Oberfranken:Die heile Welt der Hummelfiguren

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Die 33 Zentimeter hohe Figur des Kinderpaares unterm Schirm wird insgesamt 15 Tage gebrannt - langsam, damit sie nicht reißt. (Foto: Hummel Manufaktur)
  • Seit 80 Jahren werden die pummeligen Hummelfiguren in Rödental in Oberfranken gefertigt.
  • Nach vielen Krisenjahren geht es wieder bergauf in dem Unternehmen: Elf Auszubildende lernen derzeit ihr Handwerk.

Von Anna Günther, Rödental

Schon im Treppenhaus riecht es säuerlich, nach reifem Käse. Ein vergammeltes Pausenbrot? Peter Hohenstein winkt ab. "Die Azubis legen gerade Spitzen, das riecht halt so." Wie kann etwas Zartes wie Spitze denn stinken? Der Schlicker, die hellgraue Tonmasse, aus der später das Porzellan gebrannt wird, ist für das Spitzenlegen flüssig und vergoren, das riecht wie Käse.

Der Nachwuchs soll nicht nur lernen, pummelige Hummel-Figuren herzustellen, sondern auch alte Keramik-Techniken beherrschen. Das ist dem Produktionsleiter der Hummel Manufaktur in Rödental wichtig. Also ziehen die beiden jungen Frauen Spitze durch die miefige Tonmasse und drapieren sie an Figurinen. Im Ofen verbrennt der Stoff, das Porzellan bleibt.

Seit 80 Jahren werden die Figuren gefertigt

Auf den guten Ruf der Manufaktur als Ausbildungsbetrieb ist Hohenstein stolz. Elf Lehrlinge bildet er gerade aus, im neuen Jahr kommen weitere dazu. Seit 80 Jahren werden die pausbäckigen Kinderfiguren nach den Entwürfen von Berta Hummel in Oberfranken gefertigt. Vor allem ihre Kinderzeichnungen machten die 1909 im Rottal geborene Hummel bekannt. 1931 ging sie ins Kloster, ihre Bilder und Figuren werden bis heute unter dem Namen Maria Innocentia Hummel vermarktet.

Für Skeptiker mögen die Püppchen der Inbegriff von Kitsch sein, aber gerade in den USA gibt es eine große Fangemeinde. GIs brachten nach dem Zweiten Weltkrieg die Figuren mit ihrem Heile-Welt-Flair als Mitbringsel aus Deutschland heim. Bis heute hat der Hummel-Club in Nordamerika mit 25 000 Fans die meisten Mitglieder. Wichtigster Markt ist Deutschland mit Zentraleuropa, gefolgt von den USA und Asien.

Sammler zahlen viel Geld für die Hummel-Figuren

Mehr als 1000 Modelle sind seit 1935 produziert worden, bis zu 100 000 Figuren stellen die Rödentaler Keramiker mittlerweile wieder jedes Jahr her. Ein Viertel geht an die Club-Mitglieder. Für Sondereditionen wie "die 71", so heißt das 33 Zentimeter große Kinderpaar unter dem Schirm intern, geben manche Sammler fast 2000 Euro aus. 1937 entstand dieses Modell, das offiziell "Unter einem Dach" heißt.

Bis die fünf Kilo schwere Sondergröße fertig ist, wird die Figur 4500 Mal in die Hand genommen. Teile des Modells müssen gegossen und zusammengefügt werden. Allein mit der Bemalung sind mehrere Mitarbeiter beschäftigt. Flächen wie Haut und Wangen werden gesprüht, Kleider und Schirm bemalt, Augen und Mund dann mit Feder oder Pinsel gezeichnet. Bis zu acht Kontrollen durchläuft jede Figur. Die großen sind gerade in Asien beliebt. "Die Asiaten sind oft begeistert wie Kinder, das macht richtig Spaß, sie durchs Haus zu führen", sagt Hohenstein. Die Figuren gehörten dort richtig zum Leben dazu.

Klingt ganz gut, doch die alte graugrüne Fabrik am Ortsrand von Rödental wirkt wie ein Mahnmal. Produziert wird nur noch in einem Teil des Gebäudes. Gegenüber im Gewerbegebiet steht der Ein-Euro-Shop neben der Discounter-Apotheke. Ein einsamer Imbiss bietet Bratwurstburger. Wenige bayerische Porzellanhersteller haben die Krise der vergangenen Jahre überstanden. Auch Hummel taumelte, nicht zuletzt in der Wirtschaftskrise: 2008 stellte die Porzellanfabrik Goebel die Fertigung der Figuren ein. 2009 ging es mit einem kleinen Team weiter. Fünf Jahre später folgte die zweite Insolvenz.

Ende 2013 übernahm ein neuer Investor, Kenneth LeFevre ist seit Oktober 2015 Geschäftsführer. Er setzt auf den Namen, auf die Fans und das Lizenzgeschäft. Mit Charles Harley vertreibt er seit 35 Jahren Hummelfiguren in den USA. LeFevre will nun junge Leute ansprechen, dass bisher ältere Damen Hauptkundschaft sind, ist ihm durchaus bewusst. Aber Niedlichkeit ziehe immer, sagt er. Künftig sollen sogar Hummel-Bierkrüge zu kaufen sein. Es soll Postkarten geben, Kalender, Rucksäcke, Porzellan und Babystrampler. Gerade in diesen unruhigen Zeiten könnte sich das Heile-Welt-Flair der Püppchen gut verkaufen.

Alle sind miteinander im Gespräch

War das nicht auch in der Vergangenheit so? Einwände wischt LeFevre vom Tisch. "Zum ersten Mal sitzen die Familie, das Kloster und der Verlag an einem Tisch", sagt er. Zum ersten Mal seien alle Rechte in einer Hand. Deshalb ist er zuversichtlich, und made in Germany funktioniere einfach. Der 64-Jährige wird euphorisch, wenn er über die Figuren spricht. Der Mann ist Amerikaner, denkt man sich, da ist Enthusiasmus unter Business-Men üblich. Aber Hohenstein, der Oberfranke?

Auch Ministerpräsident Seehofer ist schon mit Hummelfiguren beglückt worden. (Foto: dpa)

Der Werksleiter ist kein Plauderer, er schaut sich den Besuch erst einmal an. Sammelt er etwa auch? "Die Frage ist eher, wer von uns keine daheim hat", sagt Hohenstein. Wer einmal an den Figuren hänge, der bleibe dabei. Wenn aber Figuren zum Billigpreis bei Ebay auftauchen, das tue richtig weh, sagt er. Seit 42 Jahren arbeitet er im Betrieb, erst bei Goebel, dann in der Hummel Manufaktur. Hohenstein überstand als einziger die Insolvenzen. Er durfte den Betrieb 2009 neu aufbauen und holte die erfahrensten Kollegen zurück. "Etwas Schöneres kann einem nicht passieren", sagt der 58-Jährige. Jeder macht nun elf Jobs, nicht nur einen, und springt ein, wo Not ist. Das war in der Porzellanfabrik undenkbar.

Ein bisschen schöner kann es sogar für Hohenstein noch werden: Wenn er 2018 in Rente geht, sollen wieder 100 Leute für die Hummel produzieren. Heute sind es 50. Er setzt auf den Nachwuchs, die Azubis sollen das Wissen der Kollegen in die Zukunft weitertragen.

© SZ vom 23.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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