Kommentar:Eine unverdiente Auszeichnung

Kreuth am Tegernsee ist der Abenteuerspielplatz der Münchner, aber kein Bergdorf, das unter Abwanderung leidet

Von Christian Sebald

Mit der Entscheidung, Kreuth am Tegernsee mit dem Prädikat "Bergsteigerdorf" auszuzeichnen, tut sich der Deutsche Alpenverein (DAV) keinen Gefallen. Denn damit macht er den ersten Schritt zur Verwässerung des Gütesiegels. Die Idee des Prädikats ist es nämlich, kleinen, wirtschaftsschwachen und von Abwanderung geplagten inneralpinen Dörfern Leitlinien für die Entwicklung eines naturnahen, sanften Bergtourismus an die Hand zu geben, damit sie ohne Riesenhotels, Seilbahnen, Pisten und anderem Massentourismus eine gute Zukunft haben. So lässt sich das Credo des Erfinders der Bergsteigerdörfer und Vorsitzenden der Alpenschutzkommission Cipra in Österreich, Peter Haßlacher, zusammenfassen.

Nun hat Kreuth keine Riesenhotels, Seilbahnen und nur ein, zwei kleine Pisten. Aber es hat einen Massentourismus ganz eigener Art. Kreuth ist das Freiluft-Wohnzimmer der Münchner. An schönen Wochenenden und immer öfter auch unter der Woche strömen die Münchner zu Tausenden ins Weißachtal und seine Bergwelt, rumpeln in immer längeren Schlangen die Wege auf die Gipfel hinauf, belagern die Almen und Berghütten und feiern abends auf den Wald- und anderen Festen im Tal. An all dem ist weiß Gott nichts Schlimmes. Wem der Rummel gefällt, der ist in Kreuth bestens aufgehoben. Wer ihn nicht mag, der findet seine Ruhe hinten in den Blaubergen. Auch die Einheimischen sind bisher mit dem Rummel bestens zurecht gekommen. Nur zu dem Prädikat "Bergsteigerdorf", so wie es ursprünglich gedacht war, passt er halt überhaupt nicht.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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