Fernsehen übers Internet:Wie Web und TV verschmelzen

Lesezeit: 4 min

Schon seit Jahren sprechen Experten darüber, dass Internet und TV zusammenwachsen. Nun erreicht diese Entwicklung tatsächlich den Massenmarkt. Doch noch fehlen einfache Gerätelösungen.

Helmut Martin-Jung

Das Spiel war gut, sogar sehr gut, aber es kam nicht im Fernsehen, nicht einmal im kostenpflichtigen. Zu sehen war der Fußballkampf zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, el clásico, Ende April trotzdem - auch auf dem Fernseher: Ein deutsch-österreichisches Unternehmen, das die Rechte für die spanische Liga erworben hat, zeigte es live übers Internet, ganz legal. Wer also wollte, verkabelte seinen PC mit dem Fernseher oder funkte die Bilder von seinem iPad auf den großen Bildschirm.

Schon vor Jahren sprachen Experten darüber, dass Internet und TV verschmelzen würden, nun erreicht diese Entwicklung tatsächlich den Massenmarkt.

Real gegen Barcelona hat laola1.tv nach eigenen Angaben auf 545.143 internetfähige Endgeräte übertragen, die Reichweite lag, geschätzt, bei mehr als 1,2 Millionen Nutzern. Wie viele der Geräte tatsächlich Fernseher waren, ist nicht bekannt. Flachbildschirme werden nach Computern und Handys inzwischen aber am häufigsten mit dem Internet verbunden, jedenfalls ergab das eine Marktforschung des Instituts Ipsos Anfang 2012. Dazu kommen noch andere mit dem Fernseher verbundene Geräte wie Bluray- oder Multimediaspieler und Konsolen für Computerspiele wie Sonys Playstation, die ebenfalls internetfähig sind.

Spannende Fragen

Technik ist aber bloß Voraussetzung, es bleiben spannende Fragen: Wie verändern neue Geräte, die Hybrid- oder Smart TV heißen, die Medienrezeption und damit auch die Medienlandschaft? Wird der Zuschauer, der sich beim herkömmlichen Fernsehen das Programm vorsetzen ließ und lässt, nun plötzlich ein aktiver User und sich suchen, was er sehen will? Verändert er sein Verhalten tatsächlich, weil sein Endgerät jetzt am Internet hängt und ihm auch Youtube-Filme auf den großen Bildschirm legen kann?

Vielleicht ist das eine schrecklich unbequeme Vorstellung, aber wer sich diesen Fragen nähert, darf YouTube und andere Anbieter nicht als Teenagerportale abwerten. YouTube ist mittlerweile eine Art Videoarchiv der Gegenwart. Die weltweit mehr als zwei Milliarden Internetnutzer schauen sich täglich mehr als vier Milliarden YouTube-Filme an. In einem Monat werden mehr Videos hochgeladen als von den drei großen amerikanischen Networks in 60 Jahren hergestellt wurden. Jede Minute kommen 60 Stunden neues Videomaterial dazu, darunter ist auch professionell Hergestelltes, auch in hoher Auflösung.

Die etablierten Fernsehveranstalter stellen heute über Mediatheken große Teile ihres Angebotes zur Verfügung, die Sendungen lassen sich im Internet teils noch tage-, wochen- oder monatelang kostenlos abrufen. Dazu drängen Anbieter auf den Markt wie die Video-on-Demand-Seite Maxdome, die zur Pro Sieben Sat 1-Gruppe gehört, oder Lovefilm, eine Tochter des Versandhändlers Amazon.

Immer öfter werden alte Grenzen überwunden. An diesem Dienstag vermeldete Maxdome eine Rechtevereinbarung mit der WDR-Mediagroup, künftig will das Portal auch öffentlich-rechtliche Produktionen gegen Bezahlung anbieten - von Kapt'n Blaubär bis Zimmer frei! oder Spielfilmen wie Das Boot.

Maxdome oder Lovefilm haben Zehntausende Filme, Shows, Dokumentationen gespeichert, die man sich gegen Gebühren herunterladen kann. Transportmittel ist die Internetleitung. Die Industrie hat den Trend antizipiert und die Fernseh- und Zusatzgeräte mit Benutzeroberflächen ausgestattet, die auf einfache Weise Zugang zu Internetdiensten gewähren sollen. Symbole ähnlich wie auf einem iPhone lassen sich mit der Fernbedienung anwählen und führen direkt zu den Inhalten. Es herrscht Gerangel um die Aufmerksamkeit.

Durch Allianzen mit Produzenten und Sendern versuchen die Hersteller, ihre Produkte mit Alleinstellungsmerkmalen auszustatten. Auf Sony-Geräten lassen sich Konzerte der Berliner Philharmoniker abrufen, dazu Interviews mit Künstlern, Pausengespräche. Samsung bietet eine FC Bayern-App. Beim Bezahlsender Sky kann man Fiktion downloaden wie auch bei Kabel Deutschland.

Der Zuschauer ist damit in einer Lage, alle Möglichkeiten des Medienkonsums auszukosten, andererseits kann ihn das, was sich ihm bietet, auch schnell in eine Überforderung führen. Das Fernsehgerät zeigt nicht mehr nur das, was gerade gesendet wird, das sogenannte lineare Programm der Sender also. Täglich vermehrt sich das Angebot bewegter Bilder, das man über das Internet-Protokoll abrufen kann.

Mehr als ein Viertel aller deutschen Internetnutzer ruft der Ipsos-Befragung zufolge bereits Clips und Fernsehsendungen über das Internet ab, besonders bei den Jüngeren wünschen sich fast 37 Prozent der Befragten mehr Angebote für Videos auf Abruf auch auf dem Fernseher.

Anbieter von elektronischen Programmführern und Zulieferer großer Hersteller machen sich daher längst Gedanken, wie die Nachfrage befriedigt werden kann. So entwerfen sie beispielsweise raffinierte Guides, die aus den Nutzergewohnheiten lernen sollen, dabei werden verschiedene Profile für verschiedene Nutzer erstellt. Das erinnert an soziale Netzwerke, und ein Zufall ist das natürlich nicht: Entweder, man versucht, die Funktionen sozialer Netzwerke zu imitieren für die Kundenbeziehung, oder aber man bindet sie mit ein.

Über jede Medienplattform hinweg

Wie so eine Kooperation funktioniert, zeigt der Internet-Musikdienst Spotify. Bei ihm kann man sich nur mit einer Facebook-Kennung anmelden. Welche Dynamik sich aber einmal entwickeln könnte, wenn sich die neuen technischen Möglichkeiten mit denen der sozialen Netzwerke verbinden, lässt sich derzeit nur erahnen.

Ich glaube", sagt Henry Jenkins, Medienwissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology, "dass wir uns auf eine Welt zuentwickeln, in der jede Geschichte über alle Medienplattformen hinweg erzählt werden wird."

Schon jetzt ist es für viele zur Gewohnheit geworden, beim Fernsehen auch einen Tablet-PC oder ein Smartphone in Reichweite zu haben. Deren second screen genannten kleineren Bildschirm kann man auf vielfältige Weise nutzen: Als Fernbedienung, zum Nebenher-Surfen oder um parallel zum Fernsehen mit dem Freundeskreis über das gerade Gesehene zu kommunizieren.

Auf die Weise wird es allerdings auch immer komplizierter, die Geräte zu beherrschen, viele Nutzer bedienen nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten. Die Industrie überlegt daher auch, wie sie es einfacher machen könnte, alle Geräte zu steuern. Ein Ansatz ist es, Smartphones mit den gerne genutzten Berührungsbildschirmen als erweiterte Fernbedienungen zu verwenden.

Der Softwarehersteller Microsoft hat für seine Spielekonsole Xbox 360 ein Zusatzgerät namens Kinect entwickelt, das auf Gesten reagiert und auf Sprachbefehle. Auch einige Fernseher von Samsung kommen inzwischen mit Kamera und Mikrophon, hören aufs Wort und verstehen einfache Handbewegungen.

Fernsehen bis zum Abwinken.

© SZ vom 09.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: