Universität Leipzig:Deadline

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Die Uni Leipzig nimmt vorerst keine Journalistik-Studenten mehr auf, der einst gerühmte Studiengang muss reformiert werden. Für den Niedergang machen viele den Lehrstuhlinhaber verantwortlich.

Von Antonie Rietzschel

Marcel Machill sitzt mit verschränkten Armen in seinem Büro in Leipzig. Hobbypsychologen würden seine Körpersprache als Abwehr interpretieren. Doch diese Beschreibung reicht in diesen Tagen nicht aus, um die Stimmung des Professors zu fassen. Machill ist sauer, weil über seinen Kopf hinweg ein Einschreibestopp für den Journalistik-Studiengang verhängt wurde. Seinen Studiengang. Machill ist misstrauisch, weil er sich als Opfer einer "gelenkten Kommunikation" sieht. Machill ist genervt, weil er sich ständig zu Vorwürfen gegen seine Person äußern muss: Er habe nichts falsch gemacht, sagt der 49-Jährige. Seine Person sei für die Geschichte irrelevant.

Diese Geschichte handelt vom Niedergang der einst renommierten Journalistenausbildung an der Universität Leipzig. Der Journalist und Medienwissenschaftler Michael Haller hatte den Lehrstuhl nach der Wende zu einem Diplomstudiengang umgebaut, der Forschung und praktische journalistische Arbeit erfolgreich zusammenbrachte. Zu den Absolventen gehören der Spiegel-Reporter und Schriftsteller Alexander Osang sowie die ZDF-Moderatorin Kristin Otto. 2007 bescheinigten Dutzende Chefredakteure in einer Umfrage der Universität Leipzig, die beste Journalistenausbildung anzubieten.

Im Zuge des Bologna-Prozesses musste die Ausbildung zum Masterstudiengang verschlankt werden. Dieselben Inhalte, dafür weniger Zeit. 2010, mitten im Umbauprozess, verließ Haller den Lehrstuhl aus Altersgründen. Die Universität wollte dessen Professur nicht neu besetzen. Stattdessen sollte eine neue Stelle im Bereich Public Relations entstehen. Dagegen protestierte Machill, mittlerweile Leiter der Journalistik. Absolventen schrieben einen Brandbrief. Schließlich gestand man Machill eine zusätzliche Junior-Professur zu.

In den vergangenen Jahren häufte sich die Kritik am Niveau der Ausbildung. Studenten beschwerten sich über mangelnde Betreuung und zunehmende Verschulung. Der Studiengang verlor an Attraktivität: 2014 bewarben sich noch 251 Interessenten auf die 30 Plätze. 2016 waren es nur noch 127. Nun hat sich der Rat der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie eingeschaltet und entschieden, die Journalistik solle grundlegend reformiert werden. Aus diesem Grund nimmt die Universität Leipzig für das Wintersemester 2017/18 keine neuen Studierenden in die Journalistik auf. "Eine Nacht- und Nebelaktion", nennt das Marcel Machill. Der Hauptgrund für die Misere ist aus seiner Sicht der Personalmangel. 1,5 Professorenstellen plus 2,5 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter: Das sei schlicht zu wenig, um eine gute Ausbildung zu gewährleisten.

Auch der mittlerweile emeritierte Michael Haller sagt, der Masterstudiengang sei wegen personeller Einschnitte "nur unter großem Einsatz zu bewirtschaften". Doch es fehle eine Leitung, "die mit den skizzierten Schwierigkeiten kompetent und konstruktiv umgeht". Gemeint ist Machill. Der missbrauche den Personalmangel als "Feigenblatt, um das eigene Missmanagement zu verdecken".

Auch Studenten und Absolventen geben dem Leiter der Journalistik die Hauptschuld dafür, dass der Studiengang seinen guten Ruf verlor. Sie berichten von Schikane, beschreiben den Professor als cholerisch, autoritär, unberechenbar. Kaum einer will über ihn reden und mit seinem Namen dafür stehen. Jeder kennt die Geschichte von 2010. Damals zeigte der Professor einen Studenten an, weil der ein Lehrbuch Machills eingescannt hatte, um es an Kommilitonen weiterzugeben. Das Buch sollte in der Prüfung abgefragt werden, war aber vergriffen.

Ein Professor hat eine Anstellung auf Lebenszeit - und viel Macht

Machill sagt, die Kritik stamme nur von ein paar Unzufriedenen. Tatsächlich kam es aber in mehreren Jahrgängen zu Auseinandersetzungen zwischen dem Professor und seinen Studenten, auch zu persönlichen Angriffen. Studenten berichten von Kommilitonen, denen Machill plötzlich riet, das Studium abzubrechen und ganz mit dem Journalismus aufzuhören. "Das wird nichts mehr mit dir", wird er zitiert. Absolventen rieten potenziellen Bewerbern davon ab, sich zu bewerben. Ausdrücklich wegen Machill.

Ein großer Streitpunkt war die von ihm eingeführte Anwesenheitspflicht. Studenten dürfen bei Veranstaltungen nur ein Mal fehlen, sonst riskieren sie durchzufallen. Die Regel widerspreche dem Hochschulgesetz, kritisierten Studenten 2013 in einem offenen Brief und baten um ein Gespräch. Die Dozenten seien von diesem Brief in der Sache wie im Ton "peinlich berührt", hieß es in einem Antwortschreiben, das Machill und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter unterschrieben. Die Regelung blieb, ein Gespräch gab es nicht. Machills Mitarbeiter hätten es nicht gewagt, sich zu widersetzen, argwöhnten damals manche Studenten. "Die Dozenten leiden selbst unter den Zuständen - aber Machill ist kritikunfähig", sagt eine Studentin des aktuellen Jahrgangs. "Der Druck musste von oben kommen."

Umstritten: Marcel Machill. (Foto: privat)

Das deutsche Hochschulsystem sichert Professoren wie Machill eine Anstellung auf Lebenszeit - und viel Macht. Professoren sind in allen wichtigen Hochschulgremien vertreten. Als Leiter eines Lehrstuhls haben sie zwar keinen direkten Einfluss auf Personalentscheidungen, geben aber Empfehlungen ab, wenn es um die Verlängerung von Verträgen geht. Wissenschaftliche Mitarbeiter sind deswegen in einer prekären Lage. Ihre Verträge sind meistens auf ein bis zwei Jahre befristet. Das macht sie abhängig von ihren Vorgesetzten. "Dadurch haben sie selten den Mut, offen ihre Meinung zu sagen", sagt Andreas Keller von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Gewerkschaft verfasste bereits 2010 ein Manifest zur Demokratisierung des deutschen Hochschulsystems. Passiert ist nichts. Dabei warnt Keller: "Unter den aktuellen Zuständen leidet auch die Wissenschaft."

Eine Kommission soll nun Reformvorschläge für die Journalistik in Leipzig erarbeiten. Die Leitung übernimmt Thomas Kater, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie. Auf die Frage, ob die aktuelle Entwicklung als Kritik an der Leitung der Journalistik zu deuten sei, antwortete Kater jüngst: "Ja, das kann man so interpretieren." Er sei falsch zitiert worden, sagt er jetzt. Zu der Personalie will er sich nicht äußern. Kater braucht Machill. Denn der wird Teil der Kommission sein, ebenso Vertreter des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie Studenten. Machill sagt, er werde offen in das Gespräch gehen. Wie ein Dialog unter diesen Umständen zustande kommen soll, ist allerdings fraglich. Für das Wintersemester 2018/19 sollen sich dann wieder Studenten bewerben können. Bleibt die Frage, wie viele das tun werden.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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