Andrew Sullivan und "The Daily Dish":Wie erste Blogger die Bezahlschranke für sich entdecken

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Der einstige Chefredakteur des New Republic, Andrew Sullivan, hat mit seinem Blog "The Daily Dish" rund eine Million regelmäßige Leser, auch der US-Präsident gehört dazu. Jetzt will sich Sullivan publizistisch selbständig machen und eine Bezahlschranke einführen.

Von Niklas Hofmann

"Sie, wir und ein Zähler. Punkt. Keine Zugehörigkeit zu einem Großunternehmen, keine Ansprüche der Anzeigenabteilung, kein Druck, Pageviews zu erzielen." Das ist es, was der amerikanische Groß-Blogger Andrew Sullivan seinen Lesern als "das klarste und einfachste Modell für Online-Journalismus" anbietet. Die Debatte darüber, wie sich mit Inhalten im Netz Geld verdienen lässt, hat er damit nicht nur unter Bloggern kräftig befeuert.

Andrew Sullivan ist zweifellos eine starke Marke. Er ist Brite, schwul, HIV-positiv, katholisch, konservativ. All das sind auch Leitmotive seines Blogs. Sullivan ist stets meinungsstark, manchmal - wie er selbst weiß - um den Preis, übereilt zu urteilen. Er vergaloppiert sich manchmal, kann Fehler aber auch eingestehen. Über alles liebt er die politische Debatte.

Er war ein leidenschaftlicher Trommler für den Irakkrieg, und wandelte sich dann zum erbitterten Gegner der Bush-Regierung; er verehrt Ronald Reagan und Margaret Thatcher nach wie vor sehr. So, wie er heute Barack Obama bewundert. Seit mehr als einem Jahrzehnt bloggt der einstige Chefredakteur des New Republic unter dem Titel "The Daily Dish". Rund eine Million regelmäßige Leser hat er, bekennender Weise gehört auch der US-Präsident dazu.

Publizistisch selbständig

Zum neuen Jahr nun kündigte Sullivan an, dass er sich ab Februar publizistisch selbständig machen werde. Stets hatte er, wenn auch mit größten Freiheiten, unter dem Dach eines Medienhauses gebloggt, lange beim Atlantic, nun knapp zwei Jahre lang bei Tina Browns "The Daily Beast". In Zukunft aber soll der Daily Dish die Gehälter von Sullivan und seinen sechs Mitarbeitern selbst erwirtschaften. Ganz ohne Medienkonzern und Investoren im Hintergrund, Werbung wird es nicht geben, dafür ein Abonnement.

Für 19,99 Dollar kann sich der Leser ein Jahr lang den Zugang zu sämtlichen Einträgen freischalten. Die Bezahlschranke, die für alle Nicht-Abonnenten errichtet wird, ist aber niedrig. Jeder Besucher hat ein Freikontingent an Artikeln und Posts. Und selbst, wer das erreicht, wird kürzere Einträge nach wie vor lesen können. "Paywall" will Sullivan sein Taxameter-System nicht nennen, was Wortklauberei sein mag. Denn tatsächlich soll sich der Dish so wenig wie möglich vom Rest des Netzes isolieren.

Kein Wunder - erfolgreich ist Andrew Sullivan vor allem auch als Aggregator. Von dem enormen Ausstoß an Blogeinträgen, die Sullivans Team täglich produziert (13 000 waren es im vergangenen Jahr insgesamt), sind die meisten nur knapp kommentierte Zitate und Verweise auf Beiträge anderer Blogs oder Online-Medien.

Vom guten Willen der Leser macht sich Sullivan also abhängig, aber der Anfangserfolg scheint ihm recht zu geben. Allein an den ersten beiden Tagen nach der Umstellung nahm er nach eigenen Angaben bereits 400 000 Dollar an Abonnenten-Erlösen ein. Auch wenn diese erste Welle der Zahlungsbereitschaft bald abebbte, versetzte sie die amerikanische Medienwelt doch in erheblichen Aufruhr: Von einem "kühnen Experiment" war die Rede, andere erhofften die möglicherweise "erste wirkliche Erfolgsgeschichte in der Ära des postindustriellen Journalismus".

Vor allem aber unterstreicht Sullivans Schritt die Dynamik eines bestehenden Trends. Von "journalistischem Selbstmord" sprachen die Skeptiker noch, als sich die New York Times vor knapp zwei Jahren dazu entschied, eine Paywall um ihre Artikel zu errichten. Inzwischen aber werden Bezahlschranken allerorten errichtet, auch von deutschen Zeitungen wie der Welt bis zu internationalen Special-Interest-Magazinen wie Foreign Policy. Meist sind die Mauern um die Inhalte bewusst löchrig gehalten. Dennoch: Dass im Netz nur die werbefinanzierte Aufmerksamkeitsökonomie funktionieren kann - mehr schlecht als recht, aber immerhin - das gilt als längst nicht mehr so sicher.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier, einer der wenigen deutschen Blogger, die nicht nur über die engere Netzöffentlichkeit hinaus bekannt sind, sondern auch eine veritable Fangemeinde aufweisen, war einer der ersten, der die "Unabhängigkeitserklärung des Andrew Sullivan" mit Glückwünschen für die Art von Beziehung begrüßte, die ein Blog mit seinen Lesern haben kann, wenn diese zugleich auch Unterstützer seien: "Das Modell, das Andrew Sullivan mit dem ,Dish' probiert - ich glaube, das wird eine Zukunft sein."

Markus Beckedahl, der Netzpolitik.org herausgibt - es gilt im deutschsprachigen Netz als eines der meinungsführenden Blogs zu internetpolitischen Fragen -, ist jedoch davon "persönlich noch nicht so überzeugt", auch wenn er jedes Experiment begrüßt. Zwar habe die App-Wirtschaft der letzten Jahre den Blick auf Bezahlmodelle verändert. Als "First Mover", als Pionier, habe Sullivan zwar auf Anhieb einiges an Geld generieren können, "so viel" dann allerdings auch wieder nicht. Auf dem durch die Sprachhürde begrenzteren, daher sehr viel kleineren deutschen Markt gelten ohnedies noch einmal ganz andere Regeln.

Monatliches Minus

Über neue Refinanzierungsmöglichkeiten denkt auch Beckedahl gerade laut nach. Etwa 50 000 Euro nimmt Netzpolitik.org mit Werbung bisher im Jahr ein. Zuzüglich einiger anderer Einnahmequellen, zu denen der Mikro-Payment-Dienst Flattr gehört, über den bloß magere 350 Euro im Monat eingespielt werden, kommt man, so rechnete Beckedahl seinen Lesern vor, immer noch auf ein monatliches Minus von ungefähr 2200 Euro. Ein derart viel gelesenes und für die ganze deutsche Internetszene relevantes Blog wie Netzpolitik.org existiert also auch nur darum, weil es durch die Umsätze von Beckedahls Beratungsfirma subventioniert wird.

Ein anzeigenfreies Abomodell à la Sullivan sei für Netzpolitik.org eher problematisch. Man müsse schon 100 000 Euro einnehmen, um auf die Werbeeinnahmen verzichten zu können, meint Beckedahl. Auch prinzipiell gelte: "Ich bin kein großer Fan davon, Informationen zu verschließen." Weil es aber noch mehr Werbung und gesponserte Posts auch nicht geben soll, denken Beckedahl und seine Kollegen über das Modell eines Fördervereins nach, an den Leser-Spenden fließen könnten - zusätzlich zu dem jetzt schon existierenden Weg, über Crowdfunding-Plattformen Erlöse zu generieren. Es werde ohnehin nicht den einen Weg der Refinanzierung von Blogs und Online-Medien geben, sondern "vollkommen verschiedene Mixmodelle", glaubt Beckedahl.

Es sei denn, man verzichtet ganz darauf. Die Journalistin und Philosophin Antje Schrupp hat ihre Blog-Texte angesichts der Sullivan-Debatte emphatisch vor dem Zwang in Schutz genommen, sich überhaupt finanzieren zu müssen. Ihr gehe es nicht um ein "Tauschgeschäft: Geld gegen Ware", sondern um die Freiheit zu schreiben, was sie wolle. "Der Tauschcharakter des Bezahlens hingegen", schreibt Schrupp, "würde genau diese Freiheit letzten Endes zunichtemachen."

© SZ vom 17.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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