Start-up-Konferenz Next:Über den Mut, von der Klippe zu springen

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Die Start-up-Szene trifft sich in Berlin zu einer der wichtigsten Konferenzen der hiesigen Internet-Wirtschaft. Viele sind genervt von den ständigen Fragen nach einem deutschen Google. Dass es damit nicht so klappt, liegt aber auch an der deutschen Mentalität.

Von Pascal Paukner und Hakan Tanriverdi, Berlin

Am Bauzaun kommt niemand vorbei. Zwei Meter hoch, bestimmt fünfzig Meter lang. So steht er da im Zentrum der Hauptstadt, an der Mündung der Alexanderstraße. Einzig ein paar Wegweiser lassen erahnen, dass dort in den Räumen dahinter keinesfalls die Tagung der deutschen Bauwirtschaft stattfindet, sondern ganz im Gegenteil eine der wichtigsten Konferenzen der Internet-Ökonomie in diesem Land.

1800 Besucher sind in diesem Jahr zur Next gemeldet. Die Konferenz im Kongresszentrum am Alexanderplatz ist ein Treffen von Eliten. Gründer, Unternehmer, Berater und Finanziers aus der Branche kommen hier zusammen. Vorträge, Werkstatt-Berichte und Start-up-Präsentationen gibt's im Rahmenprogramm, und auch Nähe zur Berliner Republik ist vorhanden: Der Bundesinnenminister hält einen Vortrag, die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium spricht zur Eröffnung der Veranstaltung, die diesmal unter der Überschrift "The New Normal" stattfindet.

Das Motto trifft den Zeitgeist. Normalität ist das, was sie hier gerne mal hätten. Seit Jahren schon tobt rund um die Berliner Start-up-Szene ein absurder Kulturstreit. Vordergründig geht es dabei um die Frage, warum die deutsche Internetwirtschaft im internationalen Vergleich so außergewöhnlich klein geraten ist. Tatsächlich steckt dahinter mehr. Es geht um das Selbstverständnis der Wirtschaftsnation Deutschland, die viel auf ihre Ingenieurskunst hält und für die es eine ungewöhnliche Erfahrung ist, dass neue, mächtige digitale Technologien überall auf der Welt entwickelt werden, aber nur selten im eigenen Land.

Die ständigen Fragen, wann denn nun endlich mit einem deutschen Google oder einem deutschen Facebook zu rechnen sei, sind gerade deshalb so irrwitzig, weil die kollektive Kränkung damit vor allem jene trifft, die am wenigsten dafür können: Jungunternehmer, die ein Wagnis eingehen und ein Unternehmen starten.

Das Silicon Valley ist auch nicht einfach vom Himmel gefallen

Als im Februar in der Wirtschaftswoche ein Artikel erschien, der überschrieben war mit dem Satz " Bei Berlins Start-ups ist die Party vorbei" , brach bei vielen dann tatsächlich Katerstimmung aus. Nicht, weil die Geschäfte so schlecht liefen. Man hatte vielmehr genug von den ewigen Vergleichen mit dem Silicon Valley. Ja, Deutschland hinkt hinterher. Aber das Silicon Valley ist auch kein Projekt, das plötzlich vom Himmel gefallen ist. Das innovationsfreundliche Klima dort hat sich über Jahrzehnte entwickelt, der Staat kräftig durch Subventionen mitgeholfen.

Philipp Moehring zuckt denn auch mit den Schultern. "Klar ist Berlin noch weit entfernt von dem, was dort oder auch in London passiert", sagt er. Moehring arbeitet für Angellist, ein Unternehmen aus San Francisco, das Kontakte zwischen Start-ups und Risikokapitalgebern herstellt. 2013 sollen laut eigenen Angaben auf diesem Weg 500 Startups insgesamt 125 Millionen eingesammelt haben.

Angellist expandiert aktuell, das Europageschäft will koordiniert werden: von Berlin aus. "Die Szene hier ist sehr jung. Es passiert gerade sehr viel - dazu gehören auch Pleiten", sagt Moehring. Während im Silicon Valley und in London bereits die Ökosysteme existieren, sei Berlin noch am Anfang. Die Start-ups gebe es im Schnitt seit fünf Jahren. Das große Geschäft soll also erst noch kommen.

Viele derjenigen, die auf das große Geschäft noch hoffen, sind jetzt auf die Next gekommen. Montagnachmittag, ein Konferenzraum im Erdgeschoss der Kongresszentrums. Etwa 100 Menschen sitzen hier vor einer Bühne, oben stehen abwechselnd junge Gründer, die meisten sind Männer. Sie präsentieren ihre Geschäftsideen vor großem Publikum.

Mit ihnen auf der Bühne sitzen drei Männer, die Juroren. Sie entscheiden, wer die besten Ideen hat. Am Ende steht nach mehreren Durchläufen ein Sieger fest, der sich der Aufmerksamkeit möglicher Investoren sicher sein kann. Solche Präsentationen sind harte Arbeit, sie müssen akribisch vorbereitet werden. Wer hier patzt, setzt sein ganzes Projekt aufs Spiel.

Alles richtig machen wollen, das funktioniert selten

Matthias Schrader ist spät dran. Irgendwas ist bei der Planung schief gelaufen. Gleich wird er oben vor versammeltem Publikum die Konferenz eröffnen. Dennoch nimmt er sich Zeit für Gespräche. Zum neunten Mal macht er, der Chef der Veranstaltung, das nun. Die Next hat sich in dieser Zeit von einem kleinen unbedeutenden Digitaltreffen in Hamburg mit 300 Teilnehmern zu einem wohlbekannten Kongress entwickelt.

Schrader ist Chef einer Internetagentur mit 500 Mitarbeitern. Sie zählt zu den Großen der Branche. Befragt nach dem Zustand der Internetindustrie in diesem Land, sagt der 46-Jährige: "Software ist hierzulande eher Mittel zum Zweck, sie ist nicht Teil der DNA. Wir sind hier sehr betriebswirtschaftlich getrieben." Wer ein Start-up gründe, denke vor allem, wie sich damit Geld verdienen lasse. Das sei in Amerika oft anders.

In Deutschland dagegen herrsche eine Angestelltenkultur. Der Blick sei darauf gerichtet, in einem Unternehmen zu arbeiten und innerhalb dessen eine Karriere hinzulegen. Eigene Ideen zu realisieren und ein Unternehmen zu gründen, sei eher die Ausnahme. Zu oft fehle der Mut, "von der Klippe zu springen und das Flugzeug auf dem Weg nach unten zu bauen", so Moehring. Bei diesem Sturzflug würden viele Start-ups pleite gehen. Der Verlust sei aber bei den Geldgebern bereits einkalkuliert. Schätzungen gehen mittlerweile davon aus, dass 75 Prozent des Risikokapitals, das in Start-ups investiert wird, verpufft. Springen, bauen, crashen, sich wieder auf den Weg zur Klippe machen, erneut springen und es schaffen - hoffentlich.

So funktioniert das Business. Es ist eine Mentalität, die wenig zu tun hat mit dem deutschen Hang zur Perfektion. Alles immer richtig machen wollen, das funktioniert bei der Unternehmensgründung nur selten. In Berlin haben sie das erkannt. Es ist ihre neue Normalität, die sie hier zelebrieren. Es ist eine neue Gelassenheit. Der Bauzaun am Eingang, den sie extra haben aufbauen lassen. Er steht als Symbol für: Hier wird noch gebaut, hier ist noch nichts fertig. Alles was hier passiert, ist ein bisschen umständlich. Denn natürlich kommen trotz der Barrikade alle zur Konferenz rein. Sie müssen nur einen Umweg gehen, durch den Nebeneingang.

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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