Wissenschaft:Tippen und Schweigen

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Eine Klostersimulation hilft Wissenschaftlern beim Verfassen von Dissertationen und Habilitationen: Abgeschiedenheit, eine feste Tagesstruktur und gezielte Workshops fördern die nötige Konzentration und erleichtern das effektive Schreiben.

Von Katja Hanke

Vor einem altem Gutshaus aus rotem Backstein sitzen 16 Personen an einem Holztisch und essen. Der Wind raschelt in den Bäumen, das Besteck klappert auf den Tellern. Niemand spricht, 15 Minuten lang. Denn die Mittagszeit ist im Schreib-Aschram eine Zeit der Stille. Eine Woche verbringen die Wissenschaftler in der ländlichen Idylle, um intensiv an ihren Dissertationen oder Habilitationen zu schreiben. Die Schweigezeit finde sie wichtig, sagt die Kulturwissenschaftlerin Ingrid Scherübl, die den Workshop entwickelt hat. "Nach dem konzentrierten Vormittag dauert es etwas, bis man wieder kontaktfähig ist. Man reflektiert noch, was man geschrieben hat."

Die Idee hatte Scherübl in einem indischen Aschram. Damals schrieb sie einen wissenschaftlichen Text, kam aber nur schleppend voran - ständig kam etwas dazwischen. "Im Aschram dachte ich, genau so einen Ort bräuchte man zum Schreiben", sagt sie. Abgeschiedenheit, Konzentration und eine klare Tagesstruktur.

Seit fast vier Jahren leitet sie nun mit der Schreibberaterin Katja Günther die Aschrams. Beauftragt werden sie meist von Universitäten, so auch diesmal im mecklenburgischen Neu-Schönau. Dem Ruf der Universität der Künste Berlin sind 15 Frauen und ein Mann gefolgt - aus Deutschland, Schweden und den USA. Manche zahlen selbst dafür, andere sind auf Einladung der Universität da.

Esoterik und Sitar-Musik gehören nicht hierher, wohl aber Entspannungsübungen und Meditationen. Der gravierendste Unterschied zum Alltag ist das fehlende Internet. "Nach ein, zwei Tagen merken die Teilnehmer, dass sie es gar nicht so vermissen", sagt Katja Günther. So manche Recherche, für die ein Tag vorgesehen war, gelingt in einer Stunde.

Die Erwartung, es würden sich vor allem Wissenschaftler mit Schreibproblemen anmelden, hat sich nicht bewahrheitet. "Es kommen Menschen, die so tief in den Schreibfluss eintauchen wollen, wie sie es im Uni-Alltag nicht schaffen", sagt Günther. Dafür braucht es Struktur: früh aufstehen, Morgenspaziergang, drei Schreibphasen, dazwischen Workshops und feste Pausen. "Viele schreiben hier zum ersten Mal seit Langem wieder konzentriert am Stück", sagt Scherübl. "Ich habe erlebt, dass Teilnehmer zehn Mal mehr geschrieben haben als sonst in einer Woche."

"Das Schreiben als etwas Schönes und nicht als Problem zu sehen, finde ich fantastisch."

Sophie Mützel, Assistenzprofessorin für Soziologie aus Luzern, lobt, dass "Schreiben hier als Tätigkeit geschätzt wird". Das sei im Hochschulbetrieb meist nicht so. "Es als etwas Schönes und nicht als Problem zu sehen, finde ich fantastisch." Publish or perish, heißt es unter Wissenschaftlern - veröffentlichen oder untergehen. Der Publikationsdruck hat zu einer regelrechten Inflation von wissenschaftlichen Artikeln für Fachmedien geführt. Das Internationale Zentrum für Hochschulforschung in Kassel fand in einer Studie heraus, dass deutsche Universitätsprofessoren 1992 im Schnitt drei Artikel pro Jahr publizieren. 2007 waren es schon fünf - die international höchste Zahl der Studie. In den USA waren es 2007 nur zwei Artikel.

Günther und Scherübl finden, dass dieser Druck nur hemmt. "Writing by doing" nennen sie ihr Konzept der Wertschätzung. In den kurzen Workshops wird gemeinsam an aktuellen Texten gearbeitet. Dabei entstehen oft Bausteine wie Einleitung, Gliederung, Argument, Gegenargument, die sofort aufgeschrieben werden. "Das ist häufig besser, als wenn man den ganzen Tag Zeit hat", sagt Günther. Außerdem bieten sie und Scherübl Methoden an, mit denen es sich später produktiv weiterschreiben lässt. Ein Stückchen Aschram für zu Hause sozusagen.

© SZ vom 02.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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