Mitten in Erlangen:Ist das überhaupt eine Stadt?

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In der Liste der klassischen Studentenstädte taucht Erlangen nicht in der ersten Reihe auf. Aber es tut sich was, die geglückte Konversion macht die Stadt zunehmend attraktiv. Wenn da nicht die Verwerfungen auf der Bergkirchweih gäbe

Kolumne von Olaf Przybilla

Das muss so vor 30 Jahren gewesen sein, ein Gespräch über klassische Studentenstädte. Tübingen? Pittoresk und verdammt geistreich, sagte der Mann, der mit seinem lustigen Rauschebart und der noch lustigeren Rundbrille ebenfalls pittoresk, vor allem aber verdammt geistreich war. Göttingen? Geht immer. Freiburg oder Heidelberg? Sowieso. Und wie ist es mit Erlangen?

Lange Pause. Dann der Satz, der einen seither begleitet, wenn man durch Erlangen geht: "Ist das überhaupt eine Stadt?"

Die Frage war schon vor 30 Jahren unfair, damals aber hatte sie einen erkennbaren Hintergrund. Erlangen, das waren drei disparate Dinge, die nebeneinander existierten, ohne etwas miteinander zu tun zu haben: US-Militär, Siemens, Uni. Wer sich der Stadt von Osten her näherte, fuhr erst mal minutenlang an Häusern vorbei, von denen nicht zu erkennen war, ob die zur Kaserne gehören oder nur so tun, als ob sie das täten. Danach ging es rechts runter zur Uni. Oder nach links, wo an einer halbmondartigen Riesenstraße entlang Häuser aufgereiht waren, die gefühlt etwa achtmal so hoch waren wie der Erlanger Durchschnitt: Siemens-City.

Es muss einem auch heute noch nicht Erlangen einfallen, wenn's um die angesagtesten Studentenstädte geht. Aber wer nach einem Klassiker für geglückte Konversion sucht, der kann in Erlangen fündig werden. Die frühere Kaserne ist heute eines der begehrtesten Wohngebiete Bayerns. Und demnächst zieht noch Siemens aus dem Zentrum an den äußersten Stadtrand, ein Projekt von schwindelerregender Größe. Vom Zentrums-Dreierlei bleibt in Erlangen nur noch: die Uni.

Wo die erste Konversion so geglückt ist, darf man für diesen zweiten Stadtumbau Vertrauen haben in Erlangen. Auch wenn es, einer Beobachtung der Erlanger Nachrichten zufolge, gerade knirschen soll zwischen Stadt und Siemens, der Details des Umzugs wegen. Bei der Bergkirchweih soll sogar - Achtung! - ein wichtiger Siemensianer beim Bieranstich auf dem Entlas-Keller enttarnt worden sein, während Erlangens Honoratioren zur selben Zeit siemenslos und verstört auf einem anderen Keller am Franken-Vollbier nippten. Was, wie der Zeitungsbeobachter analysierte, "einem Affront" gleichkomme.

Wie war noch mal die Frage des geistreichen Mannes mit der runden Brille?

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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