NSU-Ausschuss im Bayerischen Landtag:Das staatliche Neonazi-Netz

Bayerns Verfassungsschutz hat sich laut Informationen der "Süddeutschen Zeitung" in den neunziger Jahren aktiv am Aufbau des rechtsextremen Thule-Netzes beteiligt - eigentlich, um die Neonazi-Szene zu kontrollieren. Doch der gut entlohnte V-Mann wurde selbst zur treibenden Kraft.

Mike Szymanski, München

Eine Mailbox betrieben von einem V-Mann des Verfassungsschutzes.

Die Anfänge des braunen Netzes: Eine Mailbox betrieben von einem V-Mann des Verfassungsschutzes.

(Foto: journalistenakademie)

Der bayerische Verfassungsschutz war aktiv am Aufbau der rechtsextremen Szene in den neunziger Jahren beteiligt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll der Nachrichtendienst einen Mitarbeiter in die Szene eingeschleust haben, der mit finanzieller Unterstützung des Verfassungsschutzes am Aufbau des sogenannten Thule-Netzes mitwirkte. Dabei handelt es sich um ein bundesweites Mailbox-System, mit dem vor dem Durchbruch des Internets Neonazis Informationen austauschten, Propaganda verbreiteten und Veranstaltungen wie Aufmärsche planten.

Konkret geht es nach SZ-Informationen um Kai D., 48 Jahre alt und Computerfachmann aus dem Landkreis Kronach in Oberfranken. Dass D. für den Verfassungsschutz gearbeitet hat, ist durch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags bekannt geworden. Die Abgeordneten gehen der Frage nach, ob D. Kontakt zu den späteren Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) hatte, die über gemeinsame Stammtischtreffen hinausgehen.

Wie sich jetzt herausstellt, spielte D. für den Verfassungsschutz eine wichtige Rolle. Nach SZ-Informationen handelte er auf Anweisung des Verfassungsschutzes. Er sollte sich einen Zugang zur Szene und dem Thule-Netzwerk verschaffen. Dies wird in Sicherheitskreisen bestätigt. Dafür war der Nachrichtendienst auch bereit, Geld zu zahlen.

150.000 Mark für ein Neonazi-Netzwerk

Etwa 800 D-Mark soll D. monatlich erhalten haben, zusätzlich habe er Geld für seine Auslagen bekommen, etwa für Technik und Betrieb seines Knotenpunktes im Thule-Netz. Und dies über Jahre hinweg. D. war von 1987 an mehr als zehn Jahre für den bayerischen Verfassungsschutz tätig. Mit dem Sacherverhalt vertraute Personen gehen davon aus, das der Verfassungsschutz nach vorsichtigerer Schätzung womöglich weit mehr als 150.000 Mark an D. im Laufe der Jahre bezahlt haben könnte.

Anders als bislang angenommen, war D. auch kein überzeugter Rechtsextremist, als die bayerischen Sicherheitsbehörden ihn verpflichtet haben. Der gebürtige Berliner soll zuvor für den Berliner Verfassungsschutz als Spitzel gearbeitet und die linke Szene ausgeforscht haben. Ein "Miet-Maul" sei er gewesen, heißt es über D. Aus familiären Gründen sei er in der achtziger Jahren nach Bayern umgezogen. Es heißt, er habe damals dem bayerischen Verfassungsschutz seine Dienste angeboten.

Der "Bestatter" steuert die Szene

Nun steht die Frage im Raum, ob das Landesamt ihn gezielt zu einem führenden Neonazis aufgebaut hat oder ob D. den Behörden mit der Zeit schlicht aus dem Ruder gelaufen war. Fest steht jedenfalls, dass D. zu einer führenden Figur in der Neonazi-Szene aufgestiegen war. Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München, a.i.d.a., nennt ihn unter anderem einen der "wichtigsten Kader" in der Szene. In der Fachliteratur wird er als "zentrale Figur" geführt. Er organisierte Gedenkmärsche für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß mit und war offenbar an der Produktion von Hetzschriften beteiligt. 1998 wurde D. abgeschaltet. Er stünde kurz vor der Enttarnung, heißt es zur Begründung.

Am Mittwoch hat Gerhard Forster, zum damaligen Zeitpunkt Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Untersuchungsausschuss eingeräumt, dass seine Behörde Mitarbeiter in der Szene hatte, die steuernd tätig gewesen seien, wenn auch "nicht maßgeblich", wie er im öffentlichen Teil der Sitzung relativierte. Auf Nachfrage und ohne D.s Namen zu nennen, erklärte er auch, dass D. einen von vier Netzknoten des Thule-Systems in Bayern betrieben hatte. Den Verfassungsschützern war damals seinen Angaben zufolge bekannt, dass sich in der Szene "etwas Militantes" aufbaut. Wie sich nun herausstellt, konnten die Verfassungsschützer mindestens einen Teil der Informationen der Neonazis mitlesen - jene, die über D.s Knotenpunkt mit dem Namen: "Kraftwerk" liefen. D. hatte sich das Pseudonym Undertaker gegeben, Bestatter. Das Innenministerium wollte auf Anfrage zu den Informationen keine Stellung nehmen.

Von der SZ mit den neuen Erkenntnissen konfrontiert, zeigte sich Franz Schindler (SPD), Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, verärgert: "Wenn es stimmt, dass der Staat den Aufbau eines solchen rechten Netzwerks finanziert, um es dann mit Steuergeld zu bekämpfen, muss man das ganze System in Frage stellen." Die Grünen-Abgeordnete Susanna Tausendfreund sagte: "Ohne D. hätte die fränkische Szene ganz anders ausgesehen. Er war eine ganz zentrale Figur."

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