Schweinfurter Abi-Pleite:Ein gestohlenes Jahr

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Der Eingang der privaten Fachoberschule in Schweinfurt. (Foto: dpa)

Sie hat Pläne, will ins Ausland, später studieren. Doch dann fällt Laura Eichhorn durchs Fachabitur - so wie alle ihre Mitschüler an einer privaten Fachoberschule in Schweinfurt. Ein Jahr danach soll ein Gericht feststellen, dass die Schüler nicht zu dumm oder faul waren.

Von Katja Auer, Schweinfurt

Sandra Eichhorn hat die Kurznachrichten noch in ihrem Handy gespeichert. "Kein einziger hat bestanden", schreibt ihre Tochter Laura. "Du schaffst das", schickt die Mutter zurück, es soll aufmunternd klingen und sie kann es ohnehin nicht glauben. Aber Laura hat es tatsächlich nicht geschafft. Der ganze Jahrgang hat vor einem Jahr das schriftliche Fachabitur an der privaten Fachoberschule in Schweinfurt nicht geschafft.

Für die Schule war das eine Katastrophe, inzwischen ist die FOS geschlossen, gerade ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Für Laura war es eine herbe Enttäuschung. "Ich bin so sauer", sagt sie. 20 Jahre ist sie jetzt alt und eigentlich hätte sie um diese Zeit aus Fuerteventura zurückkommen sollen - nach einem Jahr jobben in Spanien. Dann wollte sie die 13. Klasse machen, um auch noch die allgemeine Hochschulreife zu erlangen, danach ein Lehramtsstudium. So war der Plan.

Stattdessen kündigte sie nach zwei Wochen im spanischen Robinson-Club, weil daheim die Aufnahmeprüfungen für die staatliche Fachoberschule anstanden. Sie hat wieder gelernt, ist wieder zur Schule gegangen, gerade hat sie wieder das Fachabitur geschrieben. Die Noten kennt sie noch nicht, aber Laura ist sicher, dass sie diesmal bestanden hat. "Ich will nur noch fertig werden", sagt sie. Ein Jahr später als geplant. Immerhin. Andere ehemalige Mitschüler verloren gleich zwei Jahre, weil sie die elfte Klasse auch noch wiederholen mussten.

Daheim in Schweinfurt erzählt die 20-Jährige von ihrer Pleite. Die dunklen Augen blitzen hinter der Brille, manchmal stockt sie und muss ein paar wütende Tränen hinterschlucken, dann greift die Mama nach ihrer Hand.

Schule war staatlich genehmigt

Nach der Mittleren Reife wollte Laura weitermachen. Sie entschied sich für die Erste Private Fachoberschule, kurz EPFOS. Diese gehört zu den "privaten Schulen Schwarz", ebenso wie eine Real- und eine Wirtschaftsschule, die einen guten Ruf hat in Schweinfurt. Daraus schloss die Familie, dass auch die EPFOS seriös sei. Die war staatlich genehmigt, wenngleich nicht staatlich anerkannt.

Heute macht sich ihre Mutter Vorwürfe, "dass wir die Prüfungsbedingungen nicht genauer hinterfragt haben". Laura gehört zum ersten Jahrgang und schon bald, sagt sie, habe sie sich gewundert. Über den Mathelehrer, der ganz andere Sachen erzählte als der in der Realschule. Über fehlende Formelsammlungen und darüber, dass sie Schulbücher nicht mit nach Hause nehmen durften. Nach der ersten verkorksten Ex geht sie ins Direktorat. Wie noch so oft. "Die anderen haben gesagt, ich übertreibe."

Bis die Schüler erfahren, dass bei ihrem Abitur die Leistungen aus dem Schuljahr nicht mitgezählt werden und sie stattdessen mehr Prüfungen machen müssen. Dass ihre Lehrer mangels Qualifikation die Klausuren nicht korrigieren dürfen. Dass sie im Mathestoff verheerend weit hinten liegen. Eine Überprüfung des Kultusministeriums nach der Abi-Pleite hat das bestätigt.

Die Lehrer seien nicht in der Lage gewesen, die Schüler "angemessen auf die Abschlussprüfung vorzubereiten". Die Schulleitung habe den Unterricht nicht ausreichend überwacht und Schüler und Eltern zu spät über die Prüfungsmodalitäten informiert. Allerdings, das geht aus der Überprüfung auch hervor, habe etwa die Hälfte der Schüler nicht den notwendigen Notendurchschnitt gehabt, um überhaupt eine staatliche FOS zu besuchen.

Laura ist gut genug, in der zwölften Klasse versucht sie noch, die Schule zu wechseln, aber die Frist ist abgelaufen. Also lernt sie, besucht den Förderunterricht, nimmt Nachhilfe. Unbedingt will sie den Schnitt von 2,8 erreichen, den sie für die 13. Klasse braucht. "Ich hätte nie gedacht, dass ich durchfalle", sagt sie, schließlich gehört sie zu den Besten.

Dann das Abi. Es läuft schlecht. Als der Rektor der staatlichen FOS, dessen Lehrer die Prüfungen korrigiert haben, die Schüler in die Aula bestellt, ahnt niemand, was er gleich verkünden wird: alle durchgefallen. "Ich hab' gedacht, ich fall' um", sagt Laura. Zwei können ihr Abi mit mündlichen Prüfungen retten, der Rest muss wiederholen. Viele von ihnen an der staatlichen FOS, das Kultusministerium gewährt für den Übertritt Kulanz.

Erstes Urteil noch im Juni

"Jetzt weiß ich, dass uns grundlegende Sachen fehlten", sagt Laura Eichhorn. Sie fühlt sich betrogen um das Jahr. Es war ein schweres. Sie bekam eine Schuppenflechte vom Stress, sagt sie, und auch für die Familie war die Zeit eine Belastung. Deswegen haben die Eichhorns - wie 15 andere Familien - die EPFOS und ihren Geschäftsführer verklagt. Es geht um gut 3000 Euro Schulgeld und den Verlust, der sich aus Lauras geplatztem Job in Spanien errechnen lässt.

Aber vor allem will Sandra Eichhorn, 41, dass ein Gericht feststellt, dass die Schüler nichts dafür können. Dass sie nicht zu dumm waren für das Fachabitur oder zu faul. Sondern dass sie es an dieser Schule, mit diesen Lehrern, mit diesem Unterricht, gar nicht hätten bestehen können. "Dann kann man das im Lebenslauf erklären", sagt sie.

Am 24. Juni gibt es ein erstes Urteil. Allerdings werden momentan nur die Verfahren, die gegen den 68-jährigen Geschäftsführer persönlich gerichtet sind, fortgeführt, sagt der Schweinfurter Amtsrichter Arnold Dotterweich. Die Schadenersatzklagen gegen die Schule ruhen wegen des Insolvenzverfahrens.

© SZ vom 17.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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