Krieg in Computerspielen:Sterben jetzt inbegriffen

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Kriegsspiele wie "Call of Duty: Black Ops" oder "Medal of Honor" wandeln zwischen Fakten und Fiktion. Doch wie realistisch können und dürfen sie das Kampfgeschehen simulieren?

Michael Moorstedt

Wer Authentizität möchte, solle vor dem Start des Computers erst einmal zwanzig Kilometer marschieren und sich dabei mit scharfer Munition beschießen lassen. So lautete unlängst die Antwort eines britischen Afghanistan-Veteranen auf die Frage, ob es jemals ein Videospiel geben wird, das den Krieg realistisch darstellen kann.

Am Dienstag erschien das viel erwartete "Call of Duty: Black Ops". Kriegsspiele haben längst den Anspruch, die Komplexität des Chaos darzustellen. (Foto: AFP)

Er kam damit dem Satz nahe, den der Regisseur Sam Fuller einmal für das Kino formulierte: "Um dem Zuschauer zu zeigen, wie der Krieg wirklich ist, müsste man ein MG neben der Leinwand aufbauen und ein paar Salven ins Publikum feuern."

Versucht wird es freilich immer wieder. Mit dem Titel "Medal of Honor" wurde nun zum ersten Mal ein Ego-Shooter veröffentlicht, der mit dem Afghanistankrieg eine reales Vorbild in der Gegenwart hat. Und sich auch traut, diesen Konflikt beim Namen zu nennen.

Im vergangenen Jahr versuchte sich das Softwareunternehmen Konami mit dem Projekt "Six Days in Fallujah" an einem dokumentarischen Spiel über die schweren Gefechte 2004 in der irakischen Stadt. Nach empörten Protestnoten liegt die Entwicklung seitdem auf Eis.

Zwar gab es bereits zuvor einige Titel wie "Call of Duty: Modern Warfare", die den Verweis auf die Kriege der Gegenwart bereits im Namen tragen. Anders als die Spiele, die sich dem Zweiten Weltkrieg widmen und mit der Akribie des Historikers die Wege einzelner amerikanischer Divisionen von El Alamein bis Aachen nachzeichnen, hatte man sich bei den Spieleentwicklern nie an die Gegenwart heran gewagt, die Spiele waren Simulationen unter Vorbehalt. Eventuell aus Respekt vor den eigenen Soldaten, wahrscheinlicher aber aus Angst, Kunden zu verprellen.

Klischee-Gotteskrieger

Und so wurden für die Terroristen in den Spielen Fantasienamen erdacht, genau wie für die Länder, in denen sie dann ihre Atombombe gezündet haben. Die Computergegner firmieren als nicht näher bezeichnete, nahöstliche "Milizen" oder neokommunistische Terroristen.

Immer ließen die Studios eine comichafte Überzeichnung der Geschichte zu. Wie zuletzt in dem Bestsellertitel "Modern Warfare 2", in dem ein Anschlag auf den Moskauer Flughafen zu einer russischen Invasion des amerikanischen Heartland führt, Nuklearexplosionen im Orbit über Washington und Scharmützel in Fastfood-Restaurants inbegriffen.

Die scheinbar unvermeidliche Killerspieldebatte rund um die Schädlichkeit von Ego-Shootern hatte man in den USA in den vergangenen Wochen und Monaten recht gut ausgeklammert. Viel wichtiger war dem Publikum die Option, die den Spielern im Multiplayer-Modus erlaubt, auch Talibanfiguren zu steuern - anstatt nur auf sie zu schießen.

Die Klischee-Gotteskrieger tragen Sprengstoffgürtel, Turban und selbstverständlich eine Kalaschnikow - seit jeher die Insignien des Aufständischen. Es folgte Protest von Armeeangehörigen, US-Generälen und die Ankündigung, diese Art von Entertainment-Subversion nicht auf Militäreinrichtungen verkaufen zu lassen. Der britische Verteidigungsminister nannte das Spiel "unbritisch", ein Sprecher der Bundeswehr ließ sich mit den Worten "es ist widerwärtig, so ein Spiel auf den Markt zu bringen, während in Afghanistan Menschen sterben" zitieren.

Electronic Arts gab nach

Electronic Arts hatte sich lange gegen diese patriotischen Töne gewehrt und sehr wahrscheinlich über einen hübschen PR-Coup gefreut. Mit Verweis auf Räuber und Gendarm sprach man damals beim Studio eine so simple wie ewige Wahrheit aus: Einer muss eben der Böse sein. Und das Böse muss einen Namen haben.

Vor zwei Wochen hat das Unternehmen dann doch nachgegeben, "weil der Herzschlag von 'Medal of Honor' schon immer in der Ehrerbietung für den amerikanischen Soldaten bestand," wie der Produzent Greg Goodrich gefühlig im Firmenblog schrieb. "Opposing Force" heißt die gegnerische Partei nun. Damit ist das Spiel wieder sehr nah an die offiziellen Terminologie des US-Verteidigungsministeriums gerückt. Man hätte sie wohl auch "Unrechtmäßiger Kombattant" nennen können.

Nicht also, was der Spieler tut, steht zur Debatte, sondern wen er darstellt. Doch warum gibt es diesen Diskurs nur, wenn es um ein Spiel geht? Immerhin haben auch Literatur und Film sich bereits dem Terroristen angenommen. In John Updikes "Terrorist" hat ein junger US-Ägypter bereits den Lieferwagen mit Zünder und Düngemittel beladen, in "Syriana" sieht man einen verzweifelten pakistanischen Tagelöhner mit einer Ladung Sprengstoff auf einen Tanker zufahren.

In beiden Fällen wird dem Feind mehr Verständnis und Einfühlungsvermögen entgegengebracht als in den Spieltiteln, in denen der Taliban, egal, ob man ihn nun so nennt oder nicht, allenfalls als heimtückisches Kanonenfutter porträtiert wird. Zwar wird paschtunisch gesprochen, eine Auseinandersetzung mit den Motiven der Aufständischen findet abseits von ein bisschen 0815-Imperialismuskritik aber nicht statt.

Der Budgetsegen, der auf die heutigen Blockbusterspiele einregnet, ist dem einer typischen Hollywood-Produktion durchaus gleichzusetzen. Doch in kein anderes Genre fließen so viel Geld und Know-How, um eine Spielwelt bis ins Detail zu gestalten, wie in die Ego-Shooter.

Die Darstellung moderner Konflikte im Videospiel schwankt zwischen Fiktionalisierung und einer beinahe dokumentarischen Faktizität. Die Entwickler von "Medal of Honor" beschäftigen ehemalige Mitglieder der Spezialeinheiten als Realismusberater, lassen die Soundbites des Krieges, ratternde Helikopter oder Maschinengewehrsalven am Originalgerät aufnehmen.

Uniformen, Waffen und Militärbasen haben ihre Wiedergänger in der Realität. Helmand, Kandahar oder Kabul heißen die Level. Um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen, gibt es auf der Website des Spiels Interviews mit Veteranen zu lesen. "Medal of Honor" möchte den Krieg erklären.

Kriegstourismus am Bildschirm

Diesen Aufwand zu betreiben hat sich gelohnt. Die Konflikte der Gegenwart werden vor allem über Blockbuster-Spiele wie "Medal of Honor" massenwirksam dargestellt - nicht mehr im Film. Verglichen mit den avataresken Milliardeneinnahmen des Computerspiels "Modern Warfare 2" sehen die knapp zwanzig Millionen Dollar Einspielergebnis des sechsfachen Oscargewinners "The Hurt Locker" ziemlich bescheiden aus.

Die Frage ist nur, ob sich diese Diskrepanz vor allem aus einem unterschiedlichen Publikum speist - die relativ bescheidene Anzahl der kritischen Linken auf der einen Seite und dagegen ein millionenfaches Heer von kaum volljährigen Entertainment-Rekruten, die bald alt genug sein werden, selbst eine Waffe in der Hand zu halten, auf der anderen. Oder doch auch, diese Überlegung sei erlaubt, aus Gründen der Darstellung.

Doch welche Geschichten werden hier abseits der Action eigentlich erzählt? Der Kriegstourismus der Computerspiele hat sich individualisiert. Kein Wunder, dass der Protagonist nicht mehr namenloser Teil einer tausendköpfigen, schwer fassbaren Standarddivision ist, sondern fast immer Angehöriger einer Spezialeinheit. Die Namen der Spiele - "Medal of Honor", "Call of Duty", "Company of Heroes" - sind Relikte aus den Zeiten, in denen es vor allem um den großen, den guten Krieg ging, der simuliert werden sollte.

Den selbstlosen First Seargant, der sich im Nahkampf in der Normandie auf eine Handgranate stürzt, um sein Platoon zu retten, gibt es nicht mehr. Stattdessen einen skrupellosen amerikanischen General in "Modern Warfare 2", der gerne über Leichen geht, die Genfer Konvention mit Springerstiefeln tritt und auch nicht davor zurückschreckt, im Zweifel die eigenen Alliierten zu verraten.

In "Medal of Honor" trifft ein Tausende Meilen weit entfernter Offizier die Entscheidungen und lenkt so den Artilleriebeschuss auf die eigenen Truppen. Einst als soldatisch aufgefasste Tugenden wie Treue, Ehre oder Mut sind hier nur noch belächelte Atavismen. Die Selbstzweifel und der Selbsthass, mit denen sich Amerika im Krieg gegen Terror aufgeladen hat, wird in den Dialogen der Charaktere erfahrbar.

Der Realismus in Spielen wie "Medal of Honor" ergibt sich aber vor allem durch ihre grafische Brillianz. Es geht weniger um Nachdenken als um Nacherleben und Nachfühlen. Die Protagonisten werden zum "mimetischen Subjekt", ein Subjekt, das andere nachahmt, keine innere Wahrheit kennt.

Kriegschaos am Bildschirm

Spiele wie "MAG" treiben dieses Konzept auf den Höhepunkt. Darauf, eine wie auch immer geartete Geschichte zu erzählen, hat man hier gänzlich verzichtet. Dafür, und das ist gleichzeitig auch das Verkaufsargument des Titels, tummeln sich bis zu 256 Online-Spieler gleichzeitig in den Server-Schützengräben.

Hier kann es leicht passieren, dass die dargestellte Figur direkt nach ihrer Manifestation von der Kugel eines Scharfschützen getroffen wird, die Unübersichtlichkeit und das Chaos des Schlachtfelds wird so vielleicht ansatzweise erfahrbar. Die größte Sanktion ist jedoch nach wie vor nur Frustration, ein rotgefärbter Bildschirm und ein während des Todeskampfs vibrierender Joystick. Nach ein paar Sekunden Wartezeit geht es dann weiter.

Die Visualität der Benutzeroberfläche, der Gewehrlauf als alleinige Repräsentation des Spielers auf dem Schirm hat sich seit dem Anbeginn der Ego-Shooter nicht verändert. Hinzugekommen sind die Attribute des Kriegsfilms, die Spiele scheuen sich nicht vor dem Vergleich mit der Überwältigungsästhetik der des von Steven Spielberg inszenierten D-Day.

Der Tod ist endgültig

Unter Feindbeschuss spritzen Blut und Dreck auf die Ego-Kamera von "Medal of Honor". Explodiert eine Handgranate in nächster Nähe, folgen Taubheit und Tinnitus. Seit kurzem dürfen die vom Spieler gesteuerten Soldaten auch sterben, ohne Auto-Wiederauferstehung.

Unter Knopfgedrücke windet sich der Charakter aus einem Helikopterwrack oder liegt mit einem Bauchschuss am Boden, dann tönt sich der Bildschirm schwarz. Und vielleicht bedeutet das einen kleinen Schritt hin zu mehr Authentizität. Dass der Tod auch in einem per se eskapistischem Medium endgültig ist.

© SZ vom 09.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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