Franken vs. Oberbayern:Ein Stich ins Herz der Franken

Lesezeit: 3 min

Vieles nimmt der zweitgrößte Volksstamm im Freistaat klaglos hin - nicht aber die oberbayerische Intrige gegen Beckstein.

Olaf Przybilla

Natürlich, aus altbayerischer Perspektive schien der fränkische Stamm in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder kollektiv aufzubegehren. Der Kern dieser landsmannschaftlichen Kleinkonflikte war aber eher folkloristischer Natur, und der Verlauf folgte stets demselben Prinzip. Zunächst bedurfte es eines vermeintlich vernachlässigten fränkischen Symbols.

Wie die Oberbayern den fränkischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein behandelt haben, sorgt für Ärger. (Foto: Foto: dpa)

Dann durfte sich ein aufbegehrender Regionalstamm wuchtig in Szene setzen gegen die angebliche Unterdrückung aus dem Süden. Und irgendwann befriedete die Staatsregierung die nördlichen Brandherde mit großer Demutsgebärde, gelobte Besserung - und alles schien gut zu sein.

Blickt man zurück, so fällt auf, dass die stammespolitischen Streitereien der vergangenen Jahre stets regional begrenzt waren. In Würzburg etwa kämpften sie wie die Löwen für die Herausgabe des Frankenschwerts - die Einwohner der Stadt Hof freilich interessierte das herzlich wenig. Wenn die Bamberger ihre Bataillone in die Landeshauptstadt schickten, um dort die Heinrichskrone aus den Fängen der Altbayern zu befreien, dann fragten sie sich in Miltenberg: Welche Heinrichskrone?

Possenspiel in einer Halbmillionenstadt

Und wenn in Nürnberg vor wenigen Wochen die Lokalpresse kurz davorstand, Sonderausgaben drucken zu müssen, weil auf der Nürnberger Kaiserburg neuerdings eine weiß-blaue Fahne flattert - dann hätten sich vermutlich die Würzburger über so viel Possenspiel in einer Halbmillionenstadt ins Fäustchen gelacht.

Die Würzburger haben das nicht getan. Und zwar schon allein deshalb nicht, weil sich Franken untereinander nicht übermäßig füreinander interessieren - einem Mainfranken sind Mittelfranken näherungsweise so gleichgültig wie Mecklenburger.

Was aber passiert nun? Wer derzeit in die einzelnen fränkischen Provinzen hineinhört, der kann dort etwas vernehmen, was es bislang nur aus altbayerischer Perspektive zu geben schien: ein gesamtfränkisches Stammesbewusstsein. Auslöser scheint die Annahme zu sein, dass der erste evangelische Ministerpräsident aus Franken einem gezielten politischen Racheakt aus Oberbayern zum Opfer gefallen ist.

Es findet sich momentan keine Zeitung in Nordbayern, die nicht nahezu identische Lesermeinungen zu dem erzwungenen Rücktritt von Günther Beckstein abdruckt - der Sturm der Entrüstung ist mit nichts aus der näheren Vergangenheit zu vergleichen.

Gleichklang der Empörung

Aus altbayerischem Blickwinkel dürfte dieser Gleichklang der Empörung noch selbstverständlicher wirken, als er in Wahrheit ist. Denn in Franken galt Beckstein bislang dezidiert als Nürnberger. Schon im katholischen Würzburg, kaum mehr als hundert Kilometer von Nürnberg entfernt, hätten sie noch vor zwei Jahren den Innenminister am liebsten mit einem Einreiseverbot belegt - so benachteiligt fühlten sich die Domstädter vom protestantischen Synodalen aus Mittelfranken.

Derzeit kann man sich von Würzburg aus noch 90 Kilometer weiter in westliche Richtung begeben - und stößt dort immer noch auf pure Abscheu gegen die oberbayerische Ranküne. Im Aschaffenburger Main Echo erschien dieser Tage eine Seite, gefüllt mit Leserbriefen gegen die Arroganz aus Altbayern.

Aschaffenburg liegt 30 Kilometer weit entfernt von Frankfurt, man fühlt dort eher hessisch als fränkisch. Nun aber schreibt eine 80 Jahre alte Frau, sie habe schon viel erlebt in ihrem Leben - "aber so etwas noch nicht". Was die Schreiberin formuliert, lässt sich mit nahezu identischem Zungenschlag momentan genauso in der Nürnberger Zeitung, in der Coburger Neuen Presse oder der Frankenpost nachlesen. "Sind wir Franken nur gut, um ordentliche Arbeit zu leisten, Steuern abzugeben und zu warten, was man von München aus von uns erwartet?"

Der Brief endet mit einer gedanklichen Figur, die sich nun ebenfalls in sämtlichen Leserbriefspalten findet - obwohl sie längst begraben zu sein schien und nur noch von ein paar wenigen politischen Obskuranten vertreten wurde. Die Frau entsinnt sich daran, "wie Franken bereit war, sich von München zu trennen".

Im Fränkischen Tag in Bamberg erscheint am selben Tag ein Beitrag des Vorsitzenden vom "Fränkischen Bund". Er ruft dazu auf, die CDU künftig auch auf die Fläche Nordbayerns auszudehnen - auf dass Wertkonservative aus Franken endlich nicht mehr eine altbayerisch dominierte Partei wählen müssen.

Plump inszinierte Intrige

Mittlerweile scheint auch die CSU erkannt zu haben, welch verheerende Reaktion die plump inszenierte Intrige der Oberbayern auf die Befindlichkeit in Franken ausgelöst hat. Horst Seehofer sprach wohl deswegen in seinem ersten längeren Interview im Bayerischen Rundfunk über nichts länger als über den nun herzustellenden "Frieden zwischen den großen bayerischen Stämmen".

Dieser allerdings schien längst nicht mehr in Frage zu stehen. Denn mit der Rolle als innerbayerischer Underdog hatten die 4,2 Millionen Franken zuletzt offenkundig nicht nur kein Problem - die Rolle schien dem nördlichen Stamm geradezu auf den Leib geschneidert. Nun aber, glaubt ein Vorstandsmitglied der Nürnberger CSU erkannt zu haben, "fühlen sich die Franken regelrecht verarscht".

Dass für die historische Niederlage der bayerischen Regierungspartei der Einfachheit halber der evangelische Ministerpräsident verantwortlich gemacht werden soll, das empöre die Franken offenbar aufs tiefste. "Vor allem", sagt der CSU-Mann, "weil dieses Sündenbockprinzip so erbärmlich schlicht zu durchschauen ist."

© SZ vom 10.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: