Würzburger Residenz:Willkommen in Venedig

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Die neue Zweigstelle der Staatsgalerie in Würzburg verschreibt sich ganz der italienischen Malerei. Und sie beweist, dass der bayerische Kunsttransfer inzwischen auch in der Süd-Nord-Richtung funktioniert

Von Olaf Przybilla

Der Ovalsaal im nördlichen Teil der Würzburger Residenz dürfte selbst manchem Kenner nicht geläufig sein, obwohl er gar nicht weit entfernt von jenem Treppenhaus zu finden ist, das die ganze Welt kennt. Aber in Balthasar Neumanns Wunderwerk, nicht weniger wundersam verziert von Giovanni Battista Tiepolo, biegen Touristen und Kunstsinnige üblicherweise in Richtung Kaisersaal ab, in dem sich Tiepolo ebenfalls als Freskenmaler verewigt hat. Abzubiegen ist also grundsätzlich kein Fehler, birgt aber die Gefahr, in dieser Residenz aller Residenzen am Ende die Galerie der Staatsgemäldesammlungen links liegen zu lassen. Was immer schon ein Fehler war, nach der Neueröffnung nun aber einem Kardinalfehler gleichkäme.

Zehn Meter hoch ist der Hauptraum der Staatsgalerie, im Vergleich zum Prunk der Würzburger Residenz - die Napoleon als "Europas größten Pfarrhof" verspottete - fällt er fast nüchtern aus. So ganz war den Bauherren wohl nicht klar, was aus ihm werden sollte. Eine Privatgalerie für einen bescheidenen Fürstenhaushalt? Ein dezenter Ahnensaal mit Porträtreihe aller Würzburger Herrscher? Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim fand das alles offenbar unpassend, von 1770 an richtete er sich dort ein hübsches Operntheater ein, mit Fürstenloge, drei Stuhlreihen und bescheidener Bühne. Sein Bruder nannte den Saal das "niedliche Theater von Würzburg". Ob das spöttisch, womöglich gar maliziös gemeint war, ist nicht überliefert. Aber Brüdern, vor allem Zweitgeborenen, muss man da manches zutrauen.

Wie auch immer: Auch diese Niedlich-Theater-Lösung hatte keinen Bestand, "mangels Bedarf" wurde das Opernhaus 1790 eingestellt. Woran genau es mangelte, ist schwer zu sagen. Jedenfalls wurden die Räume seit 1830 zum "Carrouselsaal" umgetauft, in dem die Kinder des Kronprinzen und späteren König Ludwigs I. herumtollen durften. Übrigens tatsächlich auf einem Karussell, das so hübsch anzuschauen war, dass es bald nach München verschafft wurde. Wie bekanntlich allerlei andere Kunstwerke aus Franken.

Inzwischen aber läuft der innerbayerische Kunsttransfer längst auch in die andere Richtung. Und das schon allein deshalb, weil in den Münchner Pinakotheken beileibe nicht genug Platz ist, um all die (unter anderem) aus bayerischen Provinzen zusammengesammelten Werke auch angemessen präsentieren zu können. Die jetzt für 300 000 Euro renovierte und neu eingerichtete Zweiggalerie in Würzburg war schon zuvor den großen Jahrhunderten der venezianischen Malerei gewidmet. Was auch immer schon nahe lag, immerhin ist das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt, eben jenes aus dem Treppenhaus der Residenz, das Werk eines Venezianers. Jetzt aber wurde diese Galerie um Gemälde aus dem Münchner Bestand ergänzt. Zu sehen sind in Würzburg Werke aus der Werkstatt von Tizian und Veronese, Gemälde von Palma Giovane und den Bassani, auch von Piazzetta und Pittoni. "Werke von Weltrang", sagt der Konservator Andreas Schumacher.

Auch bekommen Besucher in der Residenz künftig zu sehen, dass Tiepolo und sein begnadeter Sohn Giovanni Domenico Tiepolo in Würzburg nicht nur im Kaisersaal und im Treppenhaus am Werk waren. Die drei Tiepolos - ein zweiter Sohn war auch nach Würzburg gekommen - arbeiteten in den ihnen zugeteilten Ateliers auch an eigenen Werken und quartierten sich dabei gleich um die Ecke der heutigen Ausstellungsräume ein. Im Zentrum der neuen Schau steht das famose Altarbild "Die Steinigung des Heiligen Stephanus", das Giovanni Domenico Tiepolo 1754 für die Abteikirche Münsterschwarzach malte und das nun erstmals angemessen präsentiert in Würzburg zu sehen ist. Die dramatische Zuspitzung eines Martyriums darf man ein Hauptwerk des jungen Venezianers nennen. Was wohl ebenso über das Gemäldepaar "Rinaldo im Zauberbann Armidas" und "Rinaldos Trennung von Armida" seines Vaters gesagt werden darf. Beide Werke mit Szenen aus einem Heldenepos von Torquato Tasso stellte Tiepolo, der Ältere, in Würzburg fertig, während er an den Residenzfresken arbeitete. Gewissermaßen zur Ablenkung.

Womöglich schauen sich Betrachter das Haus künftig sogar in anderer Reihenfolge an. Zunächst das, was Tiepolo und seine Söhne so quasi nebenher machten in Würzburg. Und danach das Treppenhaus jenes Bauwerks, dem der schottische Philosoph David Hume 1748 attestierte: "Ich glaube, der König von Frankreich besitzt kein solches Haus. Auch wenn es geringer sein mag als Versailles, so ist es doch vollendeter und kunstvoller." Was später auch und vor allem am Deckenfresko der Tiepolos lag, das suggeriert, die ganze Welt würde dem Würzburger Fürstbischof huldigen: unter Fanfarenstößen schwebt dessen Bildnis über Europa empor, begrüßt von Symbolgestalten aus Asien, Afrika und Amerika, während sich ein Himmel voller antiker Götter auftut.

Dem Selbstbildnis des Würzburger Fürstbischofs Carl Philipp von Greiffenclau mag das ungefähr so entsprochen haben - unter dem Einfluss mainfränkischer Genussmittel haben sich zu vorgerückter Stunde schon andere für Größen von internationalem Rang gehalten. Tatsächlich regierte der Bischof nur über einen mäßig großen Teil Frankens und erwarb sich eher im Kampf gegen panschende Winzer bleibende Verdienste. Eines freilich hob ihn tatsächlich empor über andere Duodezfürsten: Er lotste Tiepolo an den Main, den besten Freskenmaler seiner Zeit. Der hinterließ in Würzburg sein in jeder Hinsicht größtes Meisterwerk.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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