Kinderrechte in der Schule:Demokratisch lernen

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"Kinder haben Rechte!" Mitmachaktion des Deutschen Kinderhilfswerks und anderer Organisationen im Jahr 2014 vor dem Bundestag. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Wie könnte die Schule der Zukunft aussehen? Experten streiten für eine Kultur der Augenhöhe in deutschen Klassenzimmern. Ihre Botschaft: Wer Kinder zu Mitgliedern der Gesellschaft erziehen will, muss sie auch so behandeln.

Von Philipp Nowotny

"Sehr geehrter Herr Ministerpräsident", beginnt das letzte Kapitel dieser Kampfansage für mehr Demokratie in Schulen. "Wir erlauben uns, Ihnen einen Vorschlag zu machen." Die Autoren: Sozialwissenschaftler und Bildungsexperten. Ihr Adressat ist der - in diesem Fall fiktive - Regierungschef eines Bundeslandes, der wundersamerweise beschlossen hat, sein Schulsystem auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reformieren. Eine beißende Kritik im Gewand höflicher Argumente ist das angesichts des oft trägen föderalen Apparats und einer Pauschalbeschulung, als gäbe es nur Durchschnittskinder. Vieles liege im Argen, ein zu großer Anteil der Kinder durchlaufe die Schule mit gebrochenem Selbstwertgefühl: "Wir sind der Überzeugung, dass eine auf Kinderrechten gegründete Schule die beste Voraussetzung für die Weiterentwicklung einer demokratischen Struktur schafft." Sehr gerne seien die Autoren bereit, zur Entwicklung eines Schulmodells der Zukunft beizutragen, "wenn Sie dies wünschen".

Das Buch "Worauf Kinder und Jugendliche ein Recht haben" ist eine Streitschrift dafür, Kinderrechte als Basis der Bildungsarbeit anzuerkennen, sich nicht nur den Schutz der Kinder auf die Fahnen zu schreiben, sondern auch ihre aktiven Rechte einzufordern und in den Schulalltag zu integrieren. Herausgeber sind Lothar Krappmann und Christian Petry, die auch den offenen Brief an den erfundenen bildungsengagierten Ministerpräsidenten verfasst haben. Als zentraler Anknüpfungspunkt dienen die 1989 verabschiedeten Kinderrechtskonventionen der Vereinten Nationen, die seit 1992 auch in Deutschland gelten. Umgesetzt sind ihre Inhalte aber noch lange nicht, zum Schaden von Kindern und Gesellschaft, das zeigt der Expertenband.

In etwa 20 einzelnen Aufsätzen tragen Wissenschaftler und Praktiker Argumente zusammen, darunter Koryphäen des Fachgebiets wie Wolfgang Edelstein, Mitgründer und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Die demokratischen Ziele in den Schulgesetzen blieben hohl, "solange die Schulen bleiben, wie sie sind", schreibt Edelstein. Zum Beispiel: "Ein System der frühen Selektion verletzt wesentliche Aspekte von Demokratie und Gerechtigkeit."

Über die bekannten (in ihrem vorgebrachten Umfang geradezu unerklärlichen) Befunde eines verkrusteten und auferlegten Schuldenkens hinaus bietet der Band ein Instrumentarium, um die Prinzipien "Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme" praktisch durchzusetzen. In 84 prägnanten Artikeln fasst etwa Lothar Krappmann das Manifest für Kinderrechte, Demokratie und Schule zusammen: Stärkung der Klassenräte und der Schülervertretung, eine demokratische Beteiligungskultur als Beispiele. Wer Kinder zu Mitgliedern der Gesellschaft erziehen will, muss sie als solche behandeln, das ist das Kernanliegen der Autoren. Die Vision lautet: "Eine Schule kündet nicht Demokratie an, sondern praktiziert sie bereits."

Lothar Krappmann, Christian Petry (Hrsg.): Worauf Kinder und Jugendliche ein Recht haben. Kinderrechte, Demokratie und Schule: ein Manifest. Debus Pädagogik Verlag, Schwalbach 2016. 304 Seiten, 29,90 Euro.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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