Macher des Videospiels "GTA V":Mit Tänzerinnen und Käsebällchen

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Wild, berauschend und vulgär: Wie es bei der Videospielfirma Rockstar Games wirklich zu geht, weiß keiner so genau. Es gibt nur Geürchte. (Foto: Rockstar Games)

Das neue "Grand Theft Auto V" begeistert Gelegenheitsdaddler und Intensivspieler gleichermaßen. Es geht noch brutaler, ekliger und makabrer zu als bei seinen Vorgängern. Über die Macher, die Chefs der Computerspielfirma Rockstar Games, weiß man nur wenig. Nur so viel: Sie sind scheu und leben wild.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

In der Willow Street in Brooklyn steht ein gelbes Haus. Truman Capote schrieb dort seine Romane "Frühstück bei Tiffany" und "Kaltblütig". Ein paar Meter weiter wohnte Arthur Miller. Bis zum East River sind es zu Fuß zwei Minuten, drüben am anderen Ufer erhebt sich die Skyline von Manhattan.

Im gelben Haus wohnt heute Dan Houser, Erfinder der Videospielserie "Grand Theft Auto" (GTA) und Chef der Computerspielfirma Rockstar Games. Er hat es im März vergangenen Jahres für 12,5 Millionen Dollar gekauft - die höchste Summe, die jemals für ein Wohnhaus in Brooklyn bezahlt wurde.

Houser hat sich in diesem Haus im Künstlerviertel Brooklyn Heights ebenfalls ein Meisterwerk ausgedacht: "Grand Theft Auto V", die Videospiel gewordene Hommage an Los Angeles mit einem äußerst gewalttätigen Plot. Die aktuelle Episode nimmt mit bitterbösem Humor die amerikanische Gesellschaft auseinander. Allein die Marketingkampagne hat 265 Millionen Dollar gekostet.

Rekordverdächtig im Rekorde sammeln

Das Spiel bricht gerade alle Verkaufsrekorde, nicht nur die der Computerspielbranche, sondern die der kompletten Unterhaltungsindustrie. Im "Guinness Buch" hat das Spiel bereit sieben Rekorde erzielt. Nur zwei davon: innerhalb von 24 Stunden hat das Spiel 815,7 Millionen Dollar umgesetzt, das hat zuvor nicht mal ein Film geschafft.

Die Eine-Milliarde-Marke war nach drei Tagen geknackt, auch das ist noch keinem Entertainment-Produkt so schnell gelungen. Zum Vergleich: Der bisherige Rekordhalter, das Videospiel "Call of Duty: Black Ops", brauchte 15 Tage, der schnellste Film, "Avatar", brauchte 17.

Der Erfolg hat laut einer Studie des Marktforschungsinstituts NPD Group weitreichende Auswirkungen auf die zuletzt stagnierende Branche: Allein in den Vereinigten Staaten stieg der Umsatz durch Computerspiele im September im Vergleich zum Vorjahresmonat um 27 Prozent auf 1,08 Milliarden Dollar. Einen derartigen Sprung gab es zuletzt im Juni 2008 - nach dem Verkaufsstart von "GTA IV". Zudem wurden im September zum ersten Mal nach 32 Monaten wieder mehr Playstation-3-Konsolen als Xbox-360-Geräte verkauft. Der Grund: das günstigere GTA-V-Paket von Sony.

"'Grand Theft Auto' ist ein kulturelles Phänomen, es definiert stets neu, was bei interaktiver Unterhaltung erreicht werden kann", sagt Strauss Zelnick, Geschäftsführer von Publisher Take-Two Interactive. Der Erfolg der 'GTA'-Serie ist nicht nur erfreulich für Hersteller Rockstar und die Anteilseigner von Take-Two, der Preis für eine Aktie stieg in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als die Hälfte auf gut 17 Dollar.

Nachdem jahrelang zwischen Produkten für Intensivspieler wie etwa "Call of Duty" und denen für Gelegenheitsdaddler wie "Angry Birds" unterschieden wurde, taugt dieses Spiel für den Massenmarkt. Die Nachricht an den Kulturbetrieb lautet: Schaut mal her, so wird heutzutage mit Kunst, und nichts anderes ist "Grand Theft Auto V", ein Haufen Geld verdient!

Das wilde Leben der Bosse

Sam Houser, 41, gilt als der Ideengeber für die Spiele, der zwei Jahre jüngere Dan ist für die Drehbücher verantwortlich. Sie stammen aus einer wohlhabenden Familie in London und leben mittlerweile in New York. Sie besuchten die Privatschule St Paul's School. Dan studierte dann in Oxford, Sam besuchte die University of Cambridge und war Regisseur der ersten Musikvideos der Popgruppe Take That.

Die beiden treten nur selten in der Öffentlichkeit auf, Interviews mit ihnen sind so rar wie ein Protagonist in 'GTA V', der nicht auf irgendeine Weise verrückt ist. Anfragen bleiben unbeantwortet oder werden abgesagt mit der kurzen Begründung, kein Interesse an einem Porträt zu haben.

Es braucht deshalb die Erzählungen von Menschen, die mit den Housers zu tun gehabt oder bei Rockstar gearbeitet haben, um zu verstehen, wie diese Firma funktioniert - warum sie derart erfolgreiche Produkte herausbringt, die Spiele überaus provokativ bewirbt und keine Scheu hat, sich mit mächtigen amerikanischen Politikern zu streiten, die die 'GTA'-Serie mit Schießereien an Schulen in Verbindung bringen.

Tänzerinnen und Käsebällchen für die Mitarbeiter

Es soll recht wild zugehen in den New Yorker Büros von Rockstar. Der Autor David Kushner berichtet in seinem Buch "Jacked: The Unauthorised Behind the Scenes Story of Grand Theft Auto", dass in der Firma bisweilen Fressorgien abgehalten werden, bei denen die Mitarbeiter bis zum Erbrechen Käsebällchen essen sollen, um sich ein Preisgeld von etwa 3000 Dollar zu sichern.

Auf Firmenpartys traten exotische Tänzerinnen in christlichen Schuluniformen auf. Gillian Telling, einst die Assistentin von Dan Houser, erzählt, dass sie mit zwei schlimmen Beschreibungen für weibliche Geschlechtsmerkmale bedacht worden sei, als sie ihm den falschen Bagel gebracht hatte. Mitarbeiter berichten, wie Sam Houser gegen Journalisten "in den Krieg" ziehen wollte, die es gewagt hatten, eines der Spiele negativ zu rezensieren.

Das sind Geschichten, die es in abgeschwächter Form auch von anderen Firmenchefs wie Apple-Gründer Steve Jobs oder Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg gibt. Andere Erzählungen handeln davon, dass die beiden angetrieben werden von dem Ziel, ein möglichst perfektes Computerspiel zu entwerfen.

"Rockstar ist einer der berauschendsten und leidenschaftlichsten Orte, die ich kenne", sagt Marc Fernandez, einst Produzent bei der Firma. Durch ihre teils kindischen Aktionen würden sie dafür sorgen, dass sich die Angestellten stärker mit der Firma identifizieren und bereitwillig mehr als 70 Stunden pro Woche an einem Projekt zu arbeiten.

Ekelhafte Szenen steigern die Neugier

Nur diese wilde Atmosphäre lasse Ideen zu wie etwa die, dass die Gesundheit des Protagonisten dadurch verbessert wird, wenn er mit einer Prostituierten schläft und sie danach ermordet. Oder dass eine an Apple-Gründer Steve Jobs angelehnte Figur stirbt und eine Nachrichtensprecherin dazu sagt: "Der wegen Data-Mining hart kritisierte Firmenchef hat jetzt seine eigenen Daten über der gesamten Bühne verstreut."

Das sind kranke Ideen, klar, aber genau die sorgen für den immensen Erfolg: Berichte über besonders ekelhafte Szenen steigern die Neugier der Spieler und damit die Verkaufszahlen - das ist seit dem ersten Spiel im Jahr 1997 die Marketingstrategie von Dan und Sam Houser.

Womöglich haben die Houser-Brüder keine Lust, sich in Interviews zu erklären, weil sie ihre Botschaften an die Welt über ihre Spiele versenden. In ,GTA V' etwa gibt es einen Ort, der BAWSAQ heißt und an dem die Spieler mit Aktien spekulieren können.

Bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung wurde in Foren diskutiert, welche Aktien man sich zulegen sollte, ob der Kurs des Waffenherstellers steigt, wenn der Spieler Pistolen kauft - oder ob es in der Online-Version tatsächlich ein realistischer Handel mit Wertpapieren ist, den man mit einer Pump-and-Dump-Strategie manipulieren könnte. Mittlerweile gibt es Analysen von Ökonomen zur GTA-Börse, wie man dort durch Manipulation möglichst schnell stinkreich werden kann.

© SZ vom 24.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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