Münchner Aussteigerin:Von der Tussi zur Almerin

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Für sie ist es der schönste Job der Welt: Die Münchnerin Anna Fauth hat ihren sicheren Arbeitsplatz aufgegeben und ist nun Sennerin auf einer Alm in 1330 Metern Höhe. Dort hat sie keinen Strom, jede Menge harte Arbeit - aber auch viel Freiheit.

Von Heiner Effern, Kreuth

Die vor sich hin malmenden Kälber recken die Köpfe in die Höhe, als sie die vertraute Stimme hören. "Hola, Kaiben, hola, kemmt's, kemmt's", ruft Anna Fauth. Beim zweiten Lockruf hüpfen die Jungtiere in Bocksprüngen den Hang hinunter, ihrer Sennerin hinterher. Mit einem Kübel voll Weizenkleie und Salz geht sie zu einem Felsblock, greift in den Eimer und streut die Leckerei auf den Stein. Die Kälber umringen sie, drängen sich heran, schlecken mit ihren rauen Zunge zuerst nach dem Futter, dann nach ihr. Mensch und Tier sind sich nicht nur körperlich nahe, Anna Fauth spürt jetzt eine Intimität mit den Tieren und der Natur, die sie sonst nirgends findet. Es sind diese Momente, für die sie vieles aufgegeben hat. Für die sie hier oben lebt. "Das ist wie eine Sucht", sagt sie.

Anna hat ein Fieber gepackt, das sie nicht mehr loslässt. Das Alm-Fieber. Bis vor vier Jahren hat die 25-Jährige aus Aying gelebt wie viele Frauen im Münchner Speckgürtel: Sie hat einen sicheren Job in einem großen Pharma-Unternehmen, geht mit Freundinnen zum Shoppen und nimmt es beim Outfit für das abendliche Ausgehen gerne genau. An diese Zeit erinnern auf der 1330 Meter hoch gelegenen Bucheralm nur noch die rot lackierten Zehennägel. In Leggins und Top sitzt sie vor der Alm in der Sonne, isst zum Frühstück ein Brot mit selbst gemachter Butter und Marmelade, trinkt Kaffee dazu.

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Fünf Stunden hat sie da schon körperlich hart geschuftetet. Gerade hat sie noch geschickt überschüssiges Wasser aus der frischen Butter geschlagen, die Masse in eine Holzform gepresst und die fertig portionierten Stücke in eine Wasserwanne geworfen. Im Keller wird die Butter gelagert. Die Milch dafür hat Anna Fauth am Morgen gemolken, ihre Arbeit auf der Alm beginnt früh. Sie macht Feuer, setzt Wasser auf und richtet das Melkgeschirr her. Dann lässt sie die Kühe in den Stall, die nur über Nacht hinaus dürfen. Sie wirft den Zweitakter an, der das Vakuum zum Melken liefert. Und wenn die Sonne scheint, schaut sie großes Almkino: wie im schmalen Stallfenster die ersten Strahlen den felsigen Kopf des Leonhardsteins in Szene setzen: "Diese Stimmungen, die musst du aufsaugen."

Melken, Füttern, Buttern

Eingesetzt hat ihr diesen Virus der Großvater, ein Bauer. Er hat seine Enkelin früh mitgenommen, wenn er Freunde auf den Almen besucht hat. 2012 hält es die junge Frau nicht länger aus, sie will selbst einen Sommer auf die Alm: Sie nimmt unbezahlten Urlaub, auch wenn ihr das so mancher ausreden will. "Du, eine solche Tussi, auf der Alm?", wird gespottet. Nach den ersten Tagen voller Zweifel, ob sie mit der harten Arbeit zurechtkommt, nach den ersten Wochen alleine mit der Verantwortung für die Tiere, bemerkt sie, dass sich in ihr etwas verändert. "Eine andere Art von Bewusstsein, von Selbst-Vertrauen und Gott-Vertrauen" spürt sie.

Sie ist keine Woche zurück im Alltag, da weiß sie, "das geht nicht mehr". Die automatisierte Arbeit, der sterile Reinraum im Labor, der weiße Kittel, die Brille, die Handschuhe. Nach der Freiheit auf der Alm empfand sie ihren Beruf als Gefängnis. "Ich bin in einem Bau gesessen, in dem ich nicht einmal selbst entscheiden konnte, ob die Rollläden nach unten gehen oder nicht." Sie kündigt, zum Entsetzen ihres Chefs und ihrer Familie. Sie gibt ihrer Sucht nach. "Warum raucht einer, obwohl er weiß, dass es schädlich ist?", fragt Anna Fauth.

Im Sommer auf der Alm, im Winter auf dem Hof

Den Winter über lernt sie in Südtirol und der Schweiz das Handwerk einer Sennerin. Sie erfährt, wie sie Butter und Käse professionell herstellt. Sie verbringt 2013 einen Sommer auf dem Sudelfeld, bevor sie die Stelle auf der Bucheralm findet, in einem Kessel unterhalb des Buchsteins in der Nähe von Kreuth gelegen. Gut drei Monate lebt sie hier, von Anfang Juni bis September. Sie hat alles, was eine gute Sennerstelle ausmacht, sagt Anna. "Einen guten Platz, eine gut gepflegte Alm und einen guten Almbauer."

Dieser bringt zweimal die Woche Vorräte und holt die Butter ab. Er weiß, wann er Anna antrifft, so mancher Besucher findet nur einen Zettel an der Tür. "Bin bei de Koima. Liaba Gruaß d'Oimarin." Vormittags geht Anna Fauth, die Almerin, wie sie sich selbst nennt, jeden Tag zu den neun Kälbern hinter dem Bergrücken und kontrolliert die Tiere auf Auffälligkeiten. Mittags legt sie sich für eine halbe Stunde hin, danach erledigt sie nach Bedarf Arbeiten am Weidezaun, am Wassertrog oder mäht mit der Sense Unkraut. Am Nachmittag besucht sie die 20 Kälber auf der vorderen Weide, danach beginnt die zweite Schicht im Stall. Bis auf den Zweitakter arbeitet sie nur mit der Kraft ihrer Hände, Strom gibt es nicht.

Warum sie sich das im 21. Jahrhundert noch antut, hat sie ihr Bruder gefragt. "Ich habe zwar keine Technik hier oben, alles geht langsamer, aber euch da unten, euch überhole ich alle", hat sie geantwortet. Sie weiß um den Stress, dem ihre Familie mit Hof, Metzgerei und Gastronomie ausgeliefert ist - in Winter wird sie auf dem Hof mitarbeiten. An manchen Tagen packt sie auf der Alm das schlechte Gewissen. "Die unten schuften, und ich habe den schönsten Arbeitsplatz der Welt."

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Dazu gehört auch das Alleinsein. Nichts sei schöner, als bei Regen über die Wiesen zu den Kälbern zu gehen, gerne auch bei Nebel. Angst hat sie keine, nur einmal hat sie eine unheimliche Situation erlebt: Ein Riegel ist am Morgen offen gewesen, den sie abends vorgelegt hatte. Und Krach hat sie geweckt, für den sie keine Ursache finden kann. Nichts, was eine Frau aus der Ruhe bringt, die einen Jagdschein hat.

Und zu einsam wird es ihr schon gleich gar nicht. Zum einen wuseln der Hias und der Peter, zwei Lämmer, die sie mit der Flasche groß gezogen hat, wie Schoßhunde zwischen den Beinen herum. Zum anderen kommt Besuch. "Ich bin keine Aussteigerin. Man hat ja ein Leben und Kontakte, auch wenn man drei Monate auf der Alm ist", sagt Anna. Wer allerdings kompliziert ist oder zu hartnäckig sitzen bleibt, der wird schon mal hinauskomplimentiert. Das Leben auf dem Berg hat einen natürlichen Rhythmus, der Anna heilig ist. "Du bist hier oben nicht der Mensch, der du unten bist."

© SZ vom 22.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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