Mordfall Herrmann: Prozessbeginn:Spuren einer fast vergessenen Tat

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Im Mordfall Ursula Herrmann gibt es Fragen, die keiner zu Ende denken mag: Vor welchen Schwierigkeiten das Gericht bei der Wahrheitssuche steht.

H. Holzhaider

Dieses Verbrechen hat niemanden, der je damit befasst war, unberührt gelassen. Eduard Zimmermann, der vor kurzem 80 Jahre alt wurde, sagte einmal: "Es war für mich der schlimmste Fall in 35 Jahren ,Aktenzeichen XY ungelöst".

Ursula Herrmann: 27 Jahre nach dem Mord an dem Mädchen wird der Fall neu aufgerollt. (Foto: Foto: dpa)

Wolfgang Eisenmenger, der Münchner Ordinarius für Gerichtsmedizin, erinnert sich auch nach 27 Jahren noch gut an den 4. Oktober 1981, als er in ein Waldstück zwischen Eching und Schondorf am Ammersee gerufen wurde, wo man kurz zuvor in einer im Boden vergrabenen Holzkiste die tote Ursula Herrmann gefunden hatte.

"Da sah man dieses arme Wurm in der Kiste kauern. Ich sehe es noch, als ob es heute wäre. Das hat mich, obwohl ich abgebrüht bin, innerlich sehr, sehr bewegt."

Es war zuerst die ungeheure Kälte, die von dieser Tat ausströmte, die alle schockierte: Ein zehnjähriges Kind in eine Kiste zu sperren, gerade groß genug, um aufrecht darin zu stehen oder auf dem winzigen Sitzbrett zu kauern, diese Kiste mit fünf Riegeln zu verschließen, und dann Erde darüber zu häufen und alles mit trockenem Laub zu tarnen, so dass nichts mehr davon zu sehen war - was muss das für ein Mensch sein, der so etwas fertigbringt?

Die Vorstellung der Angst und der entsetzlichen Verlassenheit, der dieses Mädchen ausgesetzt war, wird in keiner Weise gemildert durch die Tatsache, dass der Tod durch Sauerstoffmangel, den Ursula Herrmann erlitt, ein schmerzloser Tod ist.

Dann, in den vielen seither vergangenen Jahren, erbitterte die Erfolglosigkeit der Fahndung nach dem Täter. So viele Ermittlungsansätze, so viele Spuren, die zu verfolgen waren, und doch immer wieder - nichts. Von Anfang an war klar, dass der oder die Täter im engeren räumlichen Umfeld zu suchen sein mussten.

Einer, der an dieser Stelle unbeobachtet ein 1,60 Meter tiefes Loch in den Waldboden gegraben hatte, einer, der den Tagesablauf des Kindes so gut kannte, dass er es auf dem kaum zwei Kilometer langen Uferweg zwischen Schondorf und Eching abfangen und vom Fahrrad zerren konnte - so einer musste entweder unmittelbar in dieser Gegend wohnen oder doch regelmäßig viel Zeit hier verbracht haben.

Die Kiste - fachmännisch zusammengezimmert, mit einem, wenn auch nicht funktionstüchtigen Belüftungssystem aus PVC-Rohren versehen, die Schrauben, die Riegel, die diversen Lebensmittel, das Transistorradio, an dem fachkundig eine Drahtantenne angelötet war, die Decken, die Comic-Hefte, die Erpresserbriefe, jenes mysteriöse, in Landshut aufgegebene Telegramm an die Eltern - musste sich das nicht irgendwie zu einem Täter zurückverfolgen lassen?

Aber die Jahre verrannen, und niemand kann sagen, es wäre nicht intensiv und mit großem personellen Aufwand ermittelt worden. Immer mal wieder gab es einen vagen Verdacht, der dann aber wieder im Sande verlief. Erfahrene Beamte verzweifelten an ihrer Erfolglosigkeit, schließlich wurden die Ermittlungen dem Landeskriminalamt übertragen, die ausgesetzte Belohnung auf 100.000 Mark erhöht, aber nichts von allem führte zum Ziel.

Dreimal präsentierte Eduard Zimmermann den Fall in seiner XY-Sendung, jedes Mal gab es Dutzende Hinweise- keiner davon führte zum Täter. Es schien so zu sein, als ob dieses Verbrechen für immer ungesühnt bleiben sollte. 2011 wäre die Tat verjährt.

Und dann, nach fast 27 Jahren, präsentierte die Staatsanwaltschaft Augsburg ihre Sensation: die Festnahme eines Tatverdächtigen. In aller Heimlichkeit hatte die Oberstaatsanwältin Brigitta Baur neue Ermittlungen angestellt. Nichts sollte an die Öffentlichkeit dringen.

Alle Polizisten, alle Sachverständigen, die damals tätig waren und jetzt wieder befragt wurden, mussten Schweigeverpflichtungen unterschreiben. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf den heute 58-Jährigen Werner M., der schon kurz nach Ursula Herrmanns Entführung in Verdacht geraten war. So vieles schien damals zu passen - er hatte die Ortskenntnis, die handwerklichen Fähigkeiten, er war hoch verschuldet, hatte also ein Motiv, es gab einen anonymen Hinweis auf ihn.

Aber an dem Alibi, das von drei Zeugen bestätigt wurde, kam man nicht vorbei. Inzwischen aber war an einer beim Bau der Kiste verarbeiteten Schraube eine DNS-Spur identifiziert worden. Die Staatsanwältin Baur hoffte, mit einer DNS-Probe von Werner M. einen Treffer zu landen. Die Wohnung des Ehepaars wurde durchsucht, ein Richter genehmigte einen Lauschangriff - aber die Hoffnung auf einen handfesten Beweis erfüllte sich nicht. Die DNS-Spur passte nicht zu Werner M.

Dafür fand man ein altes Tonbandgerät, und als ein halbes Jahr später ein Gutachten des Landeskriminalamts bestätigte, dies könne das Gerät sein, mit dem damals die Erpresseranrufe abgespielt wurden, da wähnte sich Brigitta Baur am Ziel: "Ein gewaltiges objektives Indiz", verkündete Reinhard Nemetz, der Leiter der Augsburger Staatsanwaltschaft.

Der Prozess, der nun beginnt, muss zeigen, ob diese Zuversicht begründet ist. Werner M. behauptet, er habe das Tonband erst vor kurzem auf einem Flohmarkt gekauft. Wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt, diese Behauptung zu widerlegen - dann wird es sehr eng werden für den Angeklagten.

© SZ vom 19.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Mordfall Ursula Herrmann

1981 wurde die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Heimweg vom Turnunterricht in Eching am Ammersee entführt. 19 Tage später fand die Polizei ihre Leiche in einer im Waldboden eingelassenen Holzkiste.

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