Wahlkampf:Phantom Pauli

Lesezeit: 4 min

Im Stimmkreis Nürnberg Nord ist Gabriele Pauli die Gegenkandidatin von Ministerpräsident Beckstein. Doch als Wahlkämpferin macht sich rar.

Olaf Przybilla

Es war dieser eine Moment, der selbst gestandene CSU-Leute bleich werden ließ. Das Münchner Messezentrum im September 2007: Mehr als 900 Delegierte werden Zeuge, wie eine Frau auf dem CSU-Parteitag ihre Stimme erhebt. Sie haben die Frau Wochen zuvor mit Hohn überschüttet. Aber in diesem einen Moment nötigt die Delegierte am Saalmikrofon - es ist die Landrätin Gabriele Pauli aus dem Landkreis Fürth - selbst ihren intimsten Parteifeinden einen gewissen Respekt ab.

Beim Festival "Gillamoos" in Abensberg ließ sich Gabriele Pauli blicken, beim Handzettelverteilen nicht. (Foto: Foto: Reuters)

"Lieber Günther", tönt es aus den Lautsprechern, und man hat nicht den Eindruck, dass die Stimme zittert. "Man hat mich als Königsmörderin bezeichnet. Und man hat versucht, mich in die Rotlicht-Ecke zu stellen." Pause. Dann kommt der Satz, den viele befürchtet - aber die wenigsten wirklich erwartet haben. Gabriele Pauli sagt: "Wie kann es sein, Günther, dass jemand wie ich öffentlich als Person bezeichnet wird, die zum Psychiater muss? Ich möchte eine Erklärung."

Die Situation endet fast im Tumult. Günther Beckstein sagt, man könne das alles unter vier Augen besprechen, aber bitte später. Pauli insistiert auf eine Erklärung, bis ihr offensichtlich das Mikrofon abgeschaltet wird. Beckstein soll die Sache mit dem Psychiater vor Journalisten tatsächlich gesagt haben. Spricht man ihn heute darauf an - im Wahlkampfbus, der ihn vom Nürnberger Volksfest zur Schnepfenreuther Kirchweih chauffiert - dann engen sich Becksteins Augen zu sehr schmalen Schlitzen.

Natürlich weiß Beckstein, dass er Unsinn geredet hat damals. Aber der Satz fiel in eine Zeit, in dem sich "die Gabi", seine Duz-Parteifreundin aus Fürth, nahezu jeden Tag darin gefiel, irgendeinen neuen Giftpfeil wider die eigenen Parteifreunde abzufeuern. Beckstein sagt nun, er habe sich "ausgesprochen" mit Pauli, die Sache sei geklärt. Pauli sagt, das Gespräch sei nicht so ganz zufriedenstellend ausgefallen. Beckstein habe ihr erklärt, lediglich die Meinung anderer zitiert zu haben. Damit mache er sich die Sache "etwas zu einfach".

Seit dem Eklat ist nun fast ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem Gabriele Pauli zwischenzeitlich völlig von der Bildfläche verschwunden war. Es lief nicht gut für die Frau, die sich eines bedeutsamen Platzes in der Geschichte des Freistaats sicher zu sein schien.

Erst wurde bekannt, dass einer ihrer Berater 30.000 Euro für ein exklusives Interview in einem Magazin gefordert hat. Dann strichen die Kreisräte von Fürth Pauli ihre Frühpension, die sie nach 18 Jahren Dienst als Landrätin für gerechtfertigt hielt. Und schließlich erklärten die Freien Wähler von Fürth, dass es Frau Pauli gar nicht erst bei ihnen als Mitglied versuchen müsse - die ehemals populäre Landrätin sei ausdrücklich nicht erwünscht. Das klang sehr nach dem Ende einer politischen Karriere.

Bis Jürgen Horst Dörfler auf den Plan trat, ein massiger Mann mit blondierten Haaren. Er war mal ein enger Vertrauter von Markus Söder, schied aber im Unfrieden aus der CSU aus - und ist nun der Chef der Freien Wähler in Nürnberg. Dörfler lotste Pauli gegen den Widerstand des Landesvorstands zu den Freien. Und er schanzte ihr - wie in einem sehr mäßigen Trivialroman - just den Wahlkreis zu, in dem Günther Beckstein seit jeher bei Landtagswahlen antritt: Nürnberg Nord.

Dörfler macht gar keinen Hehl daraus, dass es genau dieses spektakuläre Aufeinandertreffen ist, das er nutzen will. Er habe den Stimmkreis "nach strategischen Gesichtspunkten" für Frau Pauli ausgesucht, sagt Dörfler, es gehe ihm um Aufmerksamkeit. Dass Pauli als Person in Nürnberg Nord praktisch nicht zu sehen ist, auch jetzt im Wahlkampf nicht, räumt er unumwunden ein.

Handzettel soll sie in Nürnberg nicht verteilen, das bringe zu wenig. Und in die großen Festzelte, dort wo nun überall Beckstein auftritt, kommen die Freien Wähler nicht rein. Man muss dazu wissen, dass "Nürnbergs Festwirte fast alle stramme CSU-Leute sind", erklärt Dörfler.

Die Freien galten in der Halbmillionenstadt bislang nicht mal als marginale Kraft, mit Wahlergebnissen weit unter einem Prozent. Pauli soll deswegen lieber Festzelte in Nieder- und Oberbayern erobern, wo sie wie auf dem Gillamoos und in Landshut einer feschen Prominenten im Dirndl zujubeln - und Pauli den Freien über die Fünf-Prozent-Marke helfen soll. An die Spitze der mittelfränkischen FW-Bezirksliste werde Pauli ohnehin gewählt, ist sich Dörfler sicher. Und sitze sie erst im Landtag, "dann ist alles möglich".

Fränkischer Messias

Günther Beckstein sagt, er sei "sehr zuversichtlich", dass er den traditionell linken Nürnberger Stimmkreis diesmal gewinnen wird. Wer Beckstein in den Nürnberger Festzelten beobachtet, bekommt in der Tat nicht den Eindruck eines verunsicherten Mannes. Obwohl auch er den Kampf gegen ein politisches Phantom nicht gewöhnt sein dürfte. "Ich bin Gabriele Pauli noch nicht einmal im Stimmkreis begegnet", sagt Beckstein, bevor er das Bierzelt im fränkischen Knoblauchsland betritt.

Dort trägt ein "Team Beckstein" schwarze T-Shirts, bedruckt mit dem Satz: "Ich bin mit der Gesamtsituation zufrieden." Einer schwenkt permanent eine weiß-blaue Fahne. Beckstein hat einen Tag zuvor auf dem Gillamoos wenig reißen können. In Schnepfenreuth feiern sie ihn dagegen wie einen fränkischen Messias. Beckstein feuert eine Stunde lang das Zelt an. Seine Gegenkandidatin, mit der ihn eine lange politische Freundschaft verband, erwähnt er mit keinem Wort.

Könnte ein Mann namens Jonas Lanig am Ende als der Sieger aus diesem merkwürdigen Wettkampf hervorgehen? Der Sozialdemokrat ist Lehrer, 58 Jahre alt und kandidiert gerade zum ersten Mal für ein wichtiges politisches Amt. Zwei Tage, nachdem Beckstein vor 800 Zuhörern im Zelt zu Schnepfenreuth aufgetreten ist, hockt Lanig vor acht Zuhörern in einem Hinterzimmer eines griechischen Restaurants und redet kluge Dinge über Bildungsgerechtigkeit. Die meisten halten Lanig für gänzlich chancenlos.

Er aber sagt: "Zufrieden bin ich nur, wenn ich in den Landtag komme." Der studierte Germanist rechnet damit, dass Pauli vor allem im bürgerlichen Lager Beckstein Stimmen abnimmt. Und er vertraut darauf, dass Nürnberg Nord einer der rotesten Wahlkreise in Bayern ist. Zweimal, 1994 und 1998, konnte Renate Schmidt hier gewinnen. Und beide Male hieß ihr Gegner Günther Beckstein.

© SZ vom 13.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: