Mitten in Nürnberg:Der Kaiser und seine Männlein

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Das Männlein-Laufen mittags um zwölf an der Nürnberger Frauenkirche ist jeden Tag ein Spektakel. Aber nur der Lebkuchenverkäufer auf dem Hauptmarkt weiß, dass es Kaiser Karl IV. ist, dem da gehuldigt wird. Auch ansonsten weiß er viel über den Herrscher zu berichten

Von Olaf Przybilla

In der ARD ist ja gerade die "Ausschließlich-Franken-gehört-ins-Abendprogramm"-Woche, es dürfte wenige geben in der Republik, die das nicht für komplett angemessen halten. Donnerstag: der Club. Freitag: die Würzburger Kickers. Sonntag: Franken-Tatort. Montag: der Club. Dienstag: wieder die Würzburger Kickers. Bleibt die Frage: Was war eigentlich am Samstag?

Für künftige Projekte dieser Art ein kleiner Tipp: Der Nürnberger Hauptmarkt um Punkt zwölf Uhr mittags ist immer eine Übertragung wert, um 20.15 Uhr könnte man das gegebenenfalls noch mal größer nachbereiten. Mehrere Kamerapositionen böten sich an. Der Fokus müsste natürlich auf dem Bild liegen, auf das um die Uhrzeit alle schauen, beseeltes Lächeln inklusive: das Männlein-Laufen an der Frauenkirche, ein immer wieder ergreifendes Schauspiel.

Es beginnt mit dem Schlag der Stundenglocke, danach treten die sieben Kurfürsten hervor, sie ziehen um den Kaiser herum und verneigen sich, etwas hüftsteif. Er aber senkt wohlwollend das Zepter zum Gegengruße. Nebenher walten Nebenfiguren ihres Amtes: Fanfarenbläser, Flötenspieler, ein Tambour, während sich unten - das wäre die zweite Einstellung - ein Halbkreis von Menschen bildet, Köpfe in den Nacken legend, Handys nach oben haltend, ah und oh sagend. Der Kaiser tritt auf, dort, wo er hingehört: in Nürnberg, Mittelfranken.

Mit der dritten Kamera sollte man danach lieber nicht die Marktfrauen erörtern lassen, welcher Kaiser da oben eigentlich das Zepter hält ("Derfn's mich fei ned frag'n"). Wissen tut das dagegen der Mann, der als einziger auf dem Platz Lebkuchen verkaufen darf. Der könnte erstens erzählen, dass das da oben Kaiser Karl IV. ist. Und der wüsste zweitens, dass der heuer Jubiläum feiert und deshalb groß geehrt wird, vor allem in Prag. Aber natürlich auch in Nürnberg.

Nur danach könnte es schwierig werden. Der Lebkuchenverkäufer ist nämlich in der Lage, aus dem Stegreif Fachvorträge zu halten, was dieser Kaiser nebenher für ein Halunke war. Und welche Schandtaten er zu verantworten hat, gerade am Hauptmarkt, der vor seiner Zeit das Viertel der Nürnberger Juden war. Wer dem Mann länger zuhört, dem schmeckt danach kein Lebkuchen mehr.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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