Wahlsensation in Franken:Deutschlands Jüngster

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Wäre er nicht auf einem Giftacker aufgewachsen, hätte er sich vielleicht gar nicht für Politik interessiert. So aber wurde Stefan Rottmann zu dem Schüler, auf den eine bayernweite Sonderregelung zurückgeht. Bald wird der 25-Jährige der jüngste Bürgermeister im Land sein - mit drei Stimmen Vorsprung hat der SPD-Mann die Wahl in Schonungen gewonnen.

Olaf Przybilla, Schonungen

Die Geschichte vom filmreifen Aufstieg Stefan Rottmanns beginnt im Jahr 2002: Damals öffnete seine Mutter einen Brief aus dem Landtag und fragte erstmals ihren Mann, ob der was von einer Petition wisse. Ihr Mann wusste nichts davon, Dagmar Rottmann ging also noch mal Zeile für Zeile durch, bis sie merkte: Dieser Brief richtete sich gar nicht an sie und ihren Mann. Das Schreiben war an ihren 16 Jahre alten Sohn Stefan gerichtet.

Ein Mann mit Zukunft: Stefan Rottmann (SPD), gerade erst 25 Jahre alt, hat mit drei Stimmen Vorsprung gegen Martin Oßwald, CSU, 61 Jahre alt, Zweiter Bürgermeister in Schonungen, gewonnen. (Foto: dpa)

Der hatte sich ans Parlament gewandt, weil ihm nicht in den Kopf wollte, dass die Bürger von Schonungen für etwas in Haftung genommen werden sollten, für das sie nichts konnten: die größte Altlast Bayerns, ein vergiftetes Wohngebiet mitten im Ort.

Vier Jahre nach dieser Petition eines Schülers wurde die "Lex Schonungen" verabschiedet, die Hilfe für einen mit Arsen verseuchten Ort. Am Sonntag nun wurde Stefan Rottmann, 25, in Schonungen zum Rathauschef gewählt. Und zum jüngsten Bürgermeister Deutschlands.

Rottmanns Geschichte ist so filmreif, dass sie im Kino vermutlich kitschig wirken würde. Wäre der Film chronologisch erzählt, müsste sich zumindest die letzte Szene den Vorwurf gefallen lassen, dass da einer verdammt dick aufträgt: Am Ende des Wahlabends starrten sie in Schonungen an eine Tafel im Rathaus, die als Ergebnis sozusagen ein Unentschieden auswies. Bewerber Martin Oßwald, CSU, 61 Jahre alt, Zweiter Bürgermeister, ein profilierter Politiker im Ort: 50 Prozent. Stefan Rottmann, SPD, gerade 25 Jahre alt, soeben mit dem Studium fertig geworden: ebenfalls 50 Prozent.

Wer wissen wollte, wer denn nun gewonnen hat in Schonungen, musste sich schon das Kleingedruckte anschauen: 2332 Stimmen für den Zweiten Bürgermeister, 2335 Stimmen für den 25-Jährigen. Gewählt ist damit Stefan Rottmann.

Ein Haus auf Gift

Die Familie schaue sonst schon immer den Tatort, sagt Ingrid Rottmann, die Mutter. An diesem Sonntag aber haben die Rottmanns gerne darauf verzichtet. Eine Steigerung der inneren Spannung haben sie sich davon nicht versprochen.

Vielleicht sollte man tatsächlich noch kurz im Elternhaus Rottmann bleiben, von dort aus betrachtet ist die Geschichte besonders extrem. "Demnächst werden wir neben einem Krater wohnen", sagt Ingrid Rottmann am Tag nach dem Triumph ihres Sohnes. Sie sagt es ruhig, man merkt aber auch, wie aufreibend der Kampf in den letzten Jahren gewesen sein muss: Seit dem Tag, als ihnen im Jahr 2000 vom Landratsamt mitgeteilt wurde, dass ihr Haus auf Gift gebaut ist - weil der Schweinfurter Industrielle Wilhelm Sattler auf diesem Boden vor hundert Jahren Farben produziert hatte.

Als die Rottmanns also erfuhren, dass ihr Haus entweder abgerissen werden muss. Oder dass sie es sanieren müssen, und für diese Sanierung im Wert ihres Grundstücks - geschätzte 250.000 Euro - haften müssten. Man könnte auch sagen: dass sie damit enteignet sind.

Ein Krater? "Ja, ein Krater", sagt Frau Rottmann, vermutlich bis zu neun Meter tief. Dort, wo jetzt noch das Nachbarhaus steht. Dieses muss abgerissen werden, der Boden ist einfach zu verseucht. Rottmanns Haus muss nicht abgerissen werden, bei ihnen wird weiter untersucht, nach Arsen und anderen Giftstoffen. Wenn die beide Söhne aus dem Haus sind, wollte die Familie das Grundstück eigentlich verkaufen, "das ist viel zu groß für zwei", sagt Ingrid Rottmann. Nur ein Käufer dürfte sich eben schwer finden lassen. Im wohl berühmtesten verseuchten Ortsteil in Bayern.

Stefan Rottmann, der künftige Bürgermeister von Schonungen, ist inzwischen daheim ausgezogen. Sein Großvater war SPD-Ortschef in einem Dorf in Unterfranken, "politisiert hat mich als Schüler aber die Sache mit unserem Grundstück", sagt er.

Da gab es ein Gesetz, merkte er als Schüler, das sogenannte Bundesbodenschutzgesetz, das Menschen bestrafte, die absolut nichts getan hatten. Seine Eltern hatten das im frühen 20. Jahrhundert gebaute Haus im Jahr 1988 gekauft, von Arsen in Schonungen war damals nirgendwo die Rede. In der Schule - auch das wäre eine Szene für einen Film - erzählte sein Lehrer damals etwas über die Möglichkeit einer Petition. Also machte der 16-Jährige das einfach, ohne die Eltern zu fragen.

Bald stand der erste Abgeordnete im Garten der Familie, vor jenem Brunnen, aus dem Stefan Rottmann als Kind immer das Wasser für die Blumen geschöpft hatte - der dann aber plötzlich zubetoniert werden musste, des Giftes aus dem Boden wegen. Danach kamen immer mehr Abgeordnete, alle äußerten sich erschüttert über die Geschichten, wie die Schonunger früher immer mit den lustigen grünen Steinen aus dem Dorfbach gespielt hatten - gefärbt vom "Schweinfurter Grün", einer Arsen-verseuchten Farbe. Am Ende aber hörten die Rottmanns immer denselben Tenor: schlimm hier, nur leider nicht zu ändern.

Irgendwann wurde der Druck dann aber doch zu groß. Edmund Stoiber kam nach Schweinfurt, das neue Kongresszentrum sollte eingeweiht werden, geplant war ein schöner Fototermin. Stattdessen sah man die Bilder empörter Bürger, die über Enteignung klagten. Darunter auch Schüler. Im Jahr 2006 schließlich wurde die Lex Schonungen verabschiedet, ein Kompromiss: Die 23 privaten Eigentümer müssen nicht mehr mit dem Wert ihres Grundstücks haften. Aber sie müssen 13,33 Euro pro saniertem Quadratmeter zahlen. Bis zu 30.000 Euro.

Seitdem geht es um Details, "man ist eigentlich jeden Tag mit was beschäftigt, womit man nie beschäftigt sein wollte", sagt Ingrid Rottmann. Ihr Sohn ebenfalls. Zwar wohnt er nicht mehr auf dem Giftgebiet, vor Jahren aber hat er die Pressearbeit der Bürgerinitiative übernommen: Jeder kann seitdem nachlesen, wie unermüdlich sie in Schonungen um ihr Recht kämpfen - und gegen das Gift. So wurde Rottmann im Ort bekannt.

"Schon Wahnsinn", sagt der 25-Jährige, der derzeit noch als Bankangestellter arbeitet. Wäre er nicht auf einem Giftacker aufgewachsen, hätte er sich möglicherweise gar nicht für Politik zu interessieren begonnen. So aber wurde er zum Schüler, auf den eine bayernweite Sonderregelung zurückgeht. Und wird demnächst jüngster Bürgermeister Deutschlands sein.

Am Sonntag hat ihm Jonas Merzbacher, Bürgermeister in Gundelsheim und Sozialdemokrat, ein Staffelholz überreicht. Mit schönen Grüßen von Michael Adam, auch SPD, dem einstigen Bürgermeister von Bodenmais, der nun Landrat im Landkreis Regen ist. Ein Staffelholz deshalb, weil die beiden inzwischen nicht mehr die Jüngsten sind

© SZ vom 13.3.2012/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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