"Kommunal Pass":Ein Leben ohne Bargeld

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Im Landkreis Erding müssen Flüchtlinge alles mit Chipkarte zahlen, aber das funktioniert oft nicht

Von Florian Tempel, Erding

Als er im November im Fernsehen bei Maybrit Illner sein durfte, stellte ihn die Stimme aus dem Off als einen vor, der die "Willkommenshysterie" kritisiere. Von sich selbst sagt der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) stolz, er sei einer, der Grundsätze der aktuellen Flüchtlingspolitik der CSU angestoßen habe. Sein Lieblingssatz lautet: "Bargeld schafft falsche Anreize." Bis vor Kurzem hat er den Flüchtlingen im Landkreis Erding die monatlichen 34 Euro Kleidergeld abziehen lassen und ihnen stattdessen Gutscheine gegeben. Als ihn das bayerische Sozialministerium zurückpfiff, hat Bayerstorfer mit einer noch radikaleren Lösung reagiert: Die Flüchtlinge in seinem Landkreis erhalten überhaupt kein Bargeld mehr.

Die Kreisbehörde schreibt ihnen ihr Geld neuerdings auf einer Chipkarte gut. Mit dem "Kommunal Pass" des Unternehmens Sodexo sollte man überall bargeldlos einkaufen können, wo man mit einer normalen EC-Karten bezahlen kann. Tatsächlich geht nicht einmal das. Die Chipkarte versagt in Apotheken, bei der Post und sogar in manchen Supermärkten. In Bäckereien, beim Dorfmetzger, im Linienbus, in der Eisdiele, im Vereinsheim nach dem Fußballtraining und in unzähligen anderen Situationen, in denen Bargeld notwendig ist, geht sowieso nichts.

Dabei könnte man mit dem Kommunal Pass an Geldautomaten Bargeld abheben. Das Unternehmen Sodexo hat diese Funktion explizit vorgesehen. Doch Bayerstorfer hat die Erdinger Chipkarten so einstellen lassen, dass der Abhebebetrag auf Null gesetzt ist. Bei einem erfolglosen Versuch an einem Bankautomaten wurde zudem eines klar: Wenn es ginge - die Abhebefunktion könnte jederzeit freigeschaltet werden -, würde bei jeder Barabhebung eine Gebühr von 4,50 Euro fällig.

Die Helferkreise laufen Sturm gegen die Chipkarten. Bei einem eilig anberaumten Treffen berichteten sie von verstörten Flüchtlingen und weinenden Kindern. Grundschüler, die sich keine Pausenbrezen mehr kaufen können oder die Angst haben, bei einem Theaterbesuch ihrer Klasse in der Schule bleiben zu müssen. In einem Brief, den mehrere Hundert Ehrenamtliche unterschrieben haben, bitten sie Bayerstorfer, seine Entscheidung zu korrigieren. Und sie haben eine an den Landtag gerichtete Petition gestartet. Auf der Homepage der Aktionsgruppe Asyl Erding findet sich der Link zur Plattform change.org, auf dem die Petition zu finden ist.

Selbst CSU-Bürgermeister aus dem Landkreis Erding haben Bayerstorfers einsame Entscheidung kritisiert. Es sei klar, dass es ohne Bargeld nicht gehe. Das System müsse modifiziert werden. Das Landratsamt arbeitet nach eigenem Bekunden an "unbürokratischen Lösungen bei Einzelfällen".

Ein Blick über den Erdinger Horizont hinaus zeigt, wie einfach alles wäre. Im Nachbarlandkreis Freising wurden alle Flüchtlinge aufgefordert, sich ein Bankkonto einzurichten. 99 Prozent der Freisinger Flüchtlinge haben nun ein Konto, auf das sie ihr Geld überwiesen bekommen. Dass auch Flüchtlinge ein eigenes Konto besitzen sollen, ist zudem das ausdrückliche Ziel eines neuen Bundesgesetzes, das unlängst vom Bundesrat verabschiedet worden ist. Offensichtlich will aber Bayerstorfer genau das verhindern: Flüchtlinge sollen keine Konten haben - damit sie kein Geld ins Ausland überweisen können.

Als er bei Maybrit Illner war, erzählte er, was er mit eigenen Augen gesehen habe, als seine Behörde noch Bargeld an Flüchtlinge ausgezahlt hat: "Wenn ich vom Büro aus runterschaue, sehe ich, dass sie mit ihrem Geld ein Selfie machen, das sie ihren Freunden schicken."

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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