Otto-Lilienthal-Kaserne Roth:Eine Stadt wartet auf die "Tiger"

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Früher waren es noch 3000 Mann. Doch es werden immer weniger Soldaten. Jetzt könnte das Schicksal der ganzen Kaserne von einer Hubschrauber-Lieferung abhängen - die manch einer aber schon längst abgeschrieben hat.

Mike Szymanski

Oberstleutnant Sven Riekher, braungebrannte Unterarme, olivgrüner Overall, Fliegeruhr am Handgelenk, hat die Besuchertruppe auf die Aussichtsplattform geführt: Die Sonne knallt aufs Flugfeld der Otto-Lilienthal-Kaserne. Da unten geht es ein bisschen zu wie in einem Blumenbeet: Ständig schweben Hubschrauber vom Typ BO 105 wie Bienen ein, landen und heben dann wieder ab. Von hier oben lässt sich das sehr schön beobachten, aber deshalb hat Riekher nicht aufs Dach geführt.

Die Otto-Lilienthal-Kaserne in Roth hofft auf die Lieferung von Tiger-Hubschraubern. Andernfalls könnte bald das Ende für den Standort gekommen sein. (Foto: dpa)

Er will etwas anderes zeigen. Die Piloten in Roth warten nämlich. Sie sollen ganz moderne Hubschrauber bekommen, solche vom Typ Tiger. Auch wenn es sonst nicht putzig bei der Bundeswehr zugeht, sie steht jedenfalls auf Tiernamen. Jetzt dirigiert Riekhers Zeigefinger über das Flugfeld: In der kleinsten Halle, ganz hinten, können die Tiger gewaschen werden. Daneben zwei weiße Hallen mit Platz für jeweils 16 Maschinen und davor steht noch ein Wartungsgebäude. Einen Simulator zur Schulung gibt es auch. Alles neu, alles funkelt, alles ist fertig. "Die 160 Millionen Euro, die hier verbaut wurden, kann man sehen", sagt Riekher. Nur Tiger sieht man nirgends.

Deshalb ist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an diesem Tag nach Roth gekommen und mit Riekher auf das Dach gestiegen. Er will sich anschauen, in welch eine bizarre Lage die Politik in Berlin die Bundeswehr mit ihrem Reformeifer manövriert hat.

Die Truppe soll schrumpfen, von 220.000 auf maximal 185.000 Soldaten. Der Wehrdienst ist schon Geschichte. Die Rechnung ist einfach: Weniger Soldaten bedeuten weniger Kasernen, weniger Aufträge für die Rüstungsindustrie und ganz am Ende natürlich auch: weniger Tiger.

Ursprünglich wollte die Bundeswehr etwa 80 Tiger-Hubschrauber anschaffen, genug für zwei Kasernen, die eine im mittelfränkischen Roth, die andere im hessischen Fritzlar. Beide Standorte haben investiert, damit der Tiger bei ihnen landen kann. Dann aber schickte sich der damalige Bundesverteidigungsminister, der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), an, die chronisch unterfinanzierte Truppe neu zu erfinden. Nicht "nach Kassenlage", wie er versprach.

Aber jetzt zählt doch jeder Euro im Verteidigungsetat, und statt von 80 ist nur noch von etwa 40 neuen Helikoptern die Rede. Jedenfalls ist ungewiss, ob jemals einer hier stationiert wird, weil rechnerisch eine Kaserne reicht. In der Otto-Lilienthal-Kaserne kommen all die Probleme dieser Reform zusammen: Die Wehrdienstler sind schon weg, mehrere hundert, was die verbliebenen Kameraden nur zur Mittagszeit freut, weil die Schlange in der Kantine dann nicht mehr aus dem Gebäude herausragt. Freiwillige melden sich nicht wie erhofft. Plötzlich steht dieser Standort mit einst 3000 Soldaten auf dem Spiel. Bis vor kurzem war man noch der Meinung, eine große Zukunft zu haben.

Wenn man Herrmann darauf anspricht und fragt, wie es sein kann, dass hier das Geld derart in den Sand gesetzt wird, dann brummt er nur: "Das wird bei vielen Investitionen wohl noch der Fall sein." Herrmann hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. "Roth darf auf keinen Fall aufgegeben werden", sagt er. Und bei solch deutlichen Worten stehen hier die Soldaten stramm.

Oberstleutnant Daniel Ehrl (l.) erklärt dem bayerischen Innenminisiter Joachim Herrmann (CSU) den Flugsimulator für den Tiger-Hubschrauber. (Foto: dpa)

Das Ringen um die Standorte hat begonnen. Auf die Politik wartet ein heißer Herbst. Dann will Guttenbergs Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Thomas de Maizière (CDU), die Streichliste vorlegen. So viel sickert schon durch: Bayern darf nicht erwarten, geschont zu werden. 68 Bundeswehrstandorte hat der Freistaat, etwa 50.000 Bundeswehrsoldaten schieben hier ihren Dienst. Etwa zehn Kasernen sollen ernsthaft in Gefahr sein.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ist alarmiert: "Wir werden nicht um den einen oder anderen Einschnitt herumkommen", sagte er neulich. Guttenbergs Erbe - es gibt nicht wenige in der CSU, die es jetzt lieber ausgeschlagen hätten.

Herrmann zum Beispiel hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er die Reform skeptisch sieht. Wohl auch deshalb wird er hier wohlmeinend empfangen, obwohl es seine CSU war, die in der Truppe keinen Stein auf dem anderen lassen wollte. Die Stimmung ist leicht angespannt, beim Mittagessen in der Kantine spürt man das. Oberstleutnant Christian Prestele von der Standortleitung etwa sagt: "Zu unserer Zukunft können wir genauso wenig sagen wie unsere Politiker."

Seit mehr als 30 Jahren ist er bei der Bundeswehr, er ist gerne Soldat, und er ist loyal. "Ich bin davon überzeugt, dass die Reform gutgehen wird", sagt er. Aber wer behaupte, dass die Kassenlage bei der Reform keine Rolle spiele, der sei "nicht ganz aufrichtig".

Natürlich wachsen die Zweifel in der Truppe, und sie werden dann Gerhard Rückl anvertraut, dem Vertrauensmann. Auch er sitzt am Tisch. Bei den älteren Soldaten gehe "regelrechte Existenzangst" um. Und dann sagt er noch: "Wenn irgendein Industriebetrieb 3000 Stellen abbaut, gehen bundesweit Menschen auf die Straße und demonstrieren." Aber die Bundeswehr sei eben die "Sparbüchse der Nation".

Roths Bürgermeister Ralph Edelhäußer (CSU) hat sich die Sorgen der Soldaten oft angehört. Er ist erst seit März Bürgermeister. Er erzählt, er werde derzeit sehr oft gefragt, ob er denn einen Plan B für den Fall habe, dass die Kaserne geschlossen wird. "Den haben wir aber nicht", sagt er.

© SZ vom 13.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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