Sekte "Zwölf Stämme":Gehirnwäsche, Prügel, Rassismus

Werden mitten in Bayern Kinder auf einer staatlich genehmigten Schule zu Rassisten erzogen? Mehrere ehemalige Mitglieder werfen der Sekte "Zwölf Stämme" genau das vor. Zudem würden Kleinkinder mit Sicherheitsnadeln und Weidenrute gezüchtigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft nun, ob Straftaten vorliegen.

Stefan Mayr

Werden mitten in Bayern auf einer staatlich genehmigten Schule Kinder und Jugendliche zu Rassisten erzogen - quasi mit freundlicher Unterstützung des Kultusministeriums? Das Nachrichtenmagazin Focus berichtet in seiner jüngsten Ausgabe über die urchristliche Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in Klosterzimmern (Kreis Donau-Ries), dabei kritisieren ehemalige Mitglieder die Zustände in den Wohnhäusern und in der Schule der Sekte.

Misshandlungsvorwuerfe gegen 'Zwoelf Staemme'

In einem Kloster hat sich die Glaubensgemeinschaft, die ihre Kinder selbst unterrichtet, eingerichtet. Nun prüft die Staatsanwaltschaft, ob es zu Straftaten kam.

(Foto: dapd)

Angeblich werden auf dem Gutshof des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters im Gemeindebereich Deiningen die Kinder vom zweiten Lebensjahr an mehrmals am Tag mit Weidestöcken geschlagen - von ihren Eltern, aber auch von Lehrern oder Nachbarn. Zudem werde in der Schule gelehrt, dass "Afrikaner verflucht sind" und "Neger den Weißen dienen müssen". Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat Vorermittlungen aufgenommen, die Schulbehörden kündigen zusätzliche Kontrollen an.

Sollten die Berichte der Aussteiger zutreffen, dann bestätigen sie die Warnungen der Landtags-Opposition, die bereits im Jahre 2006 die Genehmigung für die Sektenschule kritisiert hatte. Damals wurde der Glaubensgemeinschaft nach jahrelangem Streit erlaubt, eine sogenannte private Ergänzungsschule zu betreiben. Im Volksschulbereich ist diese Lösung bayernweit einmalig.

Zuvor war der Streit um die Schulpflicht der Kinder eskaliert: Im Oktober 2002 holten etwa 50 Polizisten die Kinder mit Bussen ab und brachten sie gegen ihren Willen in die staatliche Schule von Deiningen. Doch schon am nächsten Tag blieben alle wieder zu Hause und ließen sich von ihren eigenen Lehrern unterrichten. Die Eltern zahlten auch das verhängte Ordnungsgeld nicht, deshalb mussten sieben Väter zwischen sechs und 16 Tage lang eine sogenannte "Erzwingungshaft" absitzen.

Die Eltern blieben standhaft, und die nächste Eskalationsstufe wäre gewesen, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. Vor diesem Schritt schreckten die Behörden zurück. So kam es vier Jahre später zum Kompromiss: Die Glaubensgemeinschaft betreibt seitdem auf eigene Kosten eine Ergänzungsschule, die zwar staatlich kontrolliert wird, deren Unterricht aber vom üblichen Lehrplan abweicht. So lehrt die Schule weder Sexualkunde noch die Evolutionstheorie.

"Erhebliche dogmatisch bedingte Abweichungen"

Noch im Jahre 2005 hatte das Schulamt den Unterricht in Klosterzimmern scharf kritisiert; Die Lehrer genügten den staatlichen Anforderungen nicht, und in einigen Fächern gebe es "erhebliche dogmatisch bedingte Abweichungen", hieß es. So werde ein Menschenbild vermittelt, das Mann und Frau als nicht gleichberechtigt erachtet - und deshalb "nicht auf die Lebenswirklichkeit außerhalb der Gemeinschaft" vorbereite. Diese Bedenken wurden 2006 um des Friedens willen vom Tisch gewischt.

Jetzt werden die Behörden womöglich von der Realität eingeholt. Bereits am Montag zog das Kultusministerium erste Konsequenzen aus dem Medienbericht: "Heute ist die Anweisung an die Regierung von Schwaben und an das Schulamt Donau-Ries gegangen, den Vorwürfen nachzugehen", sagt ein Ministeriumssprecher. Die Schulaufsicht solle "intensiviert" werden, es werde Gespräche mit dem Schulträger, den Lehrern und auch den Schülern geben.

Landrat Stefan Rößle zeigt sich überrascht: "Das ist die bestüberwachte Schule des Landkreises, bislang hat es keinerlei Anhaltspunkte für Misshandlungen oder rassistische Inhalte gegeben", sagt er. Ein Entzug der Schulgenehmigung ist laut Ministerium zunächst kein Thema: Selbst wenn Straftaten nachgewiesen würden, müsse erst geprüft werden, ob diese Einzelfälle sind oder zum System der Schule gehören. Dieser Nachweis ist nicht einfach.

"Wen der Herr liebt, den züchtigt er"

Der Focus beruft sich auf die Aussagen von zehn Aussteigern sowie auf "interne Unterlagen" der Sekte. Berichtet wird von einem "gnadenlosen Kontroll- und Strafregime" mit "Gehirnwäsche" und "Prügel", um "den Willen der Kinder zu brechen".

Angeblich beginne die Züchtigung bereits im Babyalter: Jedes Kleinkind werde "mit Hilfe von Sicherheitsnadeln" so eng in ein Tuch gewickelt, dass es nicht mehr strampeln könne. Ab dem zweiten Lebensjahr werde man "mindestens dreimal am Tag" mit einer Weidenrute geschlagen. Dabei beriefen sich die Erzieher auf das Neue Testament; "Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er. Er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet." (Hebräer 12,6)

In einem "internen Schriftstück" der Sekte heiße es: "Rebelliert ein Kind, ist physischer Schmerz das einzige Druckmittel, damit es elterliche Kontrolle und Anweisung akzeptiert." Im Kapitel "Züchtigung" wird die Kindererziehung mit Hundedressur verglichen: "Aus der Hunde-Erziehung ist bekannt, dass die Benutzung der Hand kontraproduktiv ist. Das gilt auch für Kinder." In der Schule werde den Kindern beigebracht, dass Martin Luther King und andere vom Geist des Teufels angestiftet wurden, die Gleichheit zu erkämpfen.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft nun, ob verfolgbare Straftaten vorliegen. Die Glaubensgemeinschaft machte auf Anfrage am Montag keine Angaben, kündigte aber eine schriftliche Stellungnahme an.

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