Ursula-Herrmann-Prozess:Das hohe C stürzt ab

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Ein Tonband ist das Hauptindiz im Ursula-Herrmann-Prozess. Eine untypische Verzerrung belastet den Angeklagten.

Hans Holzhaider

Kann ein fast 30 Jahre altes Tonbandgerät den 59-jährigen Werner M. überführen, am 15.September1981 die zehnjährige Ursula Herrmann entführt und in einer im Wald vergrabenen Kiste eingesperrt zu haben, wo sie wenige Stunden später erstickte? Am Donnerstag setzte Dagmar Boss, Phonetik-Sachverständige des Bayerischen Landeskriminalamts, ihre Aussage vor dem Landgericht Augsburg fort.

Am Dienstag hatte sie dem Gericht erläutert, warum das Tonbandgerät vom Typ Grundig TK 248, das im September 2007 im Wohnhaus des Angeklagten beschlagnahmt wurde, "wahrscheinlich" das Gerät war, das Ursulas Entführer für die Erpresseranrufe bei den Eltern verwendet hatte. Eine Fehlstellung des Aufnahmekopfs verursacht eine signifikante Verzerrung des Erkennungssignals von Bayern3, die dem bei den Anrufen übermittelten Tonsignal auffallend ähnlich ist. Jetzt berichtete die Sachverständige, bei der Untersuchung von elf Geräten desselben Typs habe kein einziges eine derart ähnliche Anomalie aufgewiesen.

Dem Tonbandgerät kommt im Ursula-Herrmann-Prozess eine zentrale Bedeutung zu. "Ein gewaltiges objektives Indiz" hatte Reinhold Nemetz, der Leiter der Augsburger Staatsanwaltschaft, das Gerät genannt. Sollte sich aber herausstellen, dass die speziellen Eigenschaften, die scheinbar für eine Verwendung des Geräts bei der Entführung Ursula Herrmanns sprechen, auch bei vielen anderen Geräten zu finden sind, dann hätte das "gewaltige Indiz" entscheidend an Überzeugungskraft verloren.

Nach dem Gutachten von Dagmar Boss indes kann sich die Sitzungsstaatsanwältin Brigitta Baur entspannt zurücklehnen. Elf Geräte vom Typ TK 248 hat man im Landeskriminalamt untersucht. Zwei davon waren nicht funktionsfähig, auch die anderen waren durchweg nicht in so gutem Zustand wie das "fragliche Gerät", das bei Werner M. gefunden wurde.

Bei einigen der Geräte wiesen entweder der Aufnahme- oder der Wiedergabekopf eine geringe Fehlstellung auf. Bei keinem der Geräte hatte das aber eine so charakteristische phonetische Verzerrung des aufgezeichneten Tonsignals zur Folge wie bei dem Gerät von Werner M. Das ist zwar noch lange kein Beweis dafür, dass es nicht doch irgendwo ein Gerät mit identischen oder wenigstens ähnlichen Eigenschaften geben könnte.

Aber der Umstand, dass dieses Gerät ausgerechnet bei einem Mann gefunden wurde, der schon vor 28 Jahren im Verdacht stand, an der Entführung von Ursula Herrmann beteiligt gewesen zu sein, wiegt nach den jüngsten Aussagen der Sachverständigen Boss umso schwerer.

Erschwerend für den Angeklagten kommt hinzu, dass sich für seine Behauptung, er habe das Tonbandgerät erst kurz vor der Hausdurchsuchung auf einem Flohmarkt erstanden, bisher keine Bestätigung finden ließ. In den nächsten Wochen müssen sich etwa zwei Dutzend Zeugen aus Norddeutschland auf den Weg nach Augsburg machen.

Ein Polizeibeamter hatte am vorletzten Verhandlungstag schon das Ergebnis der Ermittlungen zusammengefasst: Keiner der Verkäufer auf dem Flohmarkt konnte sich daran erinnern, dass dort am fraglichen Tag ein Tonbandgerät zu verkaufen war. Werner M. hatte angegeben, er habe das Gerät mit Hilfe eines Notstromaggregats ausprobiert. Der einzige Besitzer eines solchen Aggregats aber bestritt nach Angaben des Polizeibeamten entschieden, dass sein Gerät an diesem Tag zu diesem Zweck benutzt worden sei.

Michael Herrmann, der Bruder des entführten Mädchens, ist nach wie vor skeptisch, was die Schuld des Angeklagten betrifft. Das Gutachten von Dagmar Boss habe "durchaus Hand und Fuß", sagte er am Rande der Verhandlung, dennoch bleibe eine Reihe von Fragen offen, mit denen er die Gutachterin am nächsten Verhandlungstag konfrontieren will.

© SZ vom 23.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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