Dave Eggers' Roman "The Circle":Der Gottkonzern

Dave Eggers' Roman "The Circle": Vatikan, Pentagon, Raumschiff für die Himmelfahrt: Die Architektur der geplanten Apple-Zentrale hätte sich für Eggers' fiktive Firma "The Circle" bestens geeignet.

Vatikan, Pentagon, Raumschiff für die Himmelfahrt: Die Architektur der geplanten Apple-Zentrale hätte sich für Eggers' fiktive Firma "The Circle" bestens geeignet.

(Foto: Foster and Partners via Bloomberg)

Amerikas Intellektuelle warnen vor der wachsenden Macht des Silicon Valley. Doch niemand beschreibt die Zukunft so düster wie Dave Eggers. In "The Circle" geht es um ein Giga-Google, das die Geschäftsfelder von Twitter, Facebook und PayPal schluckt und die Totalkontrolle über das Leben und Denken der Menschheit erringt. Ein beklemmender Roman über eine Zukunft, die in Sichtweite zu sein scheint.

Von Jörg Häntzschel

Jaron Lanier hängen die Dreadlocks bis ins Kreuz, das XXL-T-Shirt spannt sich um seinen Kugelbauch, und wie immer, wenn er bei SXSW oder einer anderen Konferenz der Digitalgemeinde auftritt, hat er ein obskures Holzding dabei. Es ist eine Khene, eine südostasiatische Mundorgel. Auf der pfeift Lanier wundervolle Musik. Was will uns dieser Späthippie sagen, fragt sich amüsiert das Publikum, und wendet sich wieder den Smartphones zu. Die Antwort gibt Lanier im zweiten Teil seiner Performance: Das, diese magische Präsenz des Analogen, ist es, was wir verlieren. Dann hebt er an zu einer eindringlichen Warnung vor der Verführungskraft und den totalitären Tendenzen der "Sirenenserver". "Du bist nicht der Kunde dieser Konzerne. Du bist ihr Produkt!"

Der 53-Jährige ist das Gegenmodell zu seinen Zuhörern, doch um mangelnde Glaubwürdigkeit muss er sich nicht sorgen. Er gehört zu den Vordenkern der "Virtual Reality", stand auf der Time-Liste der 100 einflussreichsten Menschen und arbeitet in geheimer Mission für Microsoft. Bekannt ist er aber vor allem als Internet-Kassandra geworden, einer Rolle, die er bisher meist alleine spielte.

Die kulturelle Definitionsmacht des Silicon Valley macht Amerikas kritischer Intelligenz durchaus Sorgen. Aber in Panik verfallen, wenn das Google-Streetview-Auto um die Ecke biegt, wie die Europäer? Ach wo. Google, Twitter und Facebook, sogar Amazon schätzt man nicht nur für das reibungslose Funktionieren ihrer Dienste; sie konnten sich auch überzeugend als Nebenerben jenes heroischen Rebellentums ausgeben, dessen Tradition bis zu den Beatniks und Woodstock zurückreicht.

Doch das ändert sich gerade. Ein amerikanischer Intellektueller nach dem anderen schießt in ungewohnter Schärfe auf die - so der Tenor - Usurpatoren unseres Geistes und unseres Lebens. Und es sind nicht nur ältere, linke Wertkonservative von der Ostküste, Leute wie Jonathan Franzen, die nicht länger fürchten, sich mit ihren Mahnungen als "Ludditen" oder "Netz-Analphabeten" lächerlich zu machen. Mit Dave Eggers ("Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität", "Zeitoun") hat nun ein alles andere als weltferner 43-Jähriger aus Kalifornien die bislang düsterste Warnung vor den Digitalkraken geschrieben. Sein Roman "The Circle" beschreibt eine bestürzend nahe Zukunft, in der ein Giga-Google, das die Geschäftsfelder von Twitter, Facebook und PayPal geschluckt hat, die Totalkontrolle über das Leben und Denken der Menschheit erringt.

Der prominenteste unter den Internet-Skeptikern ist Thomas Pynchon. Sein im September erschienener Roman "Bleeding Edge" (SZ vom 26.9.2013) erzählt von der unaufhaltsamen Annektierung des einst mit viel utopischen Hoffnungen belegten Internet durch Gangster, Geheimdienste und Konzerne. Erst jetzt, so lässt er eine Figur erklären, wird klar, wes Kind es ist: das der Ingenieure des Kalten Krieges: Es "war ihre Erfindung, diese magische Bequemlichkeit, die jetzt wie ein Geruch durch die kleinsten Details unseres Lebens kriecht. . . Während es wuchs hörte es nie auf, in seinem Herz den bitterkalten Todeswunsch für den Planeten zu tragen. . . . Verbinde es mit den Mobiltelefonen, und du hast ein totales Netz der Überwachung, . . . Handschellen für die Zukunft. Fantastisch. Davon träumen sie im Pentagon: weltweites Kriegsrecht."

So krank von Twitter wie von Zigaretten

Franzen wiederum hat in seiner Verzweiflung an der zeitgenössischen Welt Inspiration beim Wiener Apokalyptiker Karl Kraus gefunden, den er nun ins Englische übersetzt hat. Diese Verzweiflung, das hat er kürzlich im Guardian erklärt, entzünde sich an Vielem, doch das "globale System der Kontrolle" rangiere dabei weit oben: "Vielleicht werden die Menschen eines Tages so krank von Twitter, wie sie krank von Zigaretten wurden. Die Geschäftsmodelle von Twitter und Facebooks erscheinen mir wie ein Teil Pyramidenspiel, ein Teil naives Hoffen, ein Teil ekelhafte panoptische Überwachung."

Differenzierter war Leon Wieseltier, Autor und Literaturchef der Zeitschrift The New Republic, in der Rede, die er vor Studenten der Brandeis University hielt. Er fragt nicht nur, ob sich bald noch jemand erinnern werde, dass "Wissen sich zu Information verhält wie Kunst zu Kitsch", sondern spricht von den "Maschinen, deren Sklaven wir sind", von einem "Datenkult, in dem keine menschliche Aktivität, kein menschlicher Ausdruck immun ist gegen Quantifizierung" und vom nahenden "Ende des Menschlichen." Die jungen Geisteswissenschaftler ruft er zum Widerstand auf: "Kultur ist jetzt die Gegenkultur."

Dave Eggers' Roman "The Circle": Dave Eggers Roman "The Circle" ist in Amerika großes Thema. Die "New York Times" hat ihm bereits fünf Artikel gewidmet.

Dave Eggers Roman "The Circle" ist in Amerika großes Thema. Die "New York Times" hat ihm bereits fünf Artikel gewidmet.

(Foto: AP)

Dass Dave Eggers' Buch nun so einschlägt - die New York Times hat ihm bereits fünf Artikel gewidmet - liegt wohl daran, dass er statt einer Jeremiade Science Fiction geschrieben hat - die umso beklemmender ist, als die Zukunft, in der sie spielt, schon in Sichtweite ist.

The Circle, der titelgebende Konzern, herrscht konkurrenzlos über das Internet, seit die Firma "TruYou" einführte: ein Password, eine Identität für alle Netzaktivitäten. Das erwies sich nicht nur als wunderbar bequem, es bereinigte das Netz auch von allem, was dort im Schutz der Anonymität vor sich ging. Vor allem aber potenzierte es die Macht des Netzgiganten.

Bei diesen Visionären zu arbeiten, durch deren Hände alle Informationen der Welt fließen, ist denn auch der Traum von Tausenden. Für Mae Holland, eine unscheinbare 27-Jährige, ist er wahr geworden. "It's heaven", entfährt es ihr, als sie am ersten Tag den in der kalifornischen Sonne glitzernden "Campus" betritt und wie 10 000 andere vor ihr in den Orden der "Circler" aufgenommen wird. Anfangs werden der Novizin niedere Tätigkeiten zugewiesen: Im Kundendienst kämpft sie sich täglich durch hunderte Mails, angetrieben von einem postfordistischen Ratingsystem, das ihren Output laufend nach Quantität und Qualität bemisst.

Doch Mae klagt nicht. Und auch, als ihre Kollegen das Projekt feiern, allen Neugeborenen Chips in die Knochen zu implantieren, um damit Kidnappern ein für alle Mal das Handwerk zu legen - "awesome!" -, schluckt sie nur kurz. Ihre Zweifel werden überstrahlt vom Funkeln, mit dem der Konzern seinen Angestellten täglich neu beweist, dass es keinen aufregenderen Arbeitgeber gibt: veganes Essen von Starköchen, Parties, hippe Unterkünfte mit stets gefülltem Kühlschrank in der "HomeTown", den Schlafquartieren für alle, die nicht mehr heim wollen. The Circle ist ein Idealstaat für arbeitswillige 30-Jährige.

Doch Maes Konversion stockt. Es ist nicht die Qualität der Arbeit, nein, sie ist nicht "sozial" genug. Sie geht Kajakfahren und postet keine Bilder. Sie besucht ihren kranken Vater und holt sich online keine Ermutigung. "Warum?", fragen ihre Chefs. "Du bist kein Rädchen in einem Uhrwerk, sondern ein menschliches Wesen mit unbegrenztem Potenzial. Und ein wichtiges Mitglied unserer Gemeinschaft." Mae bekennt und tut Buße. Verschickt "smiles" und "zings" bis sie im "Participation Rank" die Top 2000 durchbricht.

Und so schließt sich der ideologische Griff der Firma um sie wie das Metallband, das ihre Körperfunktionen misst, um ihren Arm. Denn es geht nicht nur um innerbetriebliche Etikette; nicht nur darum, Vorbild zu sein für die Milliarden User, deren Vorlieben, Gewohnheiten, Freunde The Circle kennen will. Hinter dem Mitteilungszwang und dem Vorwurf des "Egoismus" gegen alle, die ihr Leben für sich behalten wollen, steht eine kryptoreligiöse Erlösungsphantasie, die die "Drei Weisen Männer" an der Spitze des Konzerns der Menschheit mit fanatischem Eifer aufzwingen wollen.

Volle Transparenz

So wie sie das Internet durch die Abschaffung der Anonymität von Schmutz und Betrug gereinigt haben, gehen sie daran, die Welt von allem zu befreien, was im Verborgenen gedeiht. "SeeChange" heißt dieses Projekt, für das Abermillionen winziger Kameras über den Globus verteilt werden, um jeden Ort und alle menschlichen Aktivitäten für alle online überwachbar zu machen. Alle Laster, alle Vergehen sollen durch eine technologisch gestützte Metaphysik ausgemerzt werden: Jeder ist "wie Gott", allwissend, allsehend, und jeder fürchtet die Blicke all der anderen Götter: ein Panoptikum, in dem jeder Aufseher und Inhaftierter zugleich ist.

Mae wird nun auserwählt, den nächsten Schritt zu gehen, "voll transparent" zu werden, und durch die Kamera auf der Brust ihr Leben mit einer millionenstarken Zuschauerschaft zu teilen. Sie selbst, die jetzt unter den Kardinälen dieses Silicon-Vatikan verkehrt, hilft schließlich, die drei Gebote dieser Kirche der gläsernen Seelen zu formulieren: "SECRETS ARE LIES - SHARING IS CARING - PRIVACY IS THEFT."

Seit Steve Jobs und Steve Wozniak ihre Firma "Apple" nannten und den angebissenen Apfel zu deren Logo machten, stehen die Masterminds des Silicon Valley im Verdacht, sie verfolgten insgeheim größere Ziele, als schnellere Computer zu bauen und höhere Profite zu erwirtschaften. Anders, so scheint es, lässt sich die Hybris von Valley-Aposteln wie dem Google-Chef Eric Schmidt ja auch kaum erklären. "Singularity", das Verschmelzen von Mensch und Maschine, wird immer wieder als einer dieser utopischen Fluchtpunkte genannt.

Eggers liefert eine andere Version dieses großen Plans. Er trägt bisweilen dick auf und überzeugt nicht immer. Andererseits wären seine "Drei Weisen Männer" nicht die ersten Technokraten, die mit Mitteln der Vernunft an einem furchtbaren Menschheitsglück arbeiten: Jeremy Bentham mit seinem Panoptikum, viele Sozialingenieure und Architekturreformer des 20. Jahrhunderts träumten von nichts anderem. Dass Eggers so falsch nicht liegt, bewies der Rezensent von Wired. The Circle erreiche ja "vieles Gute: es merzt Verbrechen aus, stürzt Despoten, und verhindert Wahlbetrug". Ob es sich lohne, "dafür auf einen Teil von Privatheit, Freiheit und individueller Verantwortung zu verzichten", sei eine durchaus bedenkenswerte Frage.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: