Straubing: Geiselnehmer vor Gericht:Grauenvolle Stunden

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Häftling Robert K. hat im Gefängnis eine Psychologin gefesselt und vergewaltigt. Nun kommt er vor Gericht. Doch die Frage bleibt, wie sich solche Gewalttaten hinter Gittern verhindern lassen.

Max Hägler

Es war ein Angriff hinter den Gefängnismauern, dort wo Außenstehende eigentlich größtmögliche Sicherheit vermuten: Am späten Nachmittag des 7. April 2009 kam der Häftling Robert K. in das Büro seiner Therapeutin in der Justizvollzugsanstalt Straubing (JVA). Er fesselte die Frau, hielt sie sechseinhalb Stunden lang fest und vergewaltigte sie zweimal.

In der Justizvollzugsanstalt Straubing sitzen die Straftäter mit den längsten Haftstrafen. 2009 waren von etwa 850 Gefangenen 209 "Lebenslängliche". (Foto: Foto: dpa)

Von Dienstag an muss sich Robert K. vor dem Landgericht Regensburg für seine Tat verantworten. Drei Prozesstage sind angesetzt, und es dürfte klar sein, dass zur lebenslangen Freiheitsstrafe, die K. bislang verbüßte, noch bis zu 15 weitere Jahre dazukommen, möglicherweise auch die Sicherungsverwahrung.

Die Anklage lautet auf Geiselnahme in Tateinheit mit zwei Vergewaltigungen. Schon die bisherige Strafe sitzt der Aschaffenburger wegen Sexualdelikten ab. Für eine erste Vergewaltigung bekam er fünf Jahre, eine weitere Frau ermordete er nach ihrer Vergewaltigung. Seit 1984 sitzt K. deswegen im Gefängnis.

Als im Jahr 2004 in seiner Anstalt Straubing eine sozialtherapeutische Station eröffnet wurde, war K. einer der ersten, die in das Behandlungsprogramm aufgenommen wurden. Fünf Jahre lang ist er dort schon in Behandlung, als er am 7. April, kurz vor dem täglichen Einschluss, um 17.15 Uhr das Büro seiner Therapeutin betritt.

Therapeutin in Todesangst

Er führt ein selbstgefertigtes Messer, zwei Schnürsenkel, ein Stück Klebeband, ein Fläschchen Modellbaukleber und ein Fläschchen Sekundenkleber bei sich. Er packt die Psychologin von hinten und hält ihr sein Messer ans Gesicht. Noch leistet Dr. B. Widerstand, vergeblich fordert sie den Mann auf, sie freizulassen. K. versperrt die Tür, verbarrikadiert sie mit Möbelstücken und fesselt und knebelt die Frau.

Schon vor Jahren hatte Robert K. in der JVA einmal für Aufsehen gesorgt, als er einen Wärter niederschlug und vergeblich eine Flucht übers Dach versuchte. Diesmal geht es ihm offenbar nicht um Flucht. Für die Freilassung der Frau fordert er eine Gegenleistung, die eigentlich nicht groß anmutet: Er will Telefongespräche mit seiner Brieffreundin führen.

Er habe gewusst und beabsichtigt, dass die Leiterin der sozialtherapeutischen Abteilung ebenso wie die Leitung der JVA davon ausgingen, dass er Frau Dr. B. töten würde, falls man seinen Forderungen nicht nachkäme. Davon geht die Staatsanwaltschaft Regensburg aus. K. verlieh seinen Forderungen auf brutale Weise Nachdruck.

Aus "Todesangst" habe die 49-jährige Frau mehrere Vergewaltigungen über sich ergehen lassen. Um sie vom Schreien abzuhalten, habe K. auf den Sekundenkleber gezeigt und gedroht, ihr damit den Mund zu verkleben. Später spricht er mit ihr, hilft ihr beim Ankleiden, nötigt sie aber kurze Zeit später abermals zum Geschlechtsverkehr.

Sechseinhalb Stunden dauert das Martyrium. Kurz vor Mitternacht gelingt es einem anderen Gefängnispsychologen, den Häftling zum Aufgeben zu bewegen. Bayerns Justizministerin Beate Merk bricht noch in der Nacht eine Ägypten-Reise ab und eilt zum Tatort. "Wir müssen von massiven seelischen Verletzungen bei dem Opfer ausgehen", sagte sie sichtlich erschüttert am Tag nach der Geiselnahme in Straubing.

Metalldetektoren und Notrufgeräte

Bis heute hat die Psychologin B. ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen. "Alle Bediensteten sind durch das schreckliche Verbrechen an ihrer Kollegin schwer erschüttert", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Christian Gessenharter.

Alle hofften, dass sie die Folgen der furchtbaren Tat überwinden könne und seien in Gedanken stets bei ihr. Gestanden hat K. noch nicht, aber wie es heißt, hat er die Angaben seines Opfers in den Vernehmungen bestätigt und wird wohl auch vor Gericht aussagen.

Unmittelbar nach der Tat kündigte Justizministerin Merk an, die Sicherheitsbedingungen in bayerischen Gefängnissen zu verbessern. Tatsächlich werden Häftlinge in Straubing und in den anderen bayerischen Gefängnissen inzwischen genauer durchsucht.

Zusätzliche Metalldetektoren wurden angeschafft, um zu verhindern, dass Häftlinge Gegenstände aus den Arbeitsbereichen mit in ihre Zellen nehmen, die zudem mittlerweile zweimal monatlich inspiziert werden. Die Bediensteten sollen künftig mit mobilen Notrufgeräten ausgestattet werden. Und die Anstaltsleitung in Straubing betont, dass man "insbesondere" die Kontrolle der Sozialtherapeutischen Abteilung ausgeweitet habe.

Das seien alles "sehr schöne, sehr richtige Maßnahmen", urteilt Anton Bachl, der Vorsitzende des Verbandes des Bayerischen Justizvollzugsbediensteten. Aber die Geiselnahme im April sei kein Ergebnis mangelnder Sicherheitsvorkehrungen gewesen.

Absolute Sicherheit gibt es nicht

"So schlimm es ist, solche Verbrechen innerhalb der Gefängnismauern kommen leider ab und an vor", sagt Bachl. "Wir müssen mit höherer Gefährdung leben." Sein Verband hatte zuletzt eine Aufstockung des Personals gefordert. Justizvollzugsbeamte seien nicht Wärter mit Schlagstock, sondern vor allem Gesprächspartner für die Insassen - aber das Betreuungsverhältnis sei derzeit schlecht.

In diesem speziellen Fall könne man aber nicht den Personalmangel dafür verantwortlich machen, dass die Tat nicht verhindert werden konnte. "Ich wüsste nicht, was in der sozialtherapeutischen Abteilung in Straubing besser hätte laufen können", sagt Bachl.

Auch der stellvertretende Anstaltsleiter Gessenharter betont, dass man "absolute Sicherheit im Strafvollzug nicht garantieren kann". Das Grundgesetz verlange einen modernen, behandlungsorientierten Strafvollzug. Das verbiete einen hermetisch abgeschlossenen Isolationsvollzug und erfordere, den Gefangenen auch Freiräume zu gewähren.

© SZ vom 22.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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