Tradition:Die Reiterspiele von Erharting

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Am 26. Dezember wird der Stephani-Ritt mit seinen 20 Motivwagen wieder Tausende in das Dorf bei Mühldorf locken. Die alte Tradition war nach dem Krieg eingeschlafen, doch inzwischen ist der Umzug wieder der größte seiner Art in Bayern

Von Hans Kratzer, Erharting

Heutzutage befriedigen die Menschen ihr Ego vorzugsweise mithilfe eines Statussymbols. Nicht selten schaffen sie sich eine schneidige Limousine an, um mit ihrer Hilfe Eindruck zu schinden. In der bäuerlichen Gesellschaft der Vorkriegszeit lag ein solcher Luxus außerhalb jeder Vorstellung. Automobile waren eine Rarität, das wichtigste Statussymbol der Bauern waren deshalb ihre Pferde. Je mehr und je stattlichere Rösser einer besaß, desto größer war sein Ansehen. Wer kein Pferd im Stall hatte, wurde nicht als Bauer betrachtet, sondern als ein Häusler, der im Dorfgeschehen nichts zu melden hatte. Erst mit Blick auf diese rigide gesellschaftliche Hackordnung kann man ermessen, welche Bedeutung einst der Brauch der Pferdeumritte besaß. Über ihre religiösen Motive hinaus waren solche Umritte vor allem auch Leistungsschauen, bei denen es intensiv gemenschelt hat.

Allein mit Kuriositäten aus der Geschichte des Stephani-Umritts im oberbayerischen Erharting (Landkreis Mühldorf) ließe sich ein dicker Wälzer füllen. Vor vielen Jahren, als die Winter noch streng waren, ist einem Buben während des Umritts die Zunge festgefroren. Wie es bis heute üblich ist, kniete er auf einem Motivwagen am Boden und zog dem heiligen Stephanus eine lange Nase. Außerdem musste er ihm die Zunge herausstrecken. Dies tat er aber so ausdauernd, das ihm diese bei größtem Frost am Kinn angefroren ist.

Heiliger Sebastian Leo Biermaier, Erharting, Brauchtum, Stefanieumzug, (Foto: Sebastian Beck)

Unwägbarkeiten jeglicher Art gehören zu einem Umritt ebenso dazu wie die Pferde und deren Reiter. Von möglichen Pannen aber lässt sich der Erhartinger Brauchtumsverein nicht abschrecken. Ihm obliegt alle zwei Jahre die Organisation des Stephani-Umritts am zweiten Weihnachtsfeiertag. "Jedes Jahr ginge das nicht", erklärt Leonhard Biermaier, einer der Organisatoren der Veranstaltung. Früher war Biermaier Personaldisponent bei der Bahn, "jetzt bin ich Rossdisponent", sagt er schmunzelnd. Im Umrittsjahr fällt für die Teilnehmer das Weihnachtsfest notgedrungen aus. Zu zeitfressend sind die Vorbereitungen, als dass darüber hinaus noch Zeit für das Christkind übrig bleibe. Davon kann vor allem der Vereinsvorsitzende Christian Hans ein Lied singen. Seit 14 Tagen richtet er mit seinen Mitstreitern in einer Maschinenhalle die Motivwagen her. Extra Urlaub hat er sich dafür genommen, geschuftet wird von der Früh bis in die Nacht. Und das alles im Grunde genommen für eine Dreiviertelstunde Umritt. Diese Mühe und diesen Aufwand nehmen die Erhartinger aber bereitwillig auf sich.

"Da steckt viel mehr dahinter", sagt Biermaier. Hier werde eine Tradition am Leben erhalten, die schon Jahrhunderte zurückreicht. Und zwar in eine Zeit, in der die Menschen noch nicht rundum abgesichert waren. Als schon beim Ausbruch der kleinsten Viehseuche die Existenz einer Familie auf dem Spiel stand. Die Heiligen im Himmel waren damals die wichtigsten Fürsprecher in der Not, nicht die Versicherungsvertreter. Um diese Mächte gnädig zu stimmen, begaben sich die Menschen auf lange Wallfahrten, oder sie ritten um des Segens willen um die Fluren und Kirchen. Als wichtigste Pferde- und Viehpatrone, denen landesweit Umritte gewidmet wurden, gelten in Bayern bis heute die Heiligen Leonhard, Martin, Georg, Sylvester und Stephanus.

Original Die Tradition des Erhartinger Pferdeumritts zu Ehren des Hl. Stephanus läßt sich bis zum Jahre 1589 zurückverfolgen. Die ersten Bilddokumente stammen aus dem Jahr 1912. (Foto: N/A)

Wie der Märtyrer Stephanus zum Pferdepatron wurde, weiß Biermaier nicht. Vermutlich spielt dabei eine Rolle, dass einst beim germanischen Mittwinterfest Pferdeopfer dargebracht wurden. Dass die Gedenktage des Stephanus und des Sylvester in eben diese Zeit gelegt wurden, hat ihre Berufung zu Pferdepatronen wohl gefördert, vermutet Biermaier.

Beim Erhartinger Umritt werden diesmal mehr als 20 Motivwagen zu sehen sein. Lebende Figuren stellen Heiligenlegenden nach, weshalb Christian Hans und seine Helfer auf einen der Anhänger sogar einen kleinen Fichtenwald geschraubt haben, damit sich dort der Bär des heiligen Korbinian verstecken kann. Insgesamt werden 250 Pferde zu diesem bayernweit größten Stephani-Umritt erwartet, der am 26. Dezember um 14 Uhr beginnt.

Der Umritt war immer ein Spiegel seiner Zeit. Als in den 50er Jahren Dieselrösser die Pferde von den Höfen verdrängten, wurde er nach mehr als 360 Jahren eingestellt. Aber die Idealisten ließen nicht locker. Sepp Vorbuchner, der in einer Festkutsche mitfahren wird, hatte den Brauch 1981 gegen heftigen Widerstand wieder eingeführt. "Du spinnst, du blamierst uns bloß!", schimpfte man ihn. Kaum war der Umritt erfolgreich beendet, jubelten die Pessimisten: "Des hamma aber guad gmacht." Mögen auch viele Traditionen den Bach hinunterschwimmen. Die Erhartinger Unbeirrbarkeit wird das Rösserbrauchtum noch lange am Leben erhalten.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Leonhard Biermaier aus Erharting.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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