Kooperationsstudiengänge:Aus zweiter Hand

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Klingt smart, ist umstritten: Academic Franchising. Wenn Studiengänge zu Produkten werden, müssen Regeln her. Der Wissenschaftsrat hat sie aufgestellt.

Von Christine Prussky

Wenn das ranghöchste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland den Hochschulen und der Politik die Richtung weist, ist normalerweise Diplomatie angesagt. Am vergangenen Freitag aber kannten die Experten kein Pardon. Es ging um gebührenpflichtige Studiengänge, die Hochschulen zusammen mit nicht akademischen Bildungsträgern anbieten - das sogenannte Academic Franchising. Die Partner können Handelskammern sein, Banken, Unternehmen oder soziale Einrichtungen, Stadtverwaltungen und kommerzielle Weiterbildungsanbieter. Was der Wissenschaftsrat von dem Modell hält, brachte er unverblümt zu Papier: "nicht hinnehmbar", "erhebliche Bedenken", "allenfalls tolerabel unter folgenden Bedingungen".

Kooperationsstudiengänge sind ein Geschäftsmodell: 1000 bis 2000 Euro kostet ein Semester

Mehr als 19 000 Studierende sind dem Gremium zufolge in etwa 360 Kooperationsstudiengängen eingeschrieben, von denen knapp die Hälfte dem Franchise-Prinzip folgt. Das ist nicht viel angesichts der beinah 20 000 Studiengänge, die es insgesamt in Deutschland gibt. Aber der Markt wächst, Academic Franchising ist ein Geschäftsmodell. Zwischen 1000 und 2000 Euro zahlen die Studenten je Semester, bis zum Bachelorabschluss können 16 000 Euro auflaufen. Die Gebühr kassiert der private Kooperationspartner, der von der Anmeldung bis zum Prüfungsmanagement alles organisiert, die Räume stellt und die Lehrbeauftragten bezahlt - längst nicht alle sind promoviert oder gar habilitiert. Die Hochschule wiederum nimmt Lizenzgebühren für Lehrmaterial - und bürgt mit ihrem Namen für die Qualität.

Genau an der Stelle, der Qualitätsfrage, meldet der Wissenschaftsrat Bedenken an. Mit seiner Sorge, ob in den Studiengängen genügend Hochschule steckt, ist er nicht allein. Selbst Marktteilnehmer halten manches Angebot für fragwürdig. Die Technische Akademie Wuppertal (TAW) zum Beispiel ist seit 2004 im Academic-Franchising-Geschäft; sie wartet mit Studienzentren in Bochum, Hamm und Wuppertal auf und zählt heute in ihren Kooperationsstudiengängen um die 500 Bachelor-Aspiranten. "In einer Branche, die in so kurzer Zeit so stark wächst, gibt es natürlich auch schwarze Schafe", sagt Angela Nordhausen, die diesen Studienbereich der TAW betreut. Da sei es "gut, dass der Wissenschaftsrat den Markt überprüft".

Das ist nunmehr erfolgt. Zwei Jahre lang hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Rechtswissenschaftlerin Heike Krieger an den nun verabschiedeten Empfehlungen gefeilt. "Da hat sich ein grauer Markt gebildet", resümiert die Richterin am Berliner Verfassungsgericht. In Extremfällen könnten Studenten einen Bachelor- oder Mastergrad erhalten, ohne die Hochschule - außer für Prüfungen - von innen gesehen zu haben. Wolle man hier noch regelnd eingreifen, müsse das jetzt geschehen.

Kriegers Einschätzung beruht auf Recherchen und Gesprächen mit Praktikern. Deutlich wurde ihr dabei aber auch: "Das Phänomen ist vor dem Hintergrund der Finanznot an Hochschulen zu sehen und wurde sicher durch sie begünstigt." Dennoch hält die Juristin Rektoren und Professoren entgegen, sie müssten sich "vor Augen führen, dass sie eine akademische Lehrverantwortung haben".

Gefragt sind nun vor allem die Länder, die als Gesetzgeber dafür zuständig sind, Studierende zu schützen. Aber nicht alle kooperativen Studiengänge stehen in der Kritik. Wenn der Franchisenehmer selbst eine Hochschule ist, die Lehre von Professoren der Franchise gebenden Hochschule in Nebentätigkeit geleistet wird, und die Studenten an der Grad verleihenden Hochschule immatrikuliert sind, ist der Wissenschaftsrat zufrieden. Die privatrechtliche Ausgründung einer Hochschule als Franchise-nehmer billigt er jedoch nicht. Und richtig unwohl wird den Sachverständigen, wenn "nicht hochschulische Bildungsträger" in das Modell eingebunden sind.

Die TAW ist solch ein nicht hochschulischer Bildungsträger. Um im Portfolio Studiengänge für Berufstätige zu haben, die neben ihrer Tätigkeit einen staatlich anerkannten Bachelorabschluss anstreben, kooperiert sie mit mehreren Hochschulen. Zusammen mit der Westfälischen Hochschule bietet sie den berufsbegleitenden Studiengang "Journalismus und PR" an. Drei Viertel des Pensums müssen im Selbststudium mit Lernbriefen bewältigt werden, der Rest an Wochenenden im TAW-Zentrum Bochum. Kostenpunkt: 2000 Euro pro Semester.

"Wenn es in dem Modell Verlierer gibt, dann die Studierenden", sagt Karl-Martin Obermeier. Er ist hauptamtlich Professor an der Westfälischen Hochschule, für die er in Gelsenkirchen am Institut für Journalistik und PR im gleichnamigen Vollzeit-Studiengang lehrt. Für die 85 gebührenfreien Studienplätze dort gehen laut Obermeier im Schnitt 1500 Bewerbungen ein. Ausbauen kann die Hochschule das Angebot nicht, es stößt schon jetzt an die Kapazitätsgrenze. Die Lehrdeputate lassen keinen Spielraum. Wenn sich Professoren trotzdem auf Zusatzprogramme einlassen, müssen sie das an der Hochschule zum Nulltarif tun; private Kooperationspartner zahlen dafür. "An der TAW erhalten die Kollegen wenigstens etwas für ihr Engagement", sagt Obermeier und beziffert sein Tageshonorar auf 150 Euro. Das sei "nicht viel", aber eine Anerkennung.

Und so kommt es, dass der Bochumer TAW-Standort für manchen Beschäftigten der Westfälischen Hochschule zum zweiten Arbeitsplatz geworden ist. Eine Lehrtätigkeit zweiter Klasse sei das aber nicht, betont Obermeier: "Das Angebot ist identisch." Und tatsächlich haben die Bochumer Studenten Glück: Sie sind genau wie ihre Vollzeit-Kommilitonen in Gelsenkirchen immatrikuliert, haben dieselben Rechte und vollen Bibliothekszugang.

Damit sind einige der Bedingungen erfüllt, die der Wissenschaftsrat für ein "tolerables" Franchising-Modell mit nicht hochschulischen Partnern aufstellt. Zwei Flanken bleiben offen: Auch wenn die Studierenden das gleiche Lehrangebot und die gleichen Rechte genießen wie an einer staatlichen Hochschule, besitzt die TAW keinen institutionellen Forschungsauftrag. Zudem verzerrt die Westfälische Hochschule mit ihrem Angebot den Wettbewerb mit klassischen privaten Hochschulen. "Ja", räumt Obermeier ein, "das ist ein Problem."

Mangelnde Sensibilität ist auch beim Rektor der Universität nicht auszumachen. Er beschreibt das Franchiseprinzip als logische Konsequenz aus der Überlastung der Hochschulen. "Wir bieten Kooperationsstudiengänge an, weil wir den Bedarf gesehen haben und diesen Bedarf nicht unmittelbar an der Hochschule decken können. Unsere Professoren sind schon weit über 100 Prozent damit ausgelastet, die Präsenz-Studiengänge zu stemmen", sagt Bernd Kriegesmann und unterstreicht: "Kooperationsstudiengänge sind bei uns kein Geschäftsmodell."

Wie gute Hochschule geht: Studenten interagieren mit Professoren, und zwar analog

Rein monetär betrachtet mag das auch für andere Standorte zutreffen. Doch geht es beim Academic Franchising eben nicht nur ums Geld, sondern auch um immaterielle Vorteile. Kommen die Partner aus der regionalen Wirtschaft, lassen sich gleich "mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen", erklärt Claus Schuster. Der Rektor der Fachhochschule Südwestfalen mit Sitz in Iserlohn hält Kooperationsstudiengänge für "ideal, um sich als Hochschule in der Region zu verankern und zugleich ressourcenschonend den Bedarf nach Fachkräften zu stillen". Würden Lehrangebote in unterschiedlichen Städten angeboten, "freut das auch die Bürgermeister. Sie dürfen ihre Stadt dann nämlich Hochschulstadt nennen". Akribisch zu achten wäre bei all dem allerdings stets auf die Qualität der Lehrangebote. "Die akademischen Standards müssen unbedingt gewahrt bleiben", betont Schuster.

Doch was genau macht ein Hochschulstudium in Zeiten der Digitalisierung aus, in denen die ortsgebundene Hochschule als Zentrum des Lernens an Bedeutung verliert? Der Wissenschaftsrat hat hierfür die Grenzen gezogen. Ein Qualitätskriterium besteht Heike Krieger zufolge darin, "dass es im Studium zur Interaktion zwischen Professoren und Lehrenden in einem gemeinsamen sozialen Raum kommt". Und in der Empfehlung heißt es wörtlich, dass in dem institutionellen Rahmen, in dem das Studium stattfindet, die "grundgesetzlich geschützte Lern-, Lehr- und Forschungsfreiheit gewährleistet sein" muss.

Diese Grenze zu definieren und mit ihr gleichsam den Maßstab für die Bewertung von Franchise-Studiengängen zu entwickeln, bezeichnet die Juristin rückblickend als die eigentliche Herausforderung für ihre Arbeitsgruppe. Mit dem Beschluss der Empfehlung am Freitag haben sich Bund und Länder zu dieser Grenze bekannt. Der nächste Schritt ist, für ihre Einhaltung zu sorgen.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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