Streit zwischen Bund und Ländern:Impfstoff wird zum Konfliktstoff

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Wer ist für den Schutz der Bürger vor Viruserkrankungen verantwortlich? Der Bund, sagen die Länder, schließlich habe der eine bessere Verhandlungsbasis bei den Pharmaherstellern. Der Bund sieht das anders. Jetzt haben Bayerns Gesundheitsminister Söder und sein hessischer Kollege einen bösen Brief nach Berlin geschrieben.

Dietrich Mittler

An diesem Montag wird der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) einen Brief auf dem Tisch haben, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. In diesem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, werfen Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) und sein hessischer Amtskollege Stefan Grüttner (CDU) der Bundesregierung vor, "den optimalen Schutz der deutschen Bevölkerung bei Pandemien und biologischen Gefahrenlagen" zu gefährden.

Gefährdet die Bundesregierung "den optimalen Schutz der deutschen Bevölkerung bei Pandemien und biologischen Gefahrenlagen"? In einem Brief, geschrieben von Bayerns Umweltminister Markus Söder und seinem hessischen Amtskollegen Stefan Grüttner, ist genau davon die Rede. (Foto: dpa)

Bahr - seit Mai dieses Jahres Bundesgesundheitsminister - hatte Ende Juni die Forderung der Länder zurückgewiesen, der Bund müsse künftig die Last und die Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln einschließlich Impfstoffen übernehmen. In seinem Brief begründete er die Absage "mit finanziellen Erwägungen".

Aus Söders und Grüttners Sicht ist dies nicht hinnehmbar. Würden im Ernstfall dringend und im großen Umfang Impfstoffe benötigt oder antivirale Medikamente - sie lindern die Grippe-Symptome -, dann würden die einzelnen Bundesländer von den mächtigen Pharma-Konzernen bei den Verhandlungen regelrecht an die Wand gedrückt, argumentieren Söder und Grüttner. Dies habe sich bei den jüngsten Pandemie-Gegenmaßnahmen (etwa bei der sogenannten Schweinegrippe durch den H1N1-Erreger) deutlich herausgestellt. "Die Erfahrungen bei der Beschaffung antiviraler Arzneimittel und insbesondere des Impfstoffes gegen die Neue Influenza zeigten, dass die Länder ihre Interessen bei Verhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie nicht angemessen durchsetzen können", heißt es in dem Brief an Bahr.

Als Gründe hierfür nennen Söder und Grüttner "die globalisierten Märkte", "die Abhängigkeit von nur wenigen international agierenden Konzernen" sowie eine "nahezu völlig intransparente Marktsituation".

Als die Weltgesundheitsorganisation WHO Ende April 2009 Alarm schlug und sich die europäischen Industrieländer in der Folge eiligst mit Impfstoffen gegen den H1N1-Erreger einzudecken suchten, wurden in Deutschland in der heißen Phase offenbar Organisations- und Kommunikationsdefizite deutlich, die nur mit Glück keine ernsthaften Konsequenzen nach sich zogen: Die Neue Grippe - weltweit werden mehr als 18.000 Todesfälle mit ihr in Zusammenhang gebracht - verlief in Deutschland relativ harmlos. "Bei einer Pandemie mit deutlich höherer Gefährlichkeit könnte dies aber zu kritischen Situationen führen", sind sich Markus Söder und sein hessischer Amtskollege sicher.

Bereits im vergangenen Sommer hatten die Gesundheitsminister der Länder dringenden Handlungsbedarf angemahnt. Söder will den aktuellen Brief an Bahr nun auch seinen Amtskollegen in den anderen Bundesländern zukommen lassen. Bei einigen dieser Kollegen dürfte die Verärgerung über den Bund auch deshalb groß sein, weil sie nun gegenüber ihrer Bevölkerung erklären müssen, warum sie so große Mengen an Impfstoff eingekauft haben, der demnächst ungenutzt verfällt.

Nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums hatten die Länder auf Empfehlung des Bundes gegen den H1N1-Erreger 34 Millionen Impfdosen für rund 40 Prozent der Bevölkerung bereitgestellt.

Allein der bayerische Anteil betrug gut 5,1 Millionen Impfdosen des Wirkstoffs Pandemrix. Verbraucht wurden rund 1,6 Millionen Impfdosen. Im Laufe dieses und des kommenden Monats werden die Impfstoffe, die an einem geheimen Ort in Bayern aufbewahrt werden, ihr Haltbarkeitsdatum überschreiten. Sie müssen dann vernichtet werden. Derzeit hole Sachsen-Anhalt im Auftrag der anderen Bundesländer Angebote für die Entsorgung ein.

Schon lange sind sich Söder und seine Kollegen darin einig: "Der Bund muss die Kosten für den nicht verimpften Impfstoff übernehmen". Doch dabei haben sie die Rechnung ohne Daniel Bahr gemacht. Der Streit über die Zuständigkeiten und Abstimmungsdefizite soll aber nicht auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden, stellten Söder und sein hessischer Kollege in ihrem Brief an Bahr klar: "Um die Bevölkerung in Deutschland nicht ungeschützt den Risiken einer Pandemie auszusetzen, werden Bayern und Hessen der derzeitigen Rechtslage folgend zusammen mit den anderen Ländern Vertragsverhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie über die Versorgung mit Impfstoff im Pandemiefall aufnehmen."

© SZ vom 12.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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