Zündfunk-Netzkongress:Nur keine Panik

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Zündfunk Netzkongress im Volkstheater: Live-Songwriting mit Johannes von Weizsäcker (Foto: Stephan Rumpf)

Haben wir unsere digitale Zukunft noch selbst in der Hand? So lautete eine zentrale Frage des Zündfunk Netzkongresses. Im Münchner Volkstheater wird schnell klar: wir müssen uns anstrengen und sie gestalten.

Von Julian Dörr

Antigone starrt auf ihr Smartphone. Und das Publikum auch. Gerade hat Kreon, der König von Theben, sein Urteil gefällt. Antigone, die Tochter des Ödipus, zögert kurz, dann verschickt sie die Nachricht. "Von: Cincinnatus, An: Glenn Greenwald, ich kann Ihnen Dinge erzählen, die Sie mit Sicherheit interessieren werden", steht da auf den Smartphone-Bildschirmen. Bei dieser E-Mail, die nun jeder im Zuschauerraum des Volkstheaters lesen kann, handelt es sich um den berühmten ersten Kontakt zwischen dem Whistleblower Edward Snowden - Cincinnatus - und dem Journalisten Glenn Greenwald. Es ist die Nachricht, mit der die NSA-Enthüllungen ihren Lauf nahmen.

Sophokles' Tragödie zeigt auf der Bühne des Volkstheaters erschreckende Aktualität. "Ich muss Theben die Wahrheit sagen." Antigone, die antike Whistleblowerin, lehnt sich auf gegen Kreon, den Regisseur Manuel Braun als autokratischen Herrscher im Kampf gegen den Terror inszeniert. Auf der Leinwand im Hintergrund flimmern Bilder von IS-Kämpfern und Videoaufnahmen von Überwachungsdrohnen. Die Zuschauer kleben gleichzeitig an den Bildschirmen ihrer Smartphones, wo sie via Twitter oder Facebook zusätzliche Bilder und Videos erhalten. Multimedial umgesetzt haben dieses interaktive Stück die beiden Journalisten Hakan Tanriverdi, der auch für SZ.de arbeitet, und Teresa Fries. Reizüberflutung im Zuschauerraum, ein gelungener Auftakt für den Netzkongress.

Zum zweiten Mal hat der Zündfunk ins Volkstheater eingeladen. Auf drei Bühnen und mehr als 30 Panels diskutieren Zuschauer und Gäste wie der serbische Polit-Aktivist Srda Popović, Krautreporter Alexander von Streit und Investigativ-Journalist Bastian Brinkmann. Das Motto in diesem Jahr: Don't panic! Keine leichte Sache, denkt man an NSA-Affäre, Twitter-Sperre in der Türkei oder den Erfolg von Dave Eggers' Dystopie-Roman "The Circle".

Wenn wir also nicht in Panik geraten sollen, was dann? Haben wir unsere digitale Zukunft noch selbst in der Hand? Dieser Frage widmete sich Frank Rieger, deutscher Hacker und Sprecher des Chaos Computer Clubs, bei seiner Eröffnungsrede. Es geht um Big Data, die Sammelwut der Geheimdienste und die Oligopole großer Internetkonzerne wie Google und Facebook, die große Teile des Internetverkehrs unter sich aufteilen. Kontrollgremien wie der NSA-Ausschuss seien machtlos und neue politische Parteien wie die Piraten gescheitert. Die Angst vor der totalen Überwachung im Netz ist da, aber wie war das noch mal mit der Panik? "Wir können und müssen etwas tun", sagt Rieger. Die Privatsphäre müsse geschützt, große Firmen hingegen transparenter werden. Rieger möchte öffentlich-rechtliche Strukturen im Internet etablieren, die weder von staatlicher Sicherheitspolitik noch von privatwirtschaftlichem Denken bestimmt sind.

Netz befreit Kunst

Öffentlich-rechtliche Strukturen im Netz? Das klingt teuer und vor allem schwerfällig. Aber ist das Internet überhaupt noch der wilde, freie Raum, der es in unserer Vorstellung einmal war? Das Netz könne die Kunst befreien, sagt Kunsthistoriker Christian Gries. Künstler wie Ai Wei Wei und Matthew Barney setzen ihr Denken heute im Digitalen fort und Museen treten durch Apps in Interaktion mit den Besuchern. Auf der Frankfurter Buchmesse haben die Pinakotheken gerade den Virenschleuderpreis für ansteckendes Marketing gewonnen. Unter #myrembrandt hatten sich Nutzer auf der ganzen Welt mit Reproduktionen eines Rembrandt-Selbstbildnisses fotografiert - während das Original wegen der Sanierung der Alten Pinakothek gerade nicht zu sehen war.

Dass die Kunst mit Hilfe des Internets die Politik befreien kann, zeigen Philipp Ruch und Kathrin Leonard vom Zentrum für politische Schönheit. Mit ihrer Kunstaktion "Kindertransporthilfe des Bundes", die syrische Flüchtlingskinder in deutschen Pflegefamilien unterbringen sollte, hatten sie den politischen Betrieb der Hauptstadt und insbesondere das Familienministerium aufgemischt. "Blamiert haben wir niemanden", sagt Philipp Ruch, "wir haben lediglich ein schlüsselfertiges Konzept erstellt." Die Zuschauer sind begeistert, es gibt Szenenapplaus, am Ende spricht eine Frau aus dem Publikum aus, was viele denken: "Nur so kann Kunst heute noch laufen, alles andere ist doch Käse."

Werkzeug der Selbstermächtigung

Es gibt ihn also noch, den alten Traum vom Netz als Werkzeug der Selbstermächtigung. Das sieht auch Ole Reißmann so, der in seinem Vortrag die Hacker-Kultur auf Bücher treffen lässt. Wenn einer das Motto dieses Netzkongresses verinnerlicht hat, dann ist es der Spiegel-Online-Redakteur Reißmann. Bücher digitalisieren? Kein Problem, solange nicht nur Google die Möglichkeit hat, Wissen zu scannen. Am Ende gibt es noch eine Runde Ohrfeigen für die Fortschrittsskeptiker: "Auch eine Bücher-Flatrate wie kindle unlimited kann für den Buchhandel befreiend sein. Die Zukunft ist da. Kommt damit klar."

Angekommen in der Zukunft sind die Verlegerinnen vom digitalen Katersalon. Christiane Frohmann spricht von den Vorurteilen, die viele Print-Haudegen noch immer gegenüber E-Books hegen. Den Wandel in der Branche sieht die Digitalverlegerin gelassen: "Für einige Protagonisten, die zu statisch sind, ist es vorbei. Die anderen bewegen sich auf eine neue Kultur zu." Ein kreativer Funkensprung ist auch Teil des Experiments, das der Autor und Musiker Johannes von Weizsäcker alias Erfolg auf der Bühne des Volkstheaters startet. Einen Monat lang möchte er jeden Tag einen Song komponieren, texten, aufnehmen und ins Internet stellen - mit Unterstützung der Crowd. Auf dem Netzkongress entsteht der erste Song, den Weizsäcker zum Abschluss am Samstagabend präsentiert. Aus dem Laptop dröhnt ein schwerer Beat, der Berliner rappt, und ein aus dem Publikum rekrutierter Chor mit roten Bauarbeiterhelmen und weißen T-Shirts singt den Refrain: "Leberkas, Leberkas, warum heißt du Leberkas?" Der zweite Zündfunk Netzkongress klingt aus und es bleibt festzuhalten: Kein Grund zur Panik. Haben wir unsere digitale Zukunft also selbst in der Hand? "Ja", sagt Eröffnungsredner Frank Rieger, "aber wir müssen uns anstrengen." Antigone hat sich schon entschieden.

Zu den Highlights des Netzkongresses: bitte hier entlang.

© SZ vom 13.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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