Digitalfotografie:Die Scharfmacher-Kamera

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Das Geheimnis der 40.000 Mikrolinsen: Bei einem neuen Fotoapparat lassen sich die Bilder im Nachhinein fokussieren. Doch Hobbyfotografen müssen auf die Technik noch warten.

Frank Grotelüschen

Der Nachwuchs macht die ersten Schritte. Gerne würde man den Augenblick per Kamera festhalten. Doch das Foto misslingt: Der Fokus ist nicht richtig eingestellt, das Kind ist unscharf, dafür ist jedes Detail auf der Tapete hinter ihm zu erkennen.

Foto einer Fliege: Künftig kann der Fokus auch im Nachhinein eingestellt werden. (Foto: iStock)

Das Ärgernis wäre mit dem jüngsten Prototyp der Kieler Hightech-Firma Raytrix nicht passiert. Das Unternehmen hat eine Kamera entwickelt, bei der sich die Bildschärfe nachträglich einstellen lässt.

Um das Patent zu demonstrieren, hat Entwicklungschef Christian Perwass eine Wassersäule vor dem Fenster seines Büros aufgestellt. In ihrem Inneren steigen leise blubbernd kleine Luftblasen auf.

Durch das Fenster dahinter sind Häuser, Bäume und Baukräne zu sehen. Die Szenerie wird von einer Digitalkamera auf einem Stativ anvisiert. "Wäre sie eine normale Kamera, könnte man sie entweder vorn auf die Säule mit den Luftbläschen scharf stellen oder hinten auf die Bäume und die Kräne", sagt Perwass.

40.000 Mikrolinsen

Dann drückt er auf den Auslöser. Gleich darauf ist die Aufnahme auf einem Flachbildschirm zu sehen. Scharf und deutlich springen die Luftbläschen ins Auge. Die Baukräne sind nur vage zu erkennen. Jetzt dreht Perwass an einem Regler auf seinem Laptop - nun sind die Kräne gestochen scharf und die Bläschen verschwommen.

Der Apparat basiert auf einem optischen Verfahren, das Lichtfeld-Kamera genannt wird. Dicht vor dem Digitalchip der Kamera ist ein Glasscheibchen angebracht. Es ist kaum größer als eine Briefmarke und enthält 40.000 winzige Linsen.

Jede der Mikrolinsen wirft ein eigenes Bild aus einer jeweils anderen Perspektive auf den Chip. Das genügt, um im Nachhinein verschiedene Bildebenen zu rekonstruieren.

Das Bild, das die 40.000 Linsen auf den Kamerachip projizieren, wird so zum abstrakten Muster aus Rohdaten. Um die eigentliche Aufnahme zu gewinnen, muss eine Software die Daten umrechnen.

Software sammelt die Pixel

Während man bei einem normalen Fotoapparat das Bild vor der Aufnahme scharf stellt, indem man die Linse im Objektiv verstellt, geschieht das Scharfstellen in der Lichtfeld-Kamera nach der Aufnahme, indem sich die Software die passenden Pixel aus den Mikrobildern zusammensammelt.

Damit funktioniert das Verfahren anders als die Tricks, mit denen eine Bildverarbeitungs-Software wie Photoshop die Aufnahmen ein wenig schärfer machen kann. Hier wird das Ursprungsbild zunächst mathematisch umgerechnet und dann durch einen Filter gejagt.

Dieser Filter kappt jene Signale, hinter denen sich weiche, kontrastarme Übergänge verbergen und lässt nur die Signale durch, in denen Kanten und scharfe Kontrastsprünge stecken. Anschließend rechnet die Software das Ganze wieder in ein reales Bild um, das auf das Auge ein wenig schärfer wirkt als die ursprüngliche Aufnahme.

Wendet man den Filter aber zu heftig an, gerät das Bild allzu künstlich und verrauscht. Und was vorher außerhalb des Fokus lag, kann das Verfahren auch nicht klar darstellen.

Dieses Problem kennt das Raytrix-Patent nicht. Es kann die verschiedenen Bildebenen durchfahren, hat aber einen Haken: Der Digitalchip, den die Macher verwenden, besitzt eigentlich eine Auflösung von elf Megapixeln. "Unsere Technik reduziert die Auflösung auf drei Megapixel", sagt Perwass' Kollege Lennart Wietzke. "Doch das dürfte für viele Anwendungen reichen."

Zurzeit kostet die Kamera 30.000 Euro - eine Summe, die ausschließlich für Profianwendungen interessant ist, etwa für die automatische Qualitätssicherung in der Industrie.

Auch für Mikroskope interessant

Hierbei fotografiert die Kamera das zu prüfende Produkt ein einziges Mal. Anschließend kann die Software das Bild komplett analysieren. Für derartige 3D-Kontrollen benötigt man bislang mehrere Kameras oder zumindest mehrere Aufnahmen einer Kamera. Das Raytrix-Patent kommt mit einer Aufnahme aus und könnte dadurch - so die Hoffnung - die Qualitätssicherung einfacher machen.

Interessant dürfte das Patent auch für Mikroskope sein, etwa wenn sich Forscher lebende Mikroben anschauen wollen, die sich aus der Fokusebene bewegen. Auch für Überwachungskameras kommt das System in Frage.

Bis zum Hobbymodell dauert es

Langfristig ist geplant, die Software, die bislang noch auf einem Laptop läuft, in eine Kamera zu integrieren. Sie wäre für Sportfotografen interessant, die Skispringer oder Rennwagen stets scharf aufs Bild bekommen möchten.

Irgendwann könnte die Technik auch in Hobbykameras stecken - in Modellen, die um die 2000 Euro kosten. "Bis so ein Modell auf den Markt kommt", sagt Christian Perwass, "werden wohl noch fünf Jahre vergehen."

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 23.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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