Fremdsprachenunterricht:Türkisch für Anfänger

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10.000 Schüler lernen hierzulande Türkisch an staatlichen Schulen. (Foto: dpa/dpaweb)

Menschen mit türkischen Wurzeln bilden hierzulande die größte Gruppe der Migranten. Dennoch zögern viele Bundesländer, Türkischunterricht an den Schulen einzuführen. Grund sollen Vorurteile sein - und die Kosten.

Von Kevin Schrein

Wenn Schulleiterin Manuela Weiss die Korridore des Elisabeth-Gymnasiums in Mannheim entlanggeht, hört und sieht sie kulturelle Vielfalt. Mehr als 80 Prozent ihrer Schüler haben einen Migrationshintergrund; die Herkunftssprache der meisten dieser Schüler ist Türkisch. Im Unterricht aber lernen sie Englisch und wahlweise Französisch, Latein und Spanisch. Türkisch hingegen wird weder als zweite noch als dritte Fremdsprache angeboten. In ganz Baden-Württemberg ist das so.

Ein Schulversuch soll das nun ändern. Weiss hat ihr Haus als Modellschule vorgeschlagen: "Unseren Schülern, vor allem denen mit türkischem Hintergrund, könnten wir so ein weiteres Angebot machen."

In Deutschland besuchen etwa 10.000 Schüler Türkischunterricht an staatlichen Schulen. Während neben den Klassikern Englisch, Französisch und Latein mittlerweile auch Italienisch und Spanisch oft zum Standardrepertoire gehören, wird Türkisch als Fremdsprache laut Statistischem Bundesamt in elf Bundesländern gar nicht oder nur in Ausnahmen angeboten. Dazu gehören unter anderem Baden-Württemberg, Sachsen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.

"Ein gutes Mittel zur Integration"

In Bayern haben immerhin ungefähr 200 Schüler an fünf Gymnasien Türkisch als spät startende Fremdsprache von der zehnten Klasse an oder als Wahlfach. Dennoch ist es auch Schülern im Freistaat nicht möglich, Türkisch als offizielle dritte Fremdsprache zu wählen. Dabei leben in Deutschland 2,95 Millionen Personen mit türkischen Wurzeln, 1,6 Millionen von ihnen sind türkische Staatsbürger. Das ist die größte Gruppe unter den Personen mit Migrationshintergrund, und auch die größte Gruppe unter den Menschen mit ausländischem Pass in Deutschland.

"Es müssen mehr Bundesländer Türkisch als Fremdsprache anbieten, es ist ein gutes Mittel zur Integration", fordert Yücel Tuna, Vorsitzender des Bundes der türkischen Lehrervereine in Deutschland. Er beklagt, dass es oft Vorurteile gegenüber der türkischen Sprache gebe. "In den Köpfen der Menschen ist es die Sprache der Kriminellen und der schlecht Gebildeten. Diese Sprache zu unterstützen, fällt da schwer."

Doch die Länder werden in absehbarer Zeit kaum das Türkische fördern. Die Einführung einer Fremdsprache kostet Geld, neue Lehrkräfte müssten eingestellt und Bildungspläne erarbeitet werden. "Türkisch als Fremdsprache steht momentan nicht auf der Tagesordnung", sagt beispielsweise klipp und klar der Sprecher des Ministeriums Rheinland-Pfalz.

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In Baden-Württemberg wird sich hingegen bald etwas ändern. Das von der SPD geführte Kultusministerium will nach einem Fraktionsbeschluss einen Mini-Modellversuch lancieren. An zwei Gymnasien, wohl in Mannheim und Stuttgart, können Schüler bald Türkisch als dritte Sprache von der achten Klasse an wählen. Das Projekt soll zehn Jahre dauern und 2015 beginnen.

Den Grünen geht das aber nicht weit genug. "Wir müssen den muttersprachlichen Unterricht auch an Grundschulen mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern fördern und den Modellversuch nicht nur an ein paar Gymnasien durchführen", rügt die Landtagsabgeordnete Muhterem Aras.

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Doch das Kultusministerium muss wie alle Ministerien in Baden-Württemberg sparen. Die Ausweitung des Modellversuchs auf weitere Schulen oder Schularten würde viel Geld kosten. Der Fraktionsvorschlag der SPD sieht pro Jahr 100.000 Euro pro Gymnasium vor. Zu wenig, kritisiert die Opposition. "Symbolpolitik, das reicht ja lediglich für eine Stelle pro Gymnasium", sagt Bernhard Lasotta, integrationspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

"Türkisch stärkt insgesamt die Sprachkompetenz"

Während viele Regierungen zögern, hat sich in Nordrhein-Westfalen Türkisch als Fremdsprache etabliert. Dort gehen 7000 von etwa 10.000 Jugendlichen zur Schule, die bundesweit in Türkisch unterrichtet werden. 1970 startete der erste Schulversuch, in diesem Jahr machten 108 Schüler in Türkisch sogar Abitur. An Gymnasien, Realschulen und Gesamtschulen können die Schüler Türkisch als Fremdsprache wählen. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ist mit dem Ergebnis zufrieden: "Der Unterricht in Türkisch oder in anderen Herkunftssprachen stärkt insgesamt die Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler."

Auch hat das Land den Bedarf an Lehrkräften in den Griff bekommen. Lehrer, die Türkisch fließend sprechen, können eine Zusatzqualifikation erwerben und so im Unterricht eingesetzt werden. Denn nur 228 Studenten studieren momentan bundesweit Turkologie auf Lehramt. Sollten weitere Länder sich entschließen, Türkisch als Fremdsprache einzuführen, könnte es zu einem Absolventenmangel kommen. Geld müsste in die Hand genommen werden, um Lehrstühle und damit neue Studienplätze zu schaffen. Die Sache mit den Lehrern mag auch ein Grund dafür sein, dass viele Minister die Fremdsprache gar nicht auf ihre Agenda setzen.

Auch Baden-Württemberg könnte daher am Ende nichts anderes übrig bleiben, als Pädagogen mit einer Zusatzqualifikation fit für den Modellversuch zu machen. Derzeit bietet einzig die Uni Tübingen Türkisch auf Lehramt an, dort sind aber nur zwei Dutzend Studenten eingeschrieben. Die ersten werden ihr Studium voraussichtlich 2016 beenden und nicht vor Sommer 2017 das Referendariat abgeschlossen haben.

Für Schulleiterin Manuela Weiss in Mannheim kämen die jungen Kollegen damit zwei Jahre zu spät.

© SZ vom 11.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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