Mordfall Mespelbrunn:Eine Tat auf der sittlich niedrigsten Stufe

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Lebenslänglich für den Mörder von Mespelbrunn: Vor zwei Jahren hat Alexander R. eine Frau erstochen. Jetzt fiel in Aschaffenburg das Urteil.

Olaf Przybilla

Noch einmal sitzt Alexander R. wie in Stein gemeißelt im Saal168 des Landgerichts in Aschaffenburg. Er hat das zehn Verhandlungstage lang so getan, manchmal schien es so, als habe er das eingeübt: einfach nur dasitzen und ungerührt geradeaus starren. Auch jetzt, am elften Verhandlungstag, würdigt der 38-Jährige den Vorsitzenden Richter Stefan Tratz keines Blickes. Er schaut aus dem Fenster, als Tratz das Urteil verkündet: Wegen Mordes an der 32 Jahre Carmen S. wird R. zu lebenslanger Haft verurteilt.

Urteil Mordfall von Mespelbrunn: Der Täter ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. (Foto: ddp)

Auf seiner Flucht hat er sich außerdem des erpresserischen Menschenraubes schuldig gemacht, der räuberischen Erpressung und der Freiheitsberaubung in drei Fällen. R. hatte Verwandte in einen Keller gesperrt, geknebelt und Bankkarten erpresst.

Keine Miene verzieht R., als der Richter die letzten Tage vor dem Mord rekonstruiert. Nachdem S. seine Avancen abgelehnt hatte, kaufte sich R. ein Küchenmesser. Er erkundigte sich, wie die Kameras an der gemeinsamen Arbeitsstelle, im Schlosshotel in Mespelbrunn, funktionieren. Er sah den Dienstplan ein und erschien zu Beginn der Morgenschicht am 25. Juli 2008 auf dem Parkplatz vor dem Wasserschloss. Das Messer hatte er in die Wochenendbeilage der Lokalzeitung eingewickelt. Dann stach er auf die Frau ein. Zeugen hörten, wie Carmen S. kurz nach der Tat flehte: "Du kannst mich doch hier nicht einfach so liegen lassen."

Eine Handlung im Affekt sei das nicht gewesen, urteilt der Richter - sondern ein geplanter Mord aus niedrigen Beweggründen an einer Mutter von drei Kindern. Die Tat bewege sich auf der sittlich niedrigsten Stufe, sagt Tratz. R. blickt währenddessen aus dem Fenster.

Erst am achten Tag der Verhandlung hatte R. seinen Anwalt eine Erklärung verlesen lassen. Er übernehme die volle Verantwortung für den Tod von Carmen S. Er habe die Getötete niemals bedroht, hatte R. behauptet. Er habe sie auch nicht verletzen - und schon gar nicht habe er sie töten wollen. Irgendwann, hat R. angekündigt, werde er den drei Kindern und den Geschwistern seines Opfers Rechenschaft ablegen über seine Tat. Allerdings erst nach dem Prozess.

Für den Oberstaatsanwalt Walther Schmidt klang das wie die "Erklärung eines Ministers, der eine Verfehlung eines Mitarbeiters einräumt". Er hatte auf lebenslange Haft samt Sicherungsverwahrung plädiert. Schließlich habe R. schon einmal eine Frau entführt und deren Mutter misshandelt, 15 Jahre zuvor. Auch diese Frau hatte die Liebe von R. nicht erwidert.

Ein Gutachter hatte im Prozess erläutert, R. gehöre offenbar zu der Sorte Mensch, die an ihr Recht glaube, Kränkungen zurückzahlen zu dürfen. Für eine anschließende Sicherungsverwahrung aber reicht das nicht aus. Dafür fehlen die formalen Voraussetzungen, erläutert Richter Tratz. Denn für einen Rückfall im juristischen Sinn müssen Taten innerhalb von fünf Jahren begangen worden sein. Alexander R. wird also frei kommen nach der Haft. Die Mutter von S. sagt nach dem Urteil: "Ich kann nun in Ruhe über den Tod meiner Tochter trauern."

Die Anwälte von R. hatten 14 Jahre Haft gefordert, wegen Totschlags. Hätte R. sein Opfer planvoll ermorden wollen, so hätte er nicht eine gemeinsame Italien-Reise mit Carmen S. geplant. Tatsächlich hatte R. für den Monat nach der Tat einen Stellplatz auf dem "Camping pra delle torri" in der Nähe von Venedig gebucht. In seinem Opel Astra, dem Fluchtauto, hatte die Polizei Klebebänder gefunden, am Tatort einen Elektroschocker. Möglicherweise hatte R. sein Opfer zu einem gemeinsamen Urlaub zwingen wollen - so wie im Jahr 1993, noch als Student, als R. eine ehemalige Freundin nach Granada verschleppt hatte. R. hat dazu geschwiegen. Die Anwälte vermuten, es könnte zu einem Streit mit Carmen S. auf dem Parkplatz vor dem Schloss gekommen sein. Sie wollen Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.

Bei der Festnahme von R., nach elf Monaten Flucht, hatte die Polizei einen Speicherstick sichergestellt. Es fanden sich offenbar von R. verfasste Texte darauf. Eine Woche vor der Tat beschreibt der Autor, er empfinde sich selbst als eine "vertrocknete Eiche". Trotzdem habe er versucht, ins Paradies einzutreten. Nun trage er eine unerträgliche Hoffnungslosigkeit in sich. "Möge die Eiche ihre Schuld abtragen können", hat der Autor notiert. Und ganz zum Schluss des Textes: "Alea iacta est" - der Würfel ist gefallen.

© SZ vom 24.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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