kreiert, um eine Kunst des Goldmachens vorzutäuschen, die es nicht gibt. So ähnlich war es bei den Bankern.

SZ: Die Investmentbanker erlebten einen erstaunlichen Aufstieg, der sie von Geld und Status her an die Spitze der Gesellschaft katapultierte.

Kirchhoff: Das Bankgewerbe war ursprünglich fahrendes Volk, das Geld verlieh. Da erfand jemand den grauen Anzug, das weiße Hemd und die Krawatte. Aus Planwagen wurden Hochhäuser. Alles Versuche, einem Gewerbe einen seriösen Anstrich zu geben, das per se nicht ganz seriös ist und in dem nichts produziert wird außer Gewinn. Die Dialektik: Irgendwann konnten die Banker per Knopfdruck Milliarden um die Welt schicken, und dann war die Seriosität wieder unwichtig - sie konnten die Krawatte ablegen, Pizza aus der Hand essen und im Büro schlafen.

SZ: Ein seriöser Anstrich war unnötig, weil die Macht so groß war.

Kirchhoff: Die verdienen mit wenigen Handlungen so viel Geld wie viele Menschen im Leben nicht. So lösen sie sich von einem Großteil der Menschheit ab. So jemand glaubt, dass er sich die Menschen unterwerfen kann. Dieser Punkt interessiert mich, all das könnte ich aber nicht schreiben, wenn nicht auch in mir etwas wäre, das diese Impulse versteht.

SZ: Was ist der Banker in Ihnen?

Kirchhoff: Ich kenne die Freude darüber, mal schnell Geld zu verdienen. Wenn ich für eine Lesung 1000 Euro bekomme, ist mir immer bewusst, dass andere Menschen dafür lange arbeiten müssen. Ich fahre auch gerne ein schönes Auto.

SZ: Was für eins?

Kirchhoff: Einen gebrauchten Jaguar mit kleinen hölzernen Tabletts, die sich aus den Lehnen der Vordersitze herausklappen lassen. Und mit gewaltigem Beinraum für die, die hinten sitzen. Der Wagen ist viel zu groß für mich und darin liegt die Freude.

SZ: Sie scheinen gut zu verdienen.

Kirchhoff: Ach was, ich lebe von der Hand in den Mund. Auf gutem Niveau, aber ohne jede Altersvorsorge. Ich muss arbeiten, solange ich meinen Verstand habe. Es gibt kein Netz.

SZ: Haben Sie deshalb Angst?

Kirchhoff: Ich hatte vor einem Jahr einen Fahrradunfall und wachte erst in der Notaufnahme wieder auf. Ich habe keine Erinnerung, war eine Stunde bewusstlos. Das war ein Schock. Es hätte nicht viel gefehlt und ich säße im Rollstuhl.

SZ: Seitdem haben Sie Angst.

Kirchhoff: Ich lasse mich nicht verrückt machen. Früher war ich als Autor viel in Kriegsgebieten. Einmal fuhr ich mit einem Fotografen tagelang durch Somalia, zu der Zeit, als dort US-Soldaten gelyncht wurden. Dann hatte ich einen Leistenbruch und musste die Reise unterbrechen. Der Fotograf fuhr alleine weiter und wurde am nächsten Tag gesteinigt. Seitdem denke ich: Zum Leben gehört Glück. Und das werd ich schon irgendwie haben im Alter.

"Zum Leben gehört Glück"

SZ: Haben Sie wirklich so wenig verdient? Von einem Roman wie "Infanta" verkauften Sie mehrere hunderttausend Stück.

Kirchhoff, Foto: dpa

Kirchhoff, im Jahr 2002. Seinen Weg zum Schreiben fand er durch "psychologisch-biographische Faktoren".

(Foto: Foto: dpa)

Kirchhoff: Das war die Ausnahme. Normalerweise verkaufe ich bei meiner Bekanntheit etwa 10.000 Stück. Ich kriege wie andere etwa zwei Euro für das gebundene Buch. Da verdiene ich 20.000 Euro an einem Buch, an dem ich zwei, drei Jahre saß. Das ist die dümmste Investition, die einer machen kann. Aber ich schreibe ja auch Drehbücher. Und seit acht Jahren gebe ich mit meiner Frau in unserem Haus am Gardasee Schreibseminare für alle, die an ihrer Sprache arbeiten wollen. Diese Seminare sind inzwischen eines meiner Standbeine.

SZ: Wie kamen Sie zum Schreiben?

Kirchhoff: Da gab es viele psychologisch-biographische Faktoren. Nach dem Abitur Ende der sechziger Jahre ging ich erst mal zur Bundeswehr, weil ich glaubte, für den bewaffneten Kampf üben zu müssen ...

SZ: ... gegen den Kapitalismus?

Kirchhoff: Klar. Aber die Genossen ließen mich im Stich. Die vögelten in Berlin, während ich im Dreck wühlte. Da merkte ich: Das war der falsche Plan. Ich fing an zu studieren. Neben mir im Hochhaus lebte ein alter Ungar, ein Vertriebener. Der rief nachts immer "Katastrophe, Katastrophe". Plötzlich hörten die Rufe auf. Mir wurde unheimlich, ich kletterte über den Balkon, im siebten Stock. Er war tot. Ich behielt es für mich und fing an, mein erstes Buch zu schreiben. Irgendwann war es nicht mehr zu verheimlichen, da alarmierte ich die Polizei.

SZ: Wie lange lag er da schon?

Kirchhoff: Bestimmt drei Wochen.

SZ: Puh. Das klingt krank. Warum haben Sie es für sich behalten? Kirchhoff: Es war eine schwierige Zeit für mich. Ich weiß es nicht. Ich habe mich erst durch meine Frau und meine Kinder vom Einsiedlerkrebs zu einem sozialen Wesen entwickelt.

SZ: Stimmt es, dass Sie nicht mit ihr in einer Wohnung zusammenleben?

Kirchhoff: Wir verbringen die Sommer in unserem Haus am Gardasee. Aber in Frankfurt haben wir getrennte Wohnungen, seit 25 Jahren. Ich gehe erst gegen 18 Uhr nach Hause, und wir essen zusammen, reden. Gegen elf gehe ich wieder zu mir. Ich stehe dort früh auf und schreibe, in einem Hochhaus, von dem ich über die Banken schaue.

SZ: Was sehen Sie im Bankenviertel?

Kirchhoff: Ich sehe die Porsches, die über die Mainbrücke donnern, den kleinen Dienstwagen der Banker.

SZ: In Ihrem Roman steht der Porsche nicht nur für das Auto, sondern auch für das Geschlechtsteil des Bankers. Der Klatschkolumnist Michael Graeter hat mal gesagt: Ich brauche keinen Porsche, ich habe einen Penis.

Kirchhoff: Das hat er gesagt, als er noch jünger war. Heute braucht er vielleicht auch einen Porsche.

SZ: Was ist der Porsche der Frau?

"Porsche, der kleine Dienstwagen der Banker"

Porsche, Foto: dpa

In seinem Roman steht der Porsche nicht nur für ein Auto, sondern auch für das Geschlechtsteil des Bankers.

(Foto: Foto: dpa)

Kirchhoff: Ihre Kleidung, Ihre Schuhe, Ihre Haare. Sie will sich einen guten Körper verschaffen, eine gute Karosserie.

SZ: Sind Sie ein Frauenfeind?

Kirchhoff: Immer dieser alte Quatsch. Ich bin nur einer, für den der Körper das Maß aller Dinge ist, was übrigens auch Kafka mindestens so empfunden hat. Ich war einer der Ersten, die ins Fitnessstudio gingen, Mitte der Siebziger. Da waren drei Klassen von Männern: Zuhälter, irrsinnige Einzelgänger wie ich und Schwule. Wir trainierten in dunklen Kellerräumen unter Fotos von Arnold Schwarzenegger. Fitness ist nichts anderes, als sich eine Karosserie zu verpassen. Und meine Poetikvorlesung von 1993 hieß nicht umsonst: Legenden um den eigenen Körper. Auch Geld oder das Schreiben ist so eine bessere Karosserie. Und letztlich geht es darum, etwas zu gewinnen, für das es früher ein ganz anderes Wort gab: Charakter. Charakter aber bildet sich durch Lebensgeschichte, und auf die hat man nur bedingt Einfluss. Gerade jüngere Menschen erkennen, dass sie ihre Biographie nicht wesentlich beeinflussen können und legen sich blitzschnell eine Karosserie zu, einen Tagesruhm, ein Charaktersurrogat.

SZ: Und was sagt Ihr Porsche-Roman zu dem Thema?

Kirchhoff: Dass dieser aufgeblasene Blitzkriegruhm krank macht, weil danach der Zusammenbruch kommt. Und dann landen die Leute im Sanatorium und werden wahnsinnig, weil keiner sie mehr erkennt.

SZ: Sind Sie frei von Eitelkeit?

Kirchhoff: Ich war schon in der Schule ein Showmaster, ich moderierte die Revolution. Heute freue ich mich, wenn ich auf Lesungen Menschen mitreiße. Ich durchschaue, dass so ein Blitzerfolg lächerlich ist, aber er erfreut mich trotzdem. Das interessiert mich auch an der Finanzwelt. Dieses Aufgeblasene, das die Banker ja auch durchschauen, denn es sind durchweg intelligente Leute, aber es ist eine Intelligenz ohne Wurzeln, ohne lebensgeschichtliche Substanz. Ich kann verstehen, dass man der Neigung zu mehr Schein als Sein erliegen kann. Gleichzeitig verachte ich diesen faulen Zauber, weil ich selbst so viel Anstrengung darauf verwende in meinen Büchern, etwas Wahrhaftiges zu erzählen.

SZ: Sie reiben sich an den Bankern, entdecken aber Züge in sich.

Kirchhoff: Gefährlich finde ich, wie bei ihnen das Privatleben verwahrlost.

SZ: Was meinen Sie damit?

Kirchhoff: Wer 20 Stunden arbeitet, schafft sein Privatleben ab. Es ist einfacher, sich in der beruflichen Stresszange zu bewegen und dafür belohnt zu werden, als sich auf privatem Glatteis zu tummeln, wo man unter Umständen durch ein falsches Wort einen geliebten Menschen verlieren kann, ein Kind. Das ist vielen zu kompliziert. Sie flüchten aus Beziehungen, aus dem, was sie meinen, weniger unter Kontrolle zu haben.

SZ: Wie verändert die Turbomentalität menschliche Beziehungen?

Kirchhoff: Sie erhebt den Quickie zur normalen Umgangsform. Der Quickie beim Geld und der beim Sex sind nicht weit entfernt. Es ist eine Welt, in der man nicht über Konsequenzen nachdenkt, sondern den Kick sucht. Ich verstehe das, ich hatte auch Quickies. Aber davon blieb nur eine vage Erinnerung. Ein Wahnsinnserlebnis dagegen war, als ich mit 18 Jahren eine Frau küsste. Davon ist mir jedes Detail in Erinnerung.

SZ: Wie schön.

Kirchhoff: Die Technologie sorgt dafür, dass auch unsere Mediennutzung aus Quickies besteht. Wir haben eine Disposition, eigentlich eine kindliche Verhaltensweise, uns einem unaufhaltsamen Strudel von Informationen oder Bildern hinzugeben. Diese Disposition geht eine unglückliche Verbindung mit der Technologie ein, mit Handy und Internet. Das Schicksal meiner Eltern hieß Krieg, unseres heißt Banalität.

SZ: Klingt sehr kulturpessimistisch.

Kirchhoff: Wir haben ein bisschen Pech, wir sind die Fernsehgeneration. Meine stille Hoffnung ist, dass diese ganze Technologie auf ihre Banalität zurückgeführt wird. Und dann können andere Dinge wieder an Kraft gewinnen. Bücher spielen dann wieder eine größere Rolle. Literatur ist das Gegenteil von Quickies. Sie schafft und dehnt Zeiträume. Dafür lohnt es sich, jahrelang in einer Kammer zu schreiben, obwohl kein Mensch auf das Ergebnis wartet.

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