Jubiläum:Ein Hoch auf die alte Tante SPD

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  • Die Nürnberger SPD feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag - der Festakt wurde um ein halbes Jahr verschoben.
  • In der zweitgrößten Kommune des Freistaats ist die Partei so erfolgreich wie nirgendwo anders in Bayern.
  • Das Geheimnis ihres Erfolges: Die ständige Erneuerung, meinen die fränkischen Sozialdemokraten.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Günther Beckstein fährt nicht gerne Zug, und das hat auch einen Grund: Immer, wenn er auf den Gleisen nach Nürnberg einfährt, dann steht da dieses Haus. Es war mal das modernste der Stadt, eines der höchsten ist es bis heute, eines der sehenswertesten ohnehin. Oben prangen drei Buchstaben, die das Quartier um den Hauptbahnhof zumindest optisch dominieren.

"Rotes Haus" heißt der Block in Nürnberg, das SPD-Hauptquartier. Bayerische Sozialdemokraten müssen sich im Bundesgebiet ja viel Spott anhören, das auszuhalten gehört sozusagen zur Stellenbeschreibung eines bayerischen SPD-Funktionsträgers. Dieselben Spötter steigen dann in Nürnberg aus und sind irritiert. Das ist das örtliche Hauptquartier dieser Partei mit dem lustigen Loser-Charme?

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Ist es, und das Staunen würde noch größer, würde man Reisende gleich danach zum örtlichen Hauptquartier der größten denkbaren Partei unter der bayerischen Sonne führen. In der Halbmillionenstadt Nürnberg, der zweitgrößten Kommune Bayerns, residiert die CSU an einer Innenstadt-Straße, in der irgendwann mal ein Beschluss gefallen sein muss, die Sechzigerjahre bestmöglich zu konservieren.

Es ist eng dort, es wirkt irgendwie unaufgeräumt, im Sommer steht die Luft, draußen wie drinnen. Die Decken hängen verdammt tief bei der Nürnberger CSU, man erwartet immer, dass gleich einer Ärmelschoner verteilt. Beckstein, der Mann mit der gut begründeten ICE-Allergie, war hier lange Parteichef. Momentan ist es Markus Söder, womöglich der nächste Ministerpräsident aus Nürnberg. Keine Heimat für Hinterbänkler also. Aber im Vergleich mit der SPD? Lachhaft, könnte man sagen.

Die örtliche CSU haust hingegen in einem 60er-Jahre-Klotz mit unvergleichlichem Ärmelschoner-Charme. (Foto: Olaf Przybilla)

Die Nürnberger SPD feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag, beziehungsweise: Eigentlich feiert sie ihn nicht. Der Jubiläumstag ist so verstrichen, wie das in Franken und speziell in Nürnberg zum guten Ton gehört. Man sagt lieber mal nichts. Gut, ein paar selbst geschriebene Artikel im Sub-Lokalteil der Zeitung, ganz hinten, aber der Festakt wurde um ein halbes Jahr verschoben, mal sehen, vielleicht im Herbst. Eine Festschrift oder irgendwas anderes, was man schwarz auf weiß nach Hause tragen könnte, gibt es auch nicht. Würde Markus Söder einer Partei mit dieser Geschichte angehören, mit dem Quartier und mit dem Erfolg in der SPD-Bayern-Diaspora - er würde notfalls Telefonterror bei den Tagesthemen organisieren, um so ein Jubiläum angemessen unters Volk zu bringen. Aber Söder ist ja nicht in der SPD.

"Ein bisschen" stolz auf die SPD-Geschichte

Thorsten Brehm ist in der SPD, der 31-Jährige ist sogar ihr Chef in Nürnberg. Als er die Geschäfte übernommen hat, war er etliche Jahre jünger als der damalige Juso-Vorsitzende. Der Chef der Jugendorganisation war also älter als der Chef im Hauptquartier. Brehm, weißes Hemd, markante Sonnenbrille, will das nicht zu hoch gehängt wissen. Hat sich halt so ergeben. Aber klar, sagt er, dass sich die SPD, die alte Tante, in dieser Stadt permanent erneuere, das sei wohl schon ein Erfolgsgeheimnis. Einmal, für sechs Jahre, haben sie in der Stadt die Geschäfte an einen CSU-Mann abgegeben. Ansonsten wurde Nürnberg nach dem Krieg immer von Sozialdemokraten regiert. Stolz auf die Geschichte? "Ein bisschen", sagt Brehm. Dass aber 14 von 31 SPD-Stadträten Neulinge sind seit der Kommunalwahl, doch, das freue ihn richtig.

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Es ist gar nicht so einfach, sich über die Geschichte der Nürnberger SPD zu informieren. Aber eine Chance gibt es, man muss es halt wissen. Rein ins Rote Haus, das nach dem Arbeiterdichter Karl Bröger benannt ist. Dort informiert eine kleine Präsentation über die Historie jenes Hauses, ohne das die Geschichte der SPD nicht zu verstehen ist. Übrigens auch die Geschichte der Bundes-SPD nicht. Als die 2013 Jubiläum feierte, prangten auf dem Geburtstagsband zwei Bauten: das Willy-Brandt-Haus. Und das Karl-Bröger-Haus.

Mittendrin in Nürnberg

Wer nach dem Besuch dort nicht demütiger rauskommt, als er gekommen ist, dem geht vermutlich jeder Sinn für Geschichte ab. Hier wurde die Fränkische Tagespost gedruckt, mindestens eine der wichtigsten Parteizeitungen ihrer Zeit, wenn nicht die wichtigste. Verantwortliche Redakteure: Kurt Eisner, Philipp Scheidemann. Während der Sozialistengesetze war die FT neben dem Offenbacher Abendblatt die einzige sozialdemokratische Zeitung, die noch erschien.

Im Oktober 1918 forderte sie als erste deutsche Zeitung die Abdankung des Kaisers. Früh kämpfte das Blatt auch gegen die Nazis, verlor diesen Kampf aber tragisch. Der NS-Pornograf Julius Streicher besetzte 1933 das Haus und ließ dort in der Folge eine Nazi-Postille drucken. Nach dem Krieg lebte das SPD-Blatt noch einmal auf, wurde aber 1971 eingestellt. Hauptquartier der SPD aber blieb das Haus.

"Es ist schon was Besonderes, hier zu arbeiten", findet Kerstin Pommereit, die Historikerin der Partei. Aus ihrem Büro hat man einen Blick über die Stadt, der dem von der Burg gleicht. "Ein geografisches Statement", nennt SPD-OB Ulrich Maly das Haus: möglichst offen, mit Geschichte, mitten in der Stadt. "Ein bisschen eben wie die hiesige SPD", sagt Pommereit.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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