Bildungsministerin Johanna Wanka:Ende der Schonfrist

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"Geräteturnen, Kopfstand, 3000-Meter-Läufe waren nicht so mein Ding", gestand Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) einer Boulevardzeitung. (Foto: Getty Images)

Bislang war sie solide Verwalterin. Nun will Bildungsministerin Johanna Wanka durchstarten - mit einer Bafög-Reform. Doch dafür gilt es, Widerstände zu überwinden.

Von Johann Osel und Roland Preuß

Den Sprung von der kleinen auf die ganz große Bühne hat Johanna Wanka in einem grauen, ärmellosen Abendkleid vollzogen, mit blauen Gummihandschuhen, nebst rauchenden Reagenzgläsern. In der Montur ließ sich die Bundesbildungsministerin, einige Monate nach ihrem Amtsantritt, von einer großen Boulevardzeitung ablichten - und zu ihren Plänen befragen. Ein Podium, wie es Bildungspolitiker selten bekommen. Das Amt stand noch stark im Fokus der Öffentlichkeit durch den Rücktritt ihrer Vorgängerin Annette Schavan im Frühjahr 2012.

"Geräteturnen, Kopfstand, 3000-Meter-Läufe waren nicht so mein Ding", erfuhr der Leser über ihre Schulzeit. Aber auch, dass "Leistungsstreben" nicht "verwerflich" sei und dass Eltern von Schulkindern zu oft die Schuld auf Lehrer schöben. "Experimentieren wir unser Bildungssystem kaputt?" lautete die Leitfrage des Gesprächs, passend zum Laborumfeld. Und Wankas Antwort, auch wenn sie es so nicht explizit formulierte: Keine Experimente! Eine wertkonservative CDU, im modernen, flotten Gewand.

Experimente hat sie in den sieben Monaten ihrer ersten Amtszeit tatsächlich nicht gewagt. Nicht wagen können. Selbst die kritischsten Bildungslobbyisten räumten ihr Schonfrist ein. Nun verbleibt die Mathematik-Professorin im Kabinett, als Einzige neben Wolfgang Schäuble auf dem alten Posten. Wanka hat keine Fehler gemacht, keine Skandale produziert - sie bewährte sich als solide Verwalterin.

Wanka war gerade frei

Dass sie ins Amt gelangte, war den Umständen geschuldet, sie war quasi Zufallsministerin. Die gebürtige Sächsin war gerade frei, als Schavan über ihre Doktorarbeit stürzte. Die Wähler hatten Wankas schwarz-gelbe Koalition in Hannover abgewählt. Sie verstand die Materie bestens, eine sichere Wahl für Kanzlerin Merkel. Wankas Verbleib im Amt hat zuletzt wenig Beachtung gefunden, die neuen Ressortkollegen sind wohl spannender.

Und doch könnte die 62-Jährige jetzt erst richtig loslegen, kann das angehen, was in der auslaufenden Wahlperiode 2013 nicht anzupacken war. Sie muss es. Zwei hohe Erwartungen hat sie selbst durch Äußerungen geweckt. Eine Verfassungsänderung, damit der Bund Bildung, vor allem an den Hochschulen, direkt finanzieren kann, ist unbestritten nötig. Und eine Bafög-Reform, die Modernisierung des mehr als 40 Jahre alten Förderinstruments, hat Wanka selbst versprochen.

Der schwierigste Brocken dürfte die Reform des Grundgesetzes sein, das nach wie vor eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich weitgehend verbietet. Viele Fachleute halten dies für blühenden Unsinn, bisher haben sich aber Bund und Länder, Rot und Schwarz nicht auf eine Reform verständigen können, auch nicht in den Koalitionsverhandlungen. Ohne eine Einigung freilich wird vieles nicht möglich sein, ein rascher Ausbau der Ganztagsschulen oder deutlich mehr Investitionen für Forschung und Lehre an Hochschulen. Welche Koalition ist da besser für einen Kompromiss geeignet als eine große?

Eine Bundesbeteiligung an den Schulen ist kaum zu erwarten - zu stark sind die Vorbehalte in vielen Ländern, am stärksten im CSU-geführten Bayern. Wobei der Einfluss Berlins auf die Schulen wohl nicht an Wanka scheitern würde. Sie ist nicht mehr eine so stramme Föderalistin wie früher, das Amt hat sie hier verändert. In Verhandlungen über gemeinsame Programme von Bund und Ländern war sie zuletzt forsch aufgetreten, sie lasse sich "nicht über den Tisch ziehen". Der Landesministerin Wanka wäre derlei Auftreten des Bundes nicht geheuer gewesen.

Sie kennt die Befindlichkeiten aller Beteiligten

Wenn nicht bei den Schulen, so muss sich in der Wissenschaft etwas tun. 2017 läuft die milliardenschwere Exzellenzinitiative aus: Ohne ein Nachfolgemodell und nur über die Länderkassen könnten viele Spitzen-Unis aufgeben. Andererseits hat der Bund den Hochschulen im Koalitionsvertrag mehr Geld versprochen - was er gar nicht geben darf laut Verfassung. Wanka wird bald das Gespräch mit Unis, Ländern und mit dem Bundesfinanzminister suchen müssen.

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Bei der Durchsetzung könnte ihr helfen, dass sie die Empfindlichkeiten aller Beteiligten kennt, sie kommt selbst aus der Wissenschaft. Wanka machte ihren akademischen Weg in der DDR, engagierte sich Ende der Achtzigerjahre gegen die SED, stieg nach der Wende von der Professorin zur Rektorin auf. 1994 lehnte Wanka eine Offerte der SPD für ein Ministeramt in Sachsen-Anhalt ab, 1998 gehörte sie einem CDU-Schattenkabinett in Magdeburg an. Zwei Jahre später wurde sie Ministerin in Brandenburg, zunächst parteilos, 2010 dann in Niedersachsen.

Bald nach Amtsantritt im Bund fordert Wanka eben eine Bafög-Reform; die Förderung soll flexibler werden für neue Lebensentwürfe, etwa Studieren nach einer Ausbildung oder in Teilzeit: "Die Förderung muss weiter geöffnet werden." Ein Projekt, das Hunderte Millionen Euro im Jahr zusätzlich kosten wird. Doch dazu muss sie die Länder gewinnen, die ein Drittel aller Bafög-Kosten tragen. Selbst gegen geringe Erhöhungen der Fördersätze hatte der Bundesrat in der Vergangenheit gekämpft, aus Angst um die Länder-Etats. Im Koalitionsvertrag findet nun Wankas angekündigte Bafög-Reform mit keinem einzigen Wort Erwähnung. Ein "redaktioneller Irrtum" , hieß es sogleich in Koalitionskreisen.

"Wir machen eine Bafög-Reform, darauf können Sie sich verlassen", hat sie nach der Vertragsunterzeichnung klargestellt. Auch hier wird sie mit den Ländern und ihrem Finanzminister verhandeln müssen. Eine Verfassungsänderung und eine echte Bafög-Reform: Damit könnte Wanka ein Kapitel hochschulpolitische Historie schreiben, sie könnte den "Keine-Experimente"-Eindruck widerlegen. Und das Etikett einer Zufallsministerin eindeutig ablegen.

© SZ vom 30.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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